Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten. Schätzung der Erlöse aus einem Bordellbetrieb

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG müssen die Betriebseinnahmen mit der gebotenen Klarheit und Nachvollziehbarkeit aufgezeichnet werden, zumal wenn es sich ausschließlich um Bareinnahmen handelt.

2. Zu den „Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung” gehört auch die Beachtung der Vorschrift des § 147 AO. Die Aufbewahrung aller Belege ist in der Regel notwendige Voraussetzung für die Schlussfolgerung, dass nicht nur die geltend gemachten Betriebsausgaben betrieblich veranlasst, sondern auch die Betriebseinnahmen vollständig erfasst sind.

3. Zur Schätzung der Erlöse aus gewerblicher Zimmervermietung im Rahmen eines Bordellbetriebs.

 

Normenkette

AO § 162 Abs. 1, §§ 158, 147; EStG § 4 Abs. 1, 3-4, § 5 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Bescheide vom 12. Juli 2016 betreffend Einkommensteuer 2006 bis 2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 10. April 2017 werden mit der Maßgabe geändert, dass von folgenden Nettoerlösen auszugehen ist:

Betrieb C…:

jeweils 370.000,00 EUR für 2007 und 2008;

Betrieb D…:

68.000,00 EUR für 2006,

68.646,86 EUR für 2007

sowie 68.722,46 EUR für 2008.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu 60 % und dem Beklagten zu 40 % auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

Die Prozessbeteiligten streiten über die Ergebnisse einer Außenprüfung bei Herrn E… betr. die Jahre 2006 bis 2008.

Der 1967 geborene E… wurde mit seiner 1966 geborenen Ehefrau F… für die o. g. Streitjahre vom Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Seine Ehefrau verstarb am 27. September 2018 und wurde von ihren beiden Söhnen A… (geboren am 25. November 19…) und B… (geboren am 12. Juli 20…), den Klägern zu 1. und 2., beerbt. E… schlug seine Erbschaft am 1. November 2018 aus (UR-Nr. …/2018 des Notars Andreas G… in H…).

E… erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus verschiedenen Quellen. Er betrieb u. a. seit dem 1. Januar 1993 einzelunternehmerisch einen Einzelhandel mit Zeitungen, Tabakwaren und Getränken sowie eine Schank- und Speisewirtschaft unter der Bezeichnung „I…” in 12107 H…, J…-straße. Außerdem betrieb er – ebenfalls einzelunternehmerisch – an zwei Standorten als gewerbliche Zimmervermietung bezeichnete Bordelle namens „C…” (Ort: H…, K…-straße; Betriebsbeginn: 2005) und „D…” (Ort: H…, L…-straße; Betriebsbeginn: 1998). In diesen Bordellen vermietete er stundenweise möblierte Zimmer für sexuelle Dienstleistungen an Prostituierte unter (er selbst war Hauptmieter der jeweils als Bordell genutzten Wohnungen). Das „C…” verfügte über acht für die Prostitution vorgesehene Zimmer und zwei Duschbäder, das „D…” über drei zur Prostitution genutzte Räume und ein Bad. Ein Zimmer im „C…” war mit speziellen Vorrichtungen für sog. „Domina-Praktiken” ausgestattet (Hand- und Fußfesseln am Bett etc.).

Die auf diese Weise erzielten Einkünfte ermittelte E… im Jahr 2006 noch durch Einnahmen-Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 des EinkommensteuergesetzesEStG –) und in den Jahren 2007 und 2008 durch Betriebsvermögensvergleich. E… wurde in den Streitjahren von Herrn Steuerberater M… aus H… steuerlich gegenüber dem Beklagten vertreten.

Die Zimmervermietungen wurden in den Jahren 2009 ff. fortgesetzt. Der Standort des Bordells „C…” wurde dabei an einen anderen Ort verlegt: H…, N…-straße.

E… sorgte neben der Zurverfügungstellung entsprechend ausgestatteter Räumlichkeiten auch für die Präsenz von Prostituierten durch zentrale Registrierung und Aufteilung in Arbeitsschichten. Er stellte Hausdamen/Wirtschafterinnen als seine Arbeitnehmerinnen an, übernahm die Organisation der Abläufe und schaltete entsprechende Inserate in Zeitungen. Auf den eingerichteten Internetseiten der Etablissements (z. B. „www. … .de”) bewarb er 20- bis 60-minütige sexuelle Dienstleistungen zu festen Preisen (z. B. 30 Minuten sexuelle Dienstleistungen für 80,00 EUR Honorar im „C…”). Der Freier könne eine Auswahl aus einer Vielzahl „junger und schöner Frauen” treffen. Mögliche „Extras” konnten mit den Prostituierten individuell vereinbart werden. Für eine telefonische Kontaktaufnahme von Freiern mit den beiden Betrieben und den dort tätigen Prostituierten z. B. zwecks Terminvereinbarung war in der Werbung jeweils eine zentrale Telefonnummer angegeben. Die entsprechenden Telefonanschlüsse lauteten auf den Namen von E… und wurden von ihm finanziert. Anrufe unter den Telefonnummern der beiden Betriebe nahm in der Regel die jeweils anwesende Hausdame/Wirtschafterin in Vertretung von E… entgegen und notierte die Terminwünsche der Freier oder leitete ggf. das Gespräch an eine Prostituierte weiter. E… selbst war fast jeden Tag zumindest stunde...

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