Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzverfahren: Aufrechnung mit auf nicht pfändbares Arbeitseinkommen zurückzuführenden Lohnsteuererstattungsanspruch, Wirksamkeit eines an den Insolvenzverwalter nur als Zustellvertreter bekanntgegebenen Einkommensteuerbescheids

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeter Lohnsteuererstattungsanspruch, der auf nicht pfändbaren Arbeitslohn i.S. des § 850 ZPO beruht, teilt nicht das --die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse ausschließende-- Schicksal des insolvenzfreien Arbeitslohns. Eine Aufrechnung mit dem als Masseforderung anzusehenden Erstattungsanspruch verstößt gegen § 96 InsO.

Die Wirksamkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen auf die bloße Erklärung von nichtselbständigen Einkünften ergehenden Einkommensteuerbescheids erfordert eine Adressierung an den Insolvenzverwalter. Der an den Insolvenzschuldner adressierte und dem Insolvenzverwalter lediglich als Zustellvertreter bekanntgegebene Einkommensteuerbescheid ist unwirksam.

 

Normenkette

AO § 218 Abs. 2, § 226; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 29.01.2010; Aktenzeichen VII B 188/09)

 

Tatbestand

Über das Vermögen des Herrn R. P. O. wurde am 8. November 2002 vom Amtsgericht M das Insolvenzverfahren eröffnet (Az.: 7 IN .../02). Das Insolvenzverfahren wurde zwischenzeitlich mit Beschluss vom 17. Dezember 2008 aufgehoben.

Die Klägerin ist die Insolvenzverwalterin. Der Schuldner, Herr R. P. O., war gem. §§ 25, 26 Abs. 2, 26a des Einkommensteuergesetzes -EStG- für das Kalenderjahr 2005 - getrennt von seiner Ehefrau - zur Einkommensteuer veranlagt worden. In der am 12. Dezember 2006 beim Finanzamt K eingereichten Einkommensteuererklärung 2005 hatte Herr O lediglich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Jahresbruttolohn hatte 4.415,-- € betragen. Das Arbeitsverhältnis hatte lediglich vom 01. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 bestanden. Vom Jahresbruttolohn hatte der Arbeitgeber Lohnsteuern in Höhe von 492,21 €, Solidaritätszuschlag von 26,69 € und Kirchenlohnsteuer von 44,01 € einbehalten. Der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag war in der Lohnbescheinigung mit 430,53 € angegeben worden. Des Weiteren hatte Herr O Arbeitslosengeld i.H.v. 680,-- € bezogen. Als Zustellvertreterin hatte Herr O die Klägerin benannt. Die Veranlagung hatte bei der Einkommensteuer 2005 zu einem Guthaben in Höhe von 493,- €, bei der Kirchensteuer (rk) zu einem Guthaben in Höhe von 44,01 € und beim Solidaritätszuschlag zu einem Guthaben in Höhe von 26,69 € geführt. Der Einkommensteuerbescheid vom 22. Januar 2007 war der Klägerin als Zustellvertreterin bekannt gegeben worden.

Mit dem Guthaben rechnete der Beklagte rückständige Lohnsteuer für das 4. Quartal 1996 auf. Diese Lohnsteuerforderung hatte der Beklagte am 8. Januar 2003 zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Beklagte behandelte die Erstattungsforderung aus der Einkommensteuerveranlagung 2005 als insolvenzfreies Vermögen; er begründete das damit, dass der ursächlich in Zusammenhang stehende Arbeitslohn wegen seiner geringen Höhe in voller Höhe unpfändbar und damit nicht in die Insolvenzmasse gefallen sei. Der für Pfändungszwecke zu ermittelnde Nettoarbeitslohn errechnete sich auf jährlich 3.421,56 € (Bruttolohn 4.415,- € vermindert um die einbehaltenen Abzugsbeträge von 562,91 € und den Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung von 430,53 €). Da das Arbeitsverhältnis nur vom 01. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 bestanden hatte, errechnete der Beklagte hieraus einen durchschnittlichen Monatsnettolohn von 570,- € (1/6 von 3.421,56 €). Nach der für 2005 geltenden Rechtslage der §§ 850 c ff der Zivilprozessordnung -ZPO- waren für Herrn O Lohnanteile bis 1.290,- € pfändungsfrei.

Die Klägerin wandte sich gegen die Aufrechnung unter Hinweis auf das laufende Insolvenzverfahren. Darauf hin erließ der Beklagte am 27. April 2007 den streitbefangenen Abrechnungsbescheid.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch mit der Begründung ein, dass der Erstattungsanspruch als Insolvenzforderung an die Insolvenzmasse auszuzahlen sei, ungeachtet der Frage, ob ein Zusammenhang mit pfändbarem oder pfändungsfreiem Arbeitslohn bestanden habe. Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 7. Juni 2006 VII B 329/05 (BStBl II 2006, 641) sei eine Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung -InsO- unzulässig.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 18. Juli 2007 als unbegründet zurück und verwies darin, dass er zu Recht die Frage der Zulässigkeit und Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung im Abrechnungsbescheid i.S. von § 218 Abs. 2 AO bestimmt habe.

Nach § 35 InsO werde auch der Neuerwerb vom Insolvenzbeschlag erfasst und gehöre in die Insolvenzmasse. Hierzu zählten nach der Entscheidung des BGH auch Steuererstattungsansprüche (BGH-Beschluss vom 12. Januar 2006, IB ZB 239/04, a.a.O.). Über § 36 InsO gehörten aber Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterlägen, nicht zur I...

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