Entscheidungsstichwort (Thema)

Eröffnung des Finanzrechtswegs, Bindung an Verweisungsbeschluss, Örtliche Zuständigkeit des Finanzgerichts, Änderung Lohnsteuerbescheinigung, Rechtsschutzbedürfnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Für Streitigkeiten über die Erteilung einer Lohnsteuerbescheinigung und die darin aufnehmenden Daten ist ausschließlich die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig.

2) Das Finanzgericht ist an den Verweisungsbeschluss eines Arbeitsgerichts hinsichtlich des Rechtswegs gebunden, es sei denn, die Verweisung ist offensichtlich fehlerhaft.

3) Die durch die Erhebung der Klage begründete örtliche Zuständigkeit des Finanzgerichts wird durch eine nach Rechtshängigkeit eingetretene Veränderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände grundsätzlich nicht berührt.

4) Für eine Klage auf Änderung der Lohnsteuerbescheinigung fehlt nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung das Rechtsschutzbedürfnis.

 

Normenkette

FGO § 70 Abs. 1, § 155; GVG § 17 Abs. 1 S. 1, § 17a Abs. 2 S. 3; EStG § 41c Abs. 3, § 42b Abs. 3; FGO § 33 Abs. 1

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Lohnsteuerbescheinigung der Klägerin für das Jahr 2009 zu ändern ist.

Die Klägerin schloss am 29.10.2009 mit dem Beklagten einen Arbeitsvertrag. Sie wurde mit Wirkung vom 01.11.2009 in der Fachärztlichen Gemeinschaft des Beklagten in F als Assistentin der Geschäftsleitung eingestellt. Das monatliche Gehalt der Klägerin betrug brutto 4.500 EUR.

Bereits am 08.12.2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Nach der am 23.04.2010 ausgestellten Lohnsteuerbescheinigung erhielt die Klägerin für ihre Tätigkeit vom 01.11.2009 bis zum 08.12.2009 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 5.700 EUR. Lohnsteuer ist nach der Lohnsteuerbescheinigung in Höhe von 1.350,15 EUR, Solidaritätszuschlag in Höhe von 74,22 EUR und Kirchensteuer des Arbeitnehmers und seines Ehegatten in Höhe von jeweils 60,72 EUR einbehalten worden. Der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung betrug im Jahre 2009 nach der Lohnsteuerbescheinigung 567,15 EUR, der Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag betrug 504,58 EUR.

Die Anschrift des Beklagten lautete nach der Lohnsteuerbescheinigung H-straße … in I.

Unter dieser Anschrift hat die Klägerin gegen den Beklagten wegen der Eintragungen in der Lohnsteuerbescheinigung Klage erhoben (Aktenzeichen: … Ca …/10).

Die Klägerin meint, es sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet, weil es um die ordnungsgemäße Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflicht des Arbeitgebers gehe, den Erhalt und den Nichterhalt von Arbeitsentgelt zu bestätigen. Es gehe um die Korrektur einer Willenserklärung gemäß § 894 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Sie behauptet zudem in der Sache, sie habe von dem Beklagten kein Gehalt erhalten. Erhalten habe sie lediglich einen Teilbetrag als Aufwendungsersatz für Pkw- und Fahrtkosten, die ihr für zahlreiche Fahrten zwischen F und E entstanden seien.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, dem Finanzamt I gegenüber seine Angaben in der von ihm ausgestellten elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2009 dahingehend zu korrigieren, dass er der Beklagten im Jahr 2009 keinerlei Lohn oder Gehalt gezahlt hat.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Mit Beschluss vom 19.01.2011 hat das Arbeitsgericht F den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt. Den Rechtsstreit verwies es an das Finanzgericht Münster. Der Beschluss vom 19.01.2011 wurde dem Beklagten am 29.01.2011 unter seiner Adresse in I zugestellt.

Das Einwohnermeldeamt F hat auf die Nachfrage des Gerichts vom 04.07.2011 mitgeteilt, dass der Kläger nunmehr auf dem J-weg … in F wohnt. Unter der H-straße … in I sei der Beklagte nur mit seinem zweiten Wohnsitz gemeldet. Die dort unterhaltene Praxis sei allerdings inzwischen geschlossen.

In der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2011 ist der Beklagte nicht erschienen. Seine ordnungsgemäße Ladung ist festgestellt worden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Klage, über die der Senat trotz seiner sachlichen Unzuständigkeit entscheiden muss, ist unzulässig.

1. Obwohl das Finanzgericht sachlich unzuständig ist, muss der Rechtsstreit nicht an die sachlich zuständige Arbeitsgerichtsbarkeit verwiesen werden.

a) Gemäß § 33 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Finanzrechtsweg ausschließlich in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten eröffnet. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist gegeben, wenn das in Streit stehende Rechtsverhältnis öffentlichrechtlich ist. Ein Rechtsverhältnis ist die Beziehung zwischen zwei Personen oder einer Person zu einer Sache, die sich aus einem konkreten Lebenssachverhalt durch die Anwendung von Rechtsnormen ergibt; ergibt sich das Rechtsverhältnis aus öffentlichrechtlichen Rechtsnormen, ist seine Natur öffentlich-rechtlich. Nach der Sonderrechtstheorie ist eine Rechtsnorm öffentlich-rechtlich, wenn sie Sonderrecht für einen Hoheitsträger regelt, wenn nach ihr also Berechtigter oder Verpflichteter nur ein Hoheitsträger s...

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