Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbschaftsteuerbefreiung für Familienheim: Wegfall wegen Aufgabe der Selbstnutzung zu Wohnzwecken – Zwingende Hinderungsgründe – Abriss wegen Gebäudemängel – Gesundheitsbedingte Unmöglichkeit der selbständigen Haushaltsführung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Bauliche Mängel an einem ererbten Familienheim, die den Abriss des Gebäudes aus wirtschaftlichen Erwägungen geboten erscheinen lassen, sind keine zwingenden objektiven Gründe, die dem rückwirkenden Wegfall der Erbschaftsteuerbefreiung bei Aufgabe der Selbstnutzung zu Wohnzwecken innerhalb der 10-Jahresfrist entgegenstehen.
  2. Eine Aufgabe der Selbstnutzung des Wohnhauses aus zwingenden Gründen wegen der Unmöglichkeit der selbständigen Haushaltsführung ist auch zu verneinen, wenn die die Räume im Obergeschoss nutzende Erbin aus gesundheitlichen Gründen auf die Hilfe eines - im Haus wohnenden – Bekannten beim Treppensteigen und bei ihrer Versorgung angewiesen war.
 

Normenkette

ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 5; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 01.12.2021; Aktenzeichen II R 18/20)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter des am 4. Januar 1917 geborenen Erblassers A. Der Erblasser war Eigentümer eines Grundstücks mit einer Grundfläche von 588 qm. Das Grundstück wurde im Jahr 1951 mit einem Wohnhaus bebaut, das über eine Wohn- und Nutzfläche von 148 qm verfügte. Der Erblasser bewohnte gemeinsam mit der Klägerin das Wohnhaus.

Der Erblasser verstarb zwischen dem 21. und 22. März 2009. Er wurde von der Klägerin allein beerbt. Diese wohnte weiterhin in dem Wohnhaus 56. Dabei nutzte sie das Obergeschoß des Hauses zu Wohnzwecken.

Die Klägerin machte mit ihrer am 23. Februar 2010 beim beklagten Finanzamt eingereichten Erbschaftsteuererklärung die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für das Grundstück geltend.

Das beklagte Finanzamt setzte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 6. September 2010 11.121 € Erbschaftsteuer fest. Dabei setzte es das Grundstück mit dem vom Finanzamt festgestellten Wert von ................... € an, gewährte insoweit jedoch die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG.

Die Klägerin zog am 4. August 2016 aus dem Wohnhaus aus. Das Gebäude wurde am 5. August 2016 abgerissen.

Nachdem das beklagte Finanzamt im Juni 2018 erfahren hatte, dass die Klägerin nicht mehr unter der Anschrift gemeldet war, teilte diese auf Nachfrage unter dem 4. Juli 2018 mit, das von ihr geerbte Wohnhaus sei auf Grund vieler Mängel nicht mehr bewohnbar gewesen und deshalb abgerissen worden. Sie habe auf einem Nachbargrundstück eine Wohnung angemietet.

Das beklagte Finanzamt setzte daraufhin die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin mit einem auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützten Bescheid neu fest. Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG gewährte es nicht mehr.

Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch trug die Klägerin vor: Das Wohnhaus auf dem Grundstück sei nicht mehr nutzbar gewesen und deshalb abgebrochen worden. Der Keller des Gebäudes sei alt, nicht isoliert und nass gewesen. Renovierungen oder Sanierungen seien an dem Gebäude seit seiner Errichtung nicht durchgeführt worden. Die Fenster seien einfachverglast gewesen. Die Rohrleitungen und die Elektroinstallationen seien veraltet gewesen. Die nachträglich eingebaute Gasheizung sei bereits 30 Jahre alt gewesen. Eine heutigem Standard entsprechende energetische Sanierung des Hauses wäre mit einem höheren Aufwand verbunden gewesen als ein Neubau. Fachleute hätten ihr davon abgeraten, Investitionen vorzunehmen, um das Haus weiterhin bewohnbar zu machen und zu erhalten. Darüber hinaus habe sie im Jahr 2012 zwei Bandscheibenvorfälle erlitten. Deshalb sei es ihr nicht mehr möglich, Treppen zu steigen. Sie sei aus diesem Grund nicht mehr in der Lage gewesen, das Wohnhaus, das über eine steile und sehr enge Treppe verfügt habe, zu nutzen. Sie könne zudem wegen eines in den Jahren 2014/2015 aufgetretenen Hüftleidens nur noch an Krücken laufen. Dies mache es ihr spätestens seit dem Jahr 2015 unmöglich, Treppen zu steigen. Der Einbau eines Treppenlifts in das Wohnhaus wäre wegen des Zustands des Gebäudes unwirtschaftlich gewesen. Einer ihr von einem Orthopäden empfohlenen Operation könne sie sich wegen unüberwindbarer Angstzustände nicht unterziehen. Sie habe sich daher entschlossen, das Hausgrundstück zu veräußern und in eine Erdgeschosswohnung auf einem Nachbargrundstück zu ziehen. Ihr Gesundheitszustand sei mit einer Pflegebedürftigkeit zu vergleichen.

Die Klägerin übersandte ein Schreiben eines Orthopäden vom 14. August 2018 über Diagnosen, Therapien und Empfehlungen (Bl. 27 GA).

Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 10. Oktober 2018 zurück und führte aus: Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG sei weggefallen, weil die Klägerin das Wohnhaus auf dem Grundstück nicht mehr zu Wohnzwecken nutze. Sie sei nicht aus zwingenden Grün...

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