Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Geschäftsführers für Steuerschulden der GmbH nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH bei im Prüfungstermin unterlassenem Widerspruch gegen die Steuerforderungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hat der alleinige Geschäftsführer der GmbH nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH im Prüfungstermin der Anmeldung von Steuerforderungen des FA gegen die GmbH zur Insolvenztabelle nicht widersprochen und wird er später als Haftungsschuldner wegen dieser Steuerforderungen persönlich in Anspruch genommen, so schneidet ihm nach § 166 AO die Tabellenfeststellung in seinem eigenen Haftungsverfahren die Einwendung ab, die Steuerforderung des FA bestehe nicht bzw. nicht in der bisher festgesetzten Höhe (vgl. FG München, Urteil v. 10.3.2016, 14 K 2710/13; FG Köln, Urteil v. 18.1.2017, 10 K 3671/14).

2. Das Widerspruchsrecht des Insolvenzschuldners, das von seinem Vertreter wahrzunehmen ist, steht einer Anfechtbarkeit der Steuerfestsetzung i. S. v. § 166 AO gleich.

3. Die Organstellung des Geschäftsführers einer GmbH entfällt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht.

 

Normenkette

AO § 191 Abs. 1, §§ 69, 34 Abs. 1 Sätze 1-2, § 166; InsO § 201; GmbHG § 35 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 23.10.2018; Aktenzeichen VII R 29/17)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme des Klägers (Kl.) für Steuerschulden der S streitig.

Der Kl. wurde am 29. Okt. 2002 als Geschäftsführer der S eingetragen und war nach Ausscheiden eines weiteren Geschäftsführers seit 2003 deren alleiniger Geschäftsführer. Mit Beschluss vom 13. Juli 2011 eröffnete das Amtsgericht M das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S.

Nach Anhörung des Kl. nahm das FA den Kl. wegen Rückständen der S mit Bescheid vom 31. Aug. 2012 nach § 69 AO i.H.v. 29.351,64 EUR in Haftung. Der Kl. legte hiergegen Einspruch ein. Unter dem 9. Okt. 2012 berichtigte das FA den Haftungsbescheid gem. § 129 AO dahin, dass der Kl. i.H.v. 29.331,84 EUR in Haftung genommen wurde. Der Einspruch des Kl. blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2014). Die rückständigen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen der S, für die der Kl. in Anspruch genommen wurde, beruhen teilweise auf Steueranmeldungen und teilweise auf Schätzungsbescheiden. Die Festsetzungen wurden nicht angefochten. Wegen der Steuerarten und der Veranlagungszeiträume wird auf S. 7 bis 9 der Einspruchsentscheidung Bezug genommen. Dem Haftungsbescheid liegt eine Tilgungsquote von 80 % zugrunde (ausgenommen die Lohnsteuerabzugsbeträge).

Das FA meldete die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuern und steuerlichen Nebenleistungen – mit Ausnahme der Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer 4. Quartal 2010 und zum Solidaritätszuschlag hierzu – zur Tabelle an, teilweise in niedrigerer Höhe als sie im Haftungsbescheid zugrunde gelegt wurden (Zeilen 19, 32, 40, 42, 44, 57, 60, 64, 67, 74, 77 und 80 der Anlage des Schriftsatzes des FA vom 13. Juni 2017). Die Forderungen des FA wurden wie angemeldet festgestellt. Die S widersprach den Forderungen nicht.

In der mündlichen Verhandlung hat das FA zugesagt, den Haftungsbescheid dahin zu ändern, dass der Haftungsbetrag um 4.258,90 EUR herabgesetzt wird, so dass dem Haftungsbescheid die im Insolvenzverfahren festgestellten Forderungen zugrunde liegen (zur Berechnung s. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung).

Der Kl. meint, er könne nur aus Rückständen der S in Anspruch genommen werden, die sich bei Veranlagung nach den mittlerweile eingereichten Erklärungen über Umsatz- und Körperschaftsteuer für 2008 bis 2010 ergeben würden. Wegen der errechneten Erstattungen und Nachzahlungen wird auf Bl. 38 GA Bezug genommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Haftungsbescheid vom 31. Aug. 2012, berichtigt durch Bescheid vom 9. Okt. 2012, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2014 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Insoweit, wie das FA zugesagt hat, den Haftungsbescheid zu ändern, ist das Rechtsschutzbedürfnis entfallen (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 138 FGO Rz. 27) und die Klage unzulässig geworden. Im Übrigen ist sie unbegründet. Die Einwendungen des Kl. gegen die Höhe der Steuer und der steuerlichen Nebenleistungen bleiben gemäß § 166 AO erfolglos. Ermessensfehler liegen nicht vor.

Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.

a) Der Tatbestand des § 69 AO ist erfüllt. Nach dieser Vorschrift haften die in § 34 und § 35 AO bezeichneten Personen (u.a.), soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden, wobei die Haftung auch die infolge der Pflichtverletz...

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