Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung bei widersprüchlichen Urteilen

 

Leitsatz (amtlich)

Das Finanzamt ist an der Änderung einer Steuerfestsetzung wegen Nichtberücksichtigung einer Besteuerungsgrundlage in der erkennbaren (aber unzutreffenden) Annahme, dass diese in einem anderen Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen sei, nicht durch ein rechtskräftiges Urteil, das die (unzutreffende) Berücksichtigung in dem anderen Veranlagungszeitraum bestätigt, gehindert, wenn (aufgrund späterer Klage gegen einen Änderungsbescheid) zwei denselben Streitgegenstand betreffende, sich widersprechende finanzgerichtliche Urteile existieren.

 

Normenkette

AO § 174 Abs. 3-4; FGO § 110 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.01.2012; Aktenzeichen IV R 3/11)

BFH (Urteil vom 12.01.2012; Aktenzeichen IV R 3/11)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Gewinnfeststellungsbescheid für das Streitjahr 1984 noch gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert werden durfte. Die Klägerin zu 1. ist eine Kommanditgesellschaft. Die Klägerin zu 2. ist die Witwe des verstorbenen Kommanditisten W. L. (WL). Dieser hatte aufgrund einer zwischen den Gesellschaftern geschlossenen Vereinbarung für die von ihm entwickelten Erzeugnisse jährlich umsatzabhängige "Lizenzgebühren" von der Klägerin zu 1. bezogen. Sämtliche Forderungen des WL sind in Erfüllung eines Vermächtnisses auf die Klägerin zu 2. übergegangen. Zwischen der Klägerin zu 2. und der Klägerin zu 1. entstand Streit darüber, ob die Klägerin zu 1. die "Lizenzgebühren" nach dem Tode des WL an sie weiterzahlen müsse. 1985 einigten sich die Parteien vor dem Oberlandesgericht vergleichsweise auf eine Einmalzahlung in Höhe von 2.000.000,-- DM. Damit sollten sämtliche Ansprüche aus dem Sachverhalt "Lizenzgebührenanspruch" abgegolten sein. Die Klägerin zu 1. bildete wegen des Prozessrisikos ab 1982 eine Rückstellung, die sie nach dem Abschluss des Vergleichs für 1984 entsprechend von 465.000,-- DM um 1.535.000,-- DM auf insgesamt 2.000.000,-- DM erhöhte. Der Beklagte rechnete der Klägerin zu 2. im Feststellungsbescheid für 1984 die Rückstellungszuführung in Höhe von 1.535.000,-- DM als Sonderbetriebseinnahme zu.

Der gegen die Feststellungsbescheide für 1983 bis 1985 gerichteten Klage (4 K 1785/93) gab das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 28. August 1998 hinsichtlich des Bescheides für 1984 überwiegend statt. Es entschied, die Sonderbetriebseinnahme entfalle nur in Höhe von 165.000,-- DM auf das Jahr 1984. Im Übrigen führte es aus, dass die Sondervergütung in Höhe von 2.000.000,-- DM auf die Jahre 1981 bis 1985 aufzuteilen sei.

Bei der Aufteilung betreffend die Jahre 1981 bis 1984 ergäben sich für die Jahre 1981 und 1982 je 150.000,-- DM sowie für die Jahre 1983 und 1984 je 165.000,-- DM. Somit verbleibe ein Betrag in Höhe von 1.370.000,-- DM, der auf die Ansprüche für das Jahr 1985 sowie auf die zukünftigen Ansprüche entfalle. Auf die Höhe des Betrages für das Jahr 1985 brauche aber nicht eingegangen zu werden, da das Gericht den Feststellungsbescheid für 1985 nicht verbösern dürfe (Bl. 42 ff. der Prozessakte - PA -). Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft.

Unter dem 4. Januar 1999 erließ der Beklagte einen nach § 174 Abs. 3 und 4 AO geänderten Feststellungsbescheid für 1985, in welchem er die vom Finanzgericht ermittelte Restsumme der Abfindung in Höhe von 1.370.000,-- DM berücksichtigte.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl die Klägerin zu 1) als auch die Klägerin zu 2) nach erfolglosem Vorverfahren Klage (3 K 2082/00), die das FG mit Urteil vom 15. Oktober 2003 als unbegründet abwies. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO für die Änderung des Feststellungsbescheides 1985 vorgelegen hätten. Weiterhin vertrat das Gericht die Auffassung, dass das rechtskräftige Urteil vom 28. August 1998 gemäß § 110 FGO Bindungswirkung entfalte und es deshalb nicht mehr in eine erneute sachliche Prüfung einsteigen müsse. Auf Grund der von den Klägern eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 24. August 2005 (VIII B 36/04) das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Zur Begründung führte der BFH aus, dass das FG es zu Unrecht unter Hinweis auf die Rechtskraft der ersten Entscheidung abgelehnt habe, sich mit den materiellen Einwendungen der Klägerinnen gegen die Richtigkeit des geänderten Feststellungsbescheids für 1985 zu befassen. Denn das FG habe im ersten Verfahren nicht darüber entschieden, ob und in welcher Höhe ein Teilbetrag der Vergleichszahlung auf das Jahr 1985 entfalle. Aus den Entscheidungsgründen lasse sich zwar folgern, dass nach der Auffassung des FG im ersten Verfahren der restliche Teilbetrag auf das Jahr 1985 entfallen sollte. Diese Auffassung nehme jedoch nicht an der Rechtskraft des Urteils teil. Das Finanzamt sei daher mangels entgegenstehender Rechtskraft des Urteils vom 28. August 1998 befugt gewesen, in einem Folgebescheid gemäß § 174 Abs. 4 AO erneut darüber zu entscheiden, ob und in welc...

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