1 Grundsatz der mündlichen Verhandlung, § 90 Abs. 1 FGO

1.1 Allgemeines

 

Rz. 1

Gemäß § 90 Abs. 1 S. 1 FGO entscheidet das Gericht grundsätzlich auf Grund mündlicher Verhandlung. Eine mündliche Verhandlung ist nur dann nicht durchzuführen, wenn sie aufgrund von Ausnahmeregelungen unterbleiben kann .[1] Die mündliche Verhandlung bildet regelmäßig den Kern des gerichtlichen Verfahrens, der das Gesamtergebnis des Verfahrens[2] prägt. Sie dient insbesondere dazu, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Der Zweck der mündlichen Verhandlung besteht zudem darin, dass das Gericht und die Beteiligten gemeinsam das Gesamtergebnis des Verfahrens i. S. v. § 96 FGO erarbeiten[3]. Dies ist für die Finanzgerichtsbarkeit, in der es nur eine Tatsacheninstanz gibt, von besonderer Wichtigkeit, gerade auch bei nicht vertretenen Klägern[4]. Allerdings besteht ein grundgesetzlich geschützter Anspruch auf eine mündliche Verhandlung an sich nicht[5]. Auch aus Art. 6 EMRK lässt sich ein solcher Anspruch nicht herleiten[6].

 

Rz. 2

Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung s. §§ 9294 FGO.

1.2 Geltungsbereich

 

Rz. 3

Der Grundsatz, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, gilt nach § 90 Abs. 1 S. 1 FGO für Entscheidungen des Gerichts[1], nicht für Anordnungen des Vorsitzenden oder Berichterstatters nach § 79 FGO und nicht für die Beweisaufnahme nach § 81 Abs. 2 FGO durch den beauftragten oder ersuchten Richter.

 

Rz. 4

Aus § 90 Abs. 1 S. 2 FGO ist zu schließen, dass Urteile auf Grund mündlicher Verhandlung ergehen müssen, wenn nicht eine der Ausnahmen vorliegt. Regelmäßig wird über Klagen durch Urteil entschieden[2]. Wird ein Klageverfahren nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss beendet[3], ist eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich.

 

Rz. 5

Beschlüsse und Gerichtsbescheide – weitere Entscheidungen, die nicht Urteile sind, gibt es nicht[4] – können gem. § 90 Abs. 1 S. 2 FGO immer ohne mündliche Verhandlung ergehen. Das gilt auch für Entscheidungen des Großen Senats des BFH, der immer durch Beschluss entscheidet[5].

[1] Senat, Einzelrichter nach § 6 FGO.
[3] Unzulässige Revision gem. § 126 Abs. 1 FGO; Zurückweisung der Revision nach § 126a FGO; Rücknahme gem. § 72 Abs. 2 FGO; Erledigung der Hauptsache gem. § 138 Abs. 1 FGO.

1.3 Umfang

 

Rz. 6

Es genügt nicht eine nur formale mündliche Verhandlung (Stellung der Anträge), sondern die Grundlagen der Entscheidung müssen mündlich verhandelt werden. Es ist der wesentliche Inhalt aller vorliegenden Akten vorzutragen[1] und die Sache ist tatsächlich und rechtlich zu erörtern[2]. Was nicht mündlich verhandelt wurde, darf der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden[3]. Daraus folgt einerseits, dass auch erstmaliger Vortrag in der mündlichen Verhandlung berücksichtigt werden muss, sofern nicht wirksam Ausschlussfristen gesetzt sind[4], andererseits, dass nach Schluss der mündlichen Verhandlung bekannt gewordene Umstände oder eingegangene Schriftsätze grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden können[5].

 

Rz. 7

Erscheinen einzelne oder alle Beteiligte in der mündlichen Verhandlung unentschuldigt nicht, obwohl sie ordnungsgemäß unter entsprechendem Hinweis geladen wurden[6], kann, wenn nicht das persönliche Erscheinen nach § 80 FGO angeordnet war, dennoch eine Beweisaufnahme durchgeführt[7] und entschieden werden. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung beschränkt sich dann auf die Feststellung, dass ordnungsgemäß geladen wurde, und den Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten, um die ehrenamtlichen Richter ins Bild zu setzen[8]. Derjenige, der zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erscheint, kann anschließend regelmäßig nicht die Verletzung der Sachaufklärungspflicht i. S. v. § 76 Abs. 2 FGO rügen[9].

 

Rz. 8

Haben einzelne Beteiligte Schwierigkeiten, am Gerichtsort zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, ist eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz, ggf. mit Beweisaufnahme[10], an verschiedenen Orten gleichzeitig möglich. Die Beteiligten können beantragen, dass ihnen gestattet wird, sich während der mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort wirksam Verfahrenshandlungen vorzunehmen[11].

2 Ausnahmen

 

Rz. 9

Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 1 S. 1 FGO auf Grund mündlicher Verhandlung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Etwas anderes bestimmt ist für Entscheidungen, die nicht Urteile sind .[1] Des Weiteren können die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung verzichten .[2] Ferner ist etwas ande...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge