Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Befugnis des nicht zuständigen Staates, Kindergeld zu gewähren bei Zweitwohnsitz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Arbeitnehmer, der in einem anderen EU-Staat beschäftigt ist und dort mit seiner Familie wohnt, der jedoch eine weitere Wohnung im Inland beibehalten hat, in der er seinen Urlaub und die Familie die Schulferien verbringt, hat dort einen - weiteren - Wohnsitz.

2. Aus der Befugnis des nicht zuständigen EU-Staates zur Gewährung von Familienleistungen folgt kein Anspruch des Inhabers eines Nebenwohnsitzes auf Gewährung von Kindergeld.

 

Normenkette

AO § 8; EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1; VO (EWG) 1408/71 Art. 13

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.12.2013; Aktenzeichen III R 44/12)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 62 EStG erfüllt.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist der Vater der am 25.06.1999 geborenen P und der am 08.12.2007 geborenen A. Seit 1977 bewohnt er eine Einliegerwohnung im Haus seiner Eltern in K, H-Straße Hausnummer. Ab November 2005 war er arbeitslos. Seit dem 01.06.2006 ist er in der ...er Niederlassung der Firma P (in Tschechien) beschäftigt. Die Ehefrau des Klägers wohnt mit beiden Kindern in P (Tschechien); P besucht dort die deutsche Schule.

Dem Kläger war im Jahr 2006 für P Kindergeld gewährt worden. Nachdem die beklagte Familienkasse zu der Beurteilung gelangt war, dass dem Kläger ab Juli 2006 für P kein Kindergeld mehr zustehe, hob sie mit Bescheid vom 01.05.2009 die Kindergeldfestsetzung auf und forderte den überzahlten Betrag für die Zeit von Juli 2006 bis September 2008 in Höhe von 4.158 € zurück. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung wurde § 70 Abs. 2 EStG angegeben.

Seinen dagegen gerichteten Einspruch begründete der Kläger zunächst damit, dass die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG nicht vorgelegen hätten, denn die Verhältnisse hätten sich nicht geändert; bereits bei Bewilligung des Kindergeldes habe er in P gearbeitet.

Zudem lägen aber auch die Anspruchsvoraussetzungen vor. Der Kläger habe einen Wohnsitz i. S. des § 8 AO in K. Er habe die Einliegerwohnung unter Umständen inne, die darauf schließen ließen, dass er die Wohnung beibehalten und nutzen werde. Er nutze die Wohnung auch mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Er habe nie beabsichtigt, seinen Wohnsitz nach P zu verlegen und betrachte K weiterhin als seinen Lebensmittelpunkt. Er habe die Stelle in P lediglich angenommen, um nicht mehr arbeitslos zu sein. Während des Urlaubs und der Schulferien halte die Familie sich stets in K auf.

Die Frage des Wohnsitzes könne für die Beurteilung der unbeschränkten Steuerpflicht nicht anders beantwortet werden als für die Kindergeldberechtigung.

Die Beklagte hat den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.02.2009 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung führte sie aus, ein Wohnsitz setze zum Wohnen geeignete Räume voraus, über die der Steuerpflichtige tatsächlich verfügen könne und die er nicht nur vorüber gehend nutze. Diese und die weiteren Voraussetzungen des § 62 EStG für die Anspruchsberechtigung lägen im Streitfall nicht vor. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sei § 173 Abs. 1 AO.

Zur Begründung seiner Klage wiederholt der Kläger sein Vorbringen im Einspruchsverfahren und beruft sich auf das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 09.02.2010 - 4 K 5221/08. Ergänzend trägt er vor, gegen das Urteil des BFH vom 19.11.2008 - III R 108/06, mit dem der BFH entschieden habe, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet gewesen sei, eine Vertrauensschutzregelung zu schaffen, sei Verfassungsbeschwerde erhoben worden. Er beantrage, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhen zu lassen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 5. Januar 2009 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung von Kindergeld in Höhe von 4.158 € sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder ab Oktober 2008 zu gewähren,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Sie trägt ergänzend zu ihren Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor, es genüge nicht dass der Kläger und seine Familie die von seinen Eltern unentgeltlich zur Verfügung gestellte Einliegerwohnung als Ferienwohnung nutzen würden.

Das BFH-Urteil vom 19.11.2008 - III R 108/06 sei grundsätzlich anzuwenden. Dem Ruhen des Verfahrens werde zugestimmt.

Mit Beschluss vom 24.07.2009 wurde das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 292/09 angeordnet. Nachdem das Verfahren 2 BvR 292/09 sich aufgrund des Erlasses der Rückforderung des Kindergeldes erledigt hatte, wurde das Verfahren wieder aufgenommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Änderung kann auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt werden. Die Tatsache, dass der Kläger nach Tschechien verzogen war, wurde nachträglich bekannt. ...

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