Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeldberechtigung eines in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten für ein Kind in Polen

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Elternteil, der in Deutschland nichtselbständig, sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, ist für seine studierende, noch nicht 25jährige Tochter, die bei dem geschiedenen anderen, nicht berufstätigen Elternteil lebt und für die keine polnischen, dem Kindergeld vergleichbaren Leistungen bezogen werden, kindergeldberechtigt.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; VO Nr. 883/2004 (EG) Art. 11 Abs. 1883/2004 (EG) Art. 11 Abs. 1, Nr. 883/2004 (EG) Art. 11 Abs. 3 Buchst. a883/2004 (EG) Art. 11 Abs. 3 Buchst. a; EStG § 64 Abs. 2 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 07.07.2016; Aktenzeichen III R 42/12)

BFH (Urteil vom 07.07.2016; Aktenzeichen III R 42/12)

 

Tatbestand

Streitig ist die Festsetzung inländischen Kindergeldes zu Gunsten des im Inland lebenden und erwerbstätigen Kindesvaters für ein bei der Kindesmutter in Polen lebendes Kind.

Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und lebt in J.. Seine am 25.05.1990 geborene Tochter B1. T. lebt in Polen bei der Kindesmutter, von der der Kläger geschieden ist. B1. studiert in Polen. Die Kindesmutter, die nicht erwerbstätig ist, bezog für B1. bis August 2009 dem inländischen Kindergeld vergleichbare polnische Familienleistungen. Der Kläger erhielt in der Vergangenheit inländisches Differenz-Kindergeld. Er war und ist in J. nichtselbständig, sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Am 16.05.2011 beantragte der Kläger erneut die Festsetzung inländischen Kindergeldes für B1..

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25.05.2011 ab. Zur Begründung trug sie vor, B1. lebe im Haushalt der Kindesmutter in Polen, so dass der Kläger nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht anspruchsberechtigt sei.

Der Einspruch, mit dem der Kläger sich auf die ausschließlich von ihm erbrachten Unterhaltszahlungen für B1. berief, blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 06.10.2011 führte die Beklagte an, die Haushaltsaufnahme durch die Kindesmutter, die einen Anspruch auf inländisches Kindergeld nach den Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes (BKKG) habe, gehe bei der Frage der Anspruchsberechtigung dem Kriterium der Unterhaltszahlungen vor.

Mit der am 04.11.2011 erhobenen Klage beansprucht der Kläger weiterhin die Festsetzung inländischen Kindergeldes. Die Kindesmutter beziehe für B1. in Polen keine Familienleistungen mehr. Den Unterhalt für B1. bestreite ausschließlich er, der Kläger.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 25.05.2011 und der hierauf ergangenen Einspruchsentscheidung vom 06.10.2011 zu seinen Gunsten für dessen Tochter B1. T., geb. am 25.05.1990, ab Mai 2011 Kindergeld in Höhe von monatlich EUR 184 festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer im außergerichtlichen Verfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Kindergeldakte verwiesen.

Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 27.02.2012 darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für einen inländischen Kindergeldanspruch der Kindesmutter nach den Vorschriften des BKKG nicht vorgelegen haben dürften.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –), ist begründet. Der Bescheid über die Ablehnung der Festsetzung des Kindergeldes für die in Polen lebende Tochter des Klägers und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 101 FGO).

Der Kläger hat – wie beantragt – ab dem Monat Mai 2011 einen Anspruch auf Festsetzung inländischen Kindergeldes für seine in Polen bei der Kindesmutter lebende Tochter B1..

1. Der Kläger ist nach den nationalen Regelungen Deutschlands für seine Tochter B1. für den Streitzeitraum nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG persönlich kindergeldberechtigt. Der Wohnsitz B1.s in Polen ist unschädlich (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Sie befindet sich in Polen als Studentin in Berufsausbildung und hat das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Anhaltspunkte dafür, dass B1. im Jahr 2011 eigene Einkünfte und Bezüge erwirtschaftete, die den seinerzeit noch geltenden Jahresgrenzbetrag von EUR 8.004 (ggf. auch nur anteilig) überstiegen, liegen nicht vor.

2. Ausschlusstatbestände sind nicht einschlägig, weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht.

a. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der inländische Kindergeldanspruch des Klägers nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Zwar trifft es zu, dass die Tochter B1. nicht im Haushalt des Klägers, sondern in dem d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge