2.1 Kriterien materiellen Eigenkapitals

 

Rz. 4

Das Bilanzgliederungsschema des § 266 Abs. 3 HGB verlangt zwar einen separaten Ausweis des Eigenkapitals, d. h. eine Abgrenzung von den übrigen Bilanzpassiva, jedoch gibt das Gesetz keine Abgrenzungskriterien vor. Daher sollen die zum Problembereich der Bilanzierung hybrider Finanzierungsformen wie z. B. zur atypischen stillen Gesellschaft, zum Genussrechtskapital oder aber auch zum Nachrangdarlehen in Literatur und Rechtsprechung herausgearbeiteten Abgrenzungskriterien zwischen Eigen- und Fremdkapital kurz skizzenhaft dargestellt werden. Im Vordergrund der Betrachtung steht der materielle Eigenkapitalbegriff, d. h. die Rechte, Pflichten und Funktionen des hingegebenen Kapitals.[1]

[1] Vgl. Justenhoven/Roland, in Grottel u. a., Beck'scher Bilanz-Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 247 HGB Rz. 135 ff.; zum Genussrechtskapital, vgl. IDW, WP Handbuch, 17. Aufl. 2021, Kap. F Rz. 1323 ff.

2.1.1 Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen

 

Rz. 5

Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG – eingefügt durch das am 1.11.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) – ist das Rückzahlungsverbot des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens anzuwenden. Damit erfolgte eine Gleichstellung von Gesellschafterdarlehen mit Darlehensforderungen fremder Dritter. Die frühere Rechtsprechung des BGH zu eigenkapitalersetzenden Darlehen wurde damit obsolet. Es findet sich in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO die rechtsformübergreifende Regelung, dass Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz als nachrangig gelten.[1]

Kam es vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens (§ 129 Abs. 1 InsO), so kann diese Maßnahme gemäß § 135 Abs. 1 InsO angefochten werden (insolvenzrechtlicher Anfechtungstatbestand).[2]

Erhaltene Gesellschafterdarlehen sind in der Handelsbilanz als Verbindlichkeiten zu passivieren.[3]

[1] Vgl. IDW, WP Handbuch, 18. Aufl. 2023, Kap. F Rz. 694; Küting/Kessler, in Küting/Pfitzer/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 272 HGB Rz. 204, Stand: 3/2016.
[2] Vgl. Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 135 Rz. 16 f., Stand: 3/2023.
[3] Vgl. IDW, WP Handbuch, 18. Aufl. 2023, Kap. F Rz. 694.

2.1.2 Genussrechtskapital

 

Rz. 6

Der BGH hat sich in einigen grundlegenden Urteilen der Herausarbeitung von Abgrenzungskriterien zwischen Eigen- und Fremdkapital gestellt. Ausgangspunkt und theoretische Grundlage kann dabei das "Klöckner-Urteil" des BGH[1] bilden. Kernbereich der Entscheidung ist die Formulierung von Abgrenzungskriterien zwischen Genussrechts- und Aktienkapital (= gezeichnetes Kapital). Unbestritten ist wohl, dass das Aktienkapital einer Gesellschaft als materielles Eigenkapital im eigentlichen Sinne angesehen werden kann. Der BGH hatte in seinem Urteil zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine aktiengleiche Ausgestaltung des Genussrechtskapitals angenommen werden kann. Er kommt im Hinblick auf das Kriterium der Verlustteilnahme zu dem Ergebnis, dass die Verlusttragung unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer aktiengleichen Kapitalausstattung ist. Genussrechte gewähren keine Mitgliedschaftsrechte i. S. v. Stimmrechten.

Nach IDW HFA 1/1994 "Zur Behandlung von Genussrechten im Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften" ist Voraussetzung für die Qualifikation einer Kapitalzufuhr als bilanzielles Eigenkapital eine ausreichende Haftungsqualität des überlassenen Kapitals unter Berufung auf die Gläubigerschutzfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Unerheblich ist dagegen aus dieser Sicht, ob die Kapitalzufuhr durch Gesellschafter erfolgt.

Nach IDW HFA 1/1994, Tz. 2.1.1 ist eine schuldrechtlich begründete Kapitalüberlassung nur dann als bilanzielles Eigenkapital auszuweisen, wenn folgende Kriterien kumulativ erfüllt werden:

  • Nachrangigkeit,
  • Erfolgsabhängigkeit der Vergütung sowie Teilnahme am Verlust bis zur vollen Höhe,
  • Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung.

Die genannten Kriterien werden in der Literatur auch als wesentliche Kriterien zur Qualifizierung von stillen Einlagen als Eigenkapital genannt.[2] Für die Ausgestaltung der typischen stillen Gesellschaft wird die Verlusttragung bereits durch § 232 Abs. 2 HGB bestimmt, wobei die Regelung dispositiver Natur ist.

 

Rz. 7

Hinter dem Kriterium der Nachrangigkeit verbirgt sich letztlich die Forderung, dass die derart bereitgestellten Finanzierungsmittel erst dann zur Auszahlung gelangen, wenn alle übrigen vorrangigen Gläubiger der Gesellschaft befriedigt wurden.[3] Die Vorlage einer Nachrangigkeitsvereinbarung als Voraussetzung für einen Ausweis als materielles Eigenkapital wird am Beispiel des Genussrechtskapitals auch durch den HFA des IDW gefordert.[4]

Explizite Entscheidungen des BGH zur Problematik der Nachrangigkeit liegen nicht vor, eine indirekte Schlussfolgerung ergibt sich aber aus der "Klöckner-Entscheidung" des BGH.[5] Eine aktiengleiche Ausgestaltung des Genussrechtskapitals (und damit eine materielle Eigenkapitalzuordnung) wird danach u. a. dann abgelehnt, wenn den Genussrechtsinhabern das Kapital in der Liquidation...

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