Leitsatz

1. Das Tatbestandsmerkmal "bestimmter Sachverhalt" in § 174 AO erfordert, dass der dem geänderten sowie der dem gemäß § 174 Abs. 4 AO zu ändernden Steuerbescheid zugrunde liegende Sachverhalt übereinstimmt; dies setzt keine vollständige Identität voraus. In dem geänderten Bescheid dürfen aber keine Sachverhaltselemente enthalten sein, die bei der Beurteilung in dem zu ändernden Bescheid keine Rolle mehr spielen.

2. Die Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO beginnt auch dann mit der Bekanntgabe des aufgehobenen oder geänderten Bescheids durch die Finanzbehörde, wenn ein Hinzugezogener gegen die Aufhebung oder Änderung klagt und das FG die Rechtmäßigkeit der Aufhebung oder Änderung bestätigt.

 

Normenkette

§ 174 Abs. 4 und Abs. 5, § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 1, § 173 Abs. 1, § 370, § 378 AO, § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG

 

Sachverhalt

An der Klägerin, einer GmbH, waren zunächst Herr H (70 %) und Herr V (30 %) beteiligt. Aufgrund eines 2001 geschlossenen Mietvertrags mietete die Klägerin von den Eheleuten ein Grundstück.

Durch Gesellschaftsvertrag vom 30.11.2003 errichteten die Eheleute die H-GbR mit dem Zweck der Verwaltung, Verpachtung und Nutznießung von Wirtschaftsgütern, insbesondere von Grundstücken und Beteiligungen. Hierzu brachte Herr H seine Anteile an der Klägerin gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in die H-GbR ein.

Die Klägerin beantragte die Aufhebung der für sie ergangenen Vorbehaltsfestsetzung für das Streitjahr 2004 sowie die Erstattung der festgesetzten und gezahlten Umsatzsteuer abzüglich derjenigen Vorsteuerbeträge, die auf die Vermietungsumsätze zwischen ihr und der H-GbR entfielen. Die Klägerin machte geltend, dass sie Organgesellschaft der H-GbR sei. Die H-GbR sei ihr Mehrheitsgesellschafter und Eigentümer der an sie vermieteten Immobilie. Mit Bescheid vom 2.2.2011 gab das FA dem Antrag der Klägerin statt und hob die gegen sie gerichtete Umsatzsteuerfestsetzung 2004 auf.

Im geänderten Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 30.12.2010 rechnete das FA die Ausgangsumsätze der Klägerin nunmehr der H-GbR als Organträgerin zu. Dagegen legte sie Einspruch ein.

Das FA zog die Klägerin zum Einspruchsverfahren der H-GbR hinsichtlich des geänderten Umsatzsteuerbescheids 2004 hinzu. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens brachte die H-GbR vor, dass das Betriebsgrundstück nicht von ihr vermietet wurde, sondern von den Eheleuten als Miteigentümer.

Mit Einspruchsentscheidung vom 23.12.2011 half das FA daher dem Einspruch der H-GbR ab. Entgegen den Behauptungen der Klägerin habe die H-GbR das Betriebsgrundstück nicht verpachtet. Dieses sei zu keinem Zeitpunkt Gesamthandsvermögen der H-GbR gewesen, sondern im Eigentum der aus den Eheleuten bestehenden Bruchteilsgemeinschaft geblieben. Die Bruchteilsgemeinschaft sei somit Unternehmerin und nicht die H-GbR.

Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage, die das Finanzgericht rechtskräftig als unbegründet zurückwies.

Mit Bescheid vom 21.3.2014 erließ das FA gegenüber der Klägerin einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2004, der der Umsatzsteuererklärung entsprach. Den dagegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 15.5.2014 als unbegründet zurück.

Der Klage gab das Finanzgericht (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.3.2015, 14 K 1835/14, Haufe-Index 8841234, EFG 2016, 85) statt und hob den Umsatzsteuerbescheid 2004 vom 21.3.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.5.2014 auf. Der angefochtene Bescheid habe wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen dürfen.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Da die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war, kam als Korrekturgrundlage nur § 174 Abs. 4 Satz 1 AO in Betracht. Aufgrund eines nur teilidentischen Sachverhalts verneinte der BFH eine Änderungsbefugnis nach dieser Vorschrift.

 

Hinweis

1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.

2. Der BFH legt den Begriff des "bestimmten Sachverhalts" sehr eng aus. So soll es an einem bestimmten Sachverhalt fehlen, wenn einem Änderungsbescheid ein nur zum Teil identischer Sachverhalt zugrunde liegt. Ein nur teilidentischer Sachverhalt, der keine Änderungsbefugnis nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO auslöst, soll danach z.B. dann vorliegen, wenn das Finanzamt einen Steuerbescheid in der Annahme aufhebt, dass eine Vermietung durch eine GbR erfolgt, während tatsächlich die Gesellschafter der GbR Vermieter sind.

3. Hebt das Finanzamt z.B. einen Umsatzsteuerbescheid gegen eine GmbH (Erstbescheid GmbH) in der Annahme auf, dass die GmbH als Organgesellschaft aufgrund einer Anmietung von einer GbR in die GbR als Organträger wirtschaftlich eingegliedert i...

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