Leitsatz

Betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußerer aufgrund von Rückstellungsverboten (hier: für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften) in der Steuerbilanz nicht bilanziert worden sind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit im Zug eines Betriebserwerbs gegen Schuldfreistellung übernommen hat, keinem Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse Verbindlichkeit auszuweisen und von ihm auch an den nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren Teilwert zu bewerten.

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 4a, § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997

 

Sachverhalt

Die Klägerin – eine GmbH, die das Medien- und TV-Geschäft betrieb – hatte 1998 durch Kauf- und Übertragungsvertrag von der GmbH II sämtliche aktiven und passiven Wirtschaftsgüter erworben. Im Rahmen dieses Erwerbs wurden auch die Verpflichtungen aus zwei Verträgen zur Anmietung eines Satelliten sowie einer Antennenanlage übernommen. Da beide Mietverträge bereits für die GmbH II keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr versprachen, hatte diese eine entsprechende sog. Drohverlustrückstellung gebildet. Mit der Übernahme des Geschäfts durch die Klägerin hatte diese die Verlustrückstellungen im Erwerbszeitpunkt passiviert und zu diesem Bilanzstichtag beibehalten.

Das FA war hingegen der Auffassung, dass die Klägerin zwar verpflichtet gewesen sei, die Drohverlustrückstellung im Zeitpunkt des Erwerbs zu bilden, der Ansatz einer solchen Verlustrückstellung in der nachfolgenden ersten Schlussbilanz jedoch nach § 5 Abs. 4a EStG 1997 nicht mehr zulässig sei. Die Rückstellung sei deswegen aufzulösen.

Die anschließende Klage war erfolgreich (FG Düsseldorf, Urteil vom 09.09.2008, 6 K 1161/04 K,F, Haufe-Index 2094353,  EFG 2009, 167).

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG bestätigt:

Wenn (auch) die Drohverlustverbindlichkeit qua Freistellung "angekauft" worden sei, dann gehöre die Freistellungsverpflichtung zu den Anschaffungskosten des Erwerbers. Anschaffungskosten unterlägen indes keinem steuerlichen Abzugsverbot.

 

Hinweis

Es handelt sich um ein Grundsatzurteil, dem erhebliches Gestaltungspotenzial innewohnen dürfte:

1. Ungewisse Verbindlichkeiten, welche drohverlustbefangen sind, sind handelsrechtlich auszuweisen, dürfen indes, wie sattsam bekannt, bilanzsteuerrechtlich nicht angesetzt werden. Über diesen Abzugsausschluss lässt sich gewiss trefflich streiten, er steht aber im Gesetz und ist gesetztes Recht.

2. Wie aber verhält es sich nun aber bei einem sog. Asset deal, wenn ein Erwerber sämtliche Aktiva und Passiva eines Unternehmens aufgekauft, wenn er dabei vorhandene drohverlustbehaftete Verbindlichkeiten übernimmt? Oder auch beim "Einzelankauf" einer solchen Verbindlichkeit? Dann ist der Erwerber im Verhältnis zum Veräußerer verpflichtet, Letzteren von der gegenüber dem Gläubiger der Schuld weiter bestehenden Zahlungspflicht freizustellen. Und dann – darüber dürfte kein wirklicher Zweifel bestehen – stellt jene Freistellung die Gegenleistung dar und erhöht die Freistellungsverbindlichkeit konsequenterweise die Anschaffungskosten. Die Freistellung ist sozusagen das Anschaffungs-Pendant zu der Drohverlustschuld.

Anschaffungsvorgänge sind ergebnisneutrale Vorgänge. M.a.W.: Die Drohverlustrückstellung ist in dem und durch den Anschaffungsvorgang qua Freistellung realisiert (und bildet sich in jenen Anschaffungskosten vor Eintritt des realen Verlusteintritts ab). Damit entfällt aber jeglicher "Einsatzbereich" für den in § 5 Abs. 4a EStG angeordneten Abzugsausschluss.

Die Freistellungsverpflichtung ist auch nicht als (neuerliches) schwebendes Geschäft anzusehen; denn das Geschäft wurde infolge des Erwerbsvorgangs bereits erfüllt. Die Freistellungsverpflichtung ist mithin vom Erwerber sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz nach den für ungewisse Verbindlichkeiten geltenden Grundsätzen und nicht als Drohverlustrückstellung zu passivieren.

3. Der (erste) dem Ankauf nachfolgende Bilanzabschluss ändert daran nichts: Es bleibt auch dann beim Ansatz der Anschaffungskosten. Die Freistellungsverbindlichkeit mutiert nun nicht vice versa wieder zur Drohverlustschuld.

4. Das alles klingt logisch und "einfach", bedeutet aber zugleich, dass sich mittels der beschriebenen Ankäufe dem steuerlichen Drohverlustabzugsverbot "entgehen" lässt.

Abweichend dürften die Dinge nur dann liegen, wenn die Verkaufsvertragsbedingungen so gestaltet sind, dass der Erwerber in die drohverlustbehafteten Verträge als Nachfolger eintritt. Dann – aber auch nur dann – bleibt alles beim Alten und setzt sich nur in einer anderen Person fort. Das wird regelmäßig allerdings nur dann der Fall sein, wenn der Vertragspartner des Drohverlustgeschäfts mit dem Austausch seines Vertragskontrahenten einverstanden ist.

5. Korrespondierend stellt sich die Situation beim Verkäufer dar: Bei der Berechnung des Gewinns aus einer Betriebsveräußerung sind vom Erwerber übernommene betriebliche Verbindlichkeiten, die aufgrund von Rückstellungsverboten ...

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