Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage der Auslegung bzw. Umdeutung von Erklärungen

 

Leitsatz (redaktionell)

Erklärungen sind in entsprechender Anwendung des § 133 BGB auszulegen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Erklärung auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat.

Eine Umdeutung der Verfahrenserklärungen von Angehörigen der rechts- oder steuerberatenden Berufe scheidet regelmäßig aus. Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige wie Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte mit ihren Verfahrenserklärungen beim Wort zu nehmen. Bei diesen Personen kann davon ausgegangen werden, dass sie sich über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im Klaren sind.

 

Normenkette

AO § 164 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 14.06.2011; Aktenzeichen V B 24/10)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Änderung von Umsatzsteuerbescheiden nach § 164 Abs. 2 AO vorliegen.

Der Kläger ist als Betreiber von Geldspielgeräten unternehmerisch tätig.

Die Umsatzsteuer für die Jahre 1995 bis 1997 wurde mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheiden vom 27.07.1998 (USt 1995), vom 07.10.1998 (USt 1996) und vom 16.11.1999 (USt 1997) festgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb jeweils bestehen. Die Bescheide wurden am gleichen Tag zur Post gegeben.

Die am 07.10.1999 eingegangene Umsatzsteuererklärung 1998 stand nach Zustimmung des Finanzamt einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 AO). Die Zustimmung wurde dem Steuerpflichtigen mit Mitteilung für 1998 über Umsatzsteuer vom 02.11.1999 erklärt.

Mit Schreiben vom 06.07.2001 stellte der Kläger, vertreten durch seinen steuerlichen Berater, den Antrag „den Vorbehalt der Nachprüfung für die oben genannten Umsatzsteuerbescheide 1995, 1996, 1997 und die Mitteilung zur Umsatzsteuer 1998 aufrechtzuerhalten“.

Das Schreiben enthielt folgende Begründung:

„Der Bundesfinanzhof hat entgegen dem Finanzgericht Münster in seiner Entscheidung vom 30.11.2000 (BFH/NV 2001, 657) in einem Beschluss erklärt, es sei ernstlich zweifelhaft, ob Geldspielautomatenumsätze besteuert werden dürfen unter Berücksichtigung der Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG.

Bis zur Entscheidung in diesem Rechtsbehelfsverfahren beantragen wir Ruhen des Verfahrens für die o.g. Bescheide“

Mit beim Finanzamt am 22.09.2006 eingegangenem Schreiben legte der Kläger vertreten durch seinen Steuerberater Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 1995 bis 1998 ein.

Zur Begründung bezog er sich auf das Schreiben seines damaligen Steuerberaters vom 06.07.2001. Dieses sei versehentlich nicht mit Einspruch überschrieben worden, sei aber hinsichtlich Sinn und Inhalt wie ein Einspruch formuliert. Auch der Antrag auf Ruhen des Verfahrens sei nur im förmlichen Rechtsbehelfsverfahren sinnvoll gewesen.

Das Finanzamt verwarf die Einsprüche wegen Verfristung mit Einspruchsentscheidung vom 07.03.2007 als unzulässig. Die dagegen beim Finanzgericht erhobene Klage (Az. 2 K 557/2007) wurde in der mündlichen Verhandlung am 09.02.2010 vom Kläger zurückgenommen.

Mit Bescheid vom 21.03.2007 lehnte das Finanzamt den Antrag des Klägers vom 06.07.2001 ab. Es legte das Schreiben als Antrag auf Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung aus. Eine Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung nach Eintritt der Festsetzungsverjährung sei nicht zulässig, da der Vorbehalt der Nachprüfung kraft Gesetzes wegfalle.

Den gegen den Bescheid vom 21.03.2007 eingelegten Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 10.12.2008 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 21.03.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.12.2008 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die Umsatzsteuerfestsetzungen 1995 bis 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.03.2007 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für das Jahr 1995 auf 30.656,35 DM, für das Jahr 1996 auf 38.424,88 DM, für das Jahr 1997 auf 29.307,72 DM und für das Jahr 1998 auf 41.321,07 DM festgesetzt wird.

Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor:

Das Schreiben vom 06.07.2001 sei dahin auszulegen, dass die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für den Fall begehrt werde, dass der EuGH ein für den Kläger günstiges Urteil erlässt. Diese Auslegung ergebe sich aufgrund der weiteren Begründung in dem Schreiben.

Auch der Inhalt von Erklärungen rechtskundiger Personen sei durch Auslegung zu bestimmen. Bei der Auslegung sei grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Der wörtliche Antrag, den Vorbehalt der Nachprüfung aufrecht zu erhalten, ergebe keinen Sinn. Zumindest sei das Schreiben als Antrag auf Aufnahme einer Vorläufigkeitserklärun...

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