Leitsatz (amtlich)

Bei einem Start-Up Unternehmen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für eine positive Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung aufgestellt hat (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 23.01.2018 - II ZR 246/15, NZI 2018, 407, 408 f. Rn. 23), nicht uneingeschränkt anwendbar. Erforderlich ist, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken, wobei die dafür erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) zur Verfügung gestellt werden können.

Hat ein finanzkräftiger Investor das Unternehmen bereits in der Vergangenheit mit erheblichen Beträgen finanziell unterstützt und seinen Willen bekundet, in der Gründungsphase bei Vorlage einer nachvollziehbaren Planung und Nachweis des Finanzbedarfs jeweils weitere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, darf der Geschäftsführer von einer positiven Prognose ausgehen, solange ein nachvollziehbares operatives Konzept vorliegt, das irgendwann eine Ertragsfähigkeit des Unternehmens erwarten lässt, und nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzierer das Start-Up Unternehmen nicht weiterfinanzieren wird. Ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge ist für die positive Fortbestehensprognose nicht erforderlich.

 

Normenkette

InsO a.F. § 19 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Krefeld (Aktenzeichen 7 O 167/20)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den sein Prozesskostenhilfegesuch zurückweisenden Beschluss der 7. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Krefeld vom 19.04.2021 (7 O 167/20) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 25.05.2021 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter in dem auf einen Eigenantrag vom 14.10.2016 hin am 28.12.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. GmbH (Schuldnerin). Er begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen deren ehemaligen Geschäftsführer wegen masseschmälernder Zahlungen im Zeitraum vom 04.01.2016 bis 25.02.2016.

Der Antragsgegner war von der Gründung der Schuldnerin im Jahr 2014 bis März 2016 deren Geschäftsführer. Sämtliche Geschäftsanteile wurden von K. gehalten, davon 12 % (3.600 Anteile) bis zum 03.12.2015 treuhänderisch für den Unternehmer und Investor C. (Anl. K 13, Bl. 190 ff.). Die Schuldnerin war ein Start-Up Unternehmen und wollte ein Vertriebsportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge, ähnlich der heute bekannten Plattform "hey-car", etablieren. Sie investierte erhebliche Beträge in die Entwicklung der Software für eine Automobil-Börse. Die Schuldnerin finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen des C. Dieser hatte der Schuldnerin beginnend ab dem 10.07.2014 regelmäßig Darlehen "zur Stärkung des Eigenkapitals ... in der Gründungsphase des Unternehmens ... als Mezzanine Kapital" gewährt (Anlagenkonvolut K 8, Bl. 58 ff.). Sämtliche Darlehen waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen. Bis Ende 2015 beliefen sich die Darlehensforderungen des C. bereits auf insgesamt 608.000 EUR. In dem am 13.10.2015 festgestellten Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von rund 125.800 EUR ausgewiesen (Anl. K 4, Bl. 31 ff.). Im Jahr 2015 erzielte die Schuldnerin lediglich Umsätze in Höhe von rund 12.000 EUR und erwirtschaftete einen Verlust von 494.357,68 EUR (GuV vom 01.01.2015 bis 31.12.2015, Anl. K 5, Bl. 39), was zu einer Erhöhung des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags auf 620.200 EUR zum 31.12.2015 führte.

Der Antragsteller macht geltend, die Schuldnerin sei spätestens zum Ende des Jahres 2015 überschuldet gewesen. Da die von C. gewährten Darlehen - unstreitig - keine qualifizierte Rangrücktrittserklärung enthielten, seien sie im Überschuldungsstatus vollständig zu passivieren. Stille Reserven hätten bei der Schuldnerin nicht festgestellt werden können, auch sei nicht ersichtlich, dass die in den Bilanzen angesetzten Buchwerte unzutreffend wären. Eine positive Fortführungsprognose sei nicht dokumentiert und habe tatsächlich auch nicht bestanden. Die bloße Hoffnung des Geschäftsführers auf eine weitere Finanzierung der Geschäfte durch den Gesellschafter C. genüge hierfür nicht, da es an verbindlichen Finanzierungszusagen für einen Zeitraum von ca. zwei Jahren in die Zukunft gefehlt habe. C. habe immer erst im Nachhinein Darlehen gewährt, um die bereits in der Vergangenheit entstandenen Verluste aufzufangen. Der Antragsgegner habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass er immer wieder Finanzmittel zur Verfügung stellen würde, denn er habe sich ausdrücklich vorbehalten, die vorzulegende Planung zu überprüfen. Der Antragsgegner sei daher zum Ersatz der im Klageentwurf auf den Seiten 8 ff. aufgeführten masseschmälernden Zahlungen im Gesamtumfang von 43.441,06 EUR nebst Zinsen verpflichtet, wobei ihm vorbehalten bleibe, nach Erstattung des Verurteilungsb...

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