Aus der Definition des Orts des innergemeinschaftlichen Erwerbs könnte geschlossen werden, dass die Steuerschuld generell auch mit dem Eintreffen der Gegenstände beim Abnehmer (Beendigung der Beförderung oder Versendung) entsteht. Das ist falsch und richtig zugleich. Das Gesetz[1] geht vom Eintritt der Steuerschuld des Erwerbers mit dem Tag der Rechnungsausstellung des Lieferers aus. Damit soll ein "umsatzsteuerliches Niemandsland" zwischen dem Zeitpunkt der Lieferung und dem Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Erwerbs verhindert werden.

Insofern handelt es sich hier um eine juristische Fiktion, die u. E. weder praktikabel noch rechtlich unbedenklich erscheint. Der Tag der Rechnungsausstellung des Lieferers ist dem Erwerber erst nach Rechnungseingang bekannt. Daher ist strittig, ob diese Fiktion mit dem Eintritt einer Steuerschuld gleichgesetzt werden kann. Gleichwohl sollte für die Praxis immer der Rechnungseingang entscheidend sein. In den Fällen, in denen der Zeitpunkt des Wareneingangs und der Zeitpunkt des Rechnungseingangs erheblich voneinander abweichen, sieht das Umsatzsteuergesetz als spätesten Zeitpunkt für das Eintreten des Erwerbsteuertatbestands den Monat vor, der dem Monat des Wareneingangs (des innergemeinschaftlichen Erwerbs) folgt.[2]

 
Praxis-Beispiel

Steuerentstehung

  • Ein deutscher Unternehmer DE bezieht von einem Unternehmer FR aus Frankreich am 22.6.2023 eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Rechnungseingang ist am 28.6.2023. Die Erwerbsteuerschuld tritt für den Monat Juni 2023 bzw. – bei vierteljährlicher Abgabe – für das 2. Kalendervierteljahr 2023 ein. Die Erwerbsteuer ist spätestens mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Juni 2023 (bis zum 10.7.2023) bzw. mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 2. Kalendervierteljahr bis zum 10.7.2023 zu deklarieren.
  • Unternehmer DE verbucht am 5.7.2023 einen weiteren Wareneingang von Unternehmer FR. Ein Rechnungseingang zu dieser Warenlieferung liegt bis Ende August 2023 nicht vor. Die Erwerbsteuerschuld tritt – auch ohne das Vorliegen der Rechnung – für den Monat August 2023 ein. Die Erwerbsteuer ist auf der Grundlage des vereinbarten Entgelts mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung für diesen Monat (bis zum 10.9.2023) bzw. für das 3. Kalendervierteljahr 2023 zu deklarieren.

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