Entscheidungsstichwort (Thema)

Plausibilität eines Verkehrswertgutachtens für eine Immobilie als Grundlage für die Erbschaftsteuer. plausible Ableitung des Bodenrichtswerts aus vom Gutachterausschuss zonal, nicht lagetypisch gegliederten Bodenrichtwerten sowie plausible Ableitung des Liegenschaftszinssatzes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Soll bei der Feststellung des Grundbesitzwerts für die Erbschaftsteuer ein geringerer gemeiner Wert gem. § 198 BewG durch ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung nachgewiesen werden, muss ein solches Gutachten zunächst vom FA, ggf. nachfolgend vom Gericht ohne Zuhilfenahme weiterer Sachverständiger auf seine Schlüssigkeit (Plausibilität) hin überprüfbar sein, wobei eine Beweisaufnahme, insbesondere die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, nicht in Betracht kommt.

2. Ob das Gutachten inhaltlich den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Abschläge, insbesondere vom Bodenwert, sowie Spanneneinordnungen, Beträge und dergleichen müssen vom Gutachter objektivierbar und grundstücksbezogen begründet sein, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern auch hinsichtlich der Höhe.

3. Auch ein nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen entsprechendes Gutachten kann berücksichtigt werden, wenn etwaige Lücken im Gutachten vom FA und vom Gericht selbst ohne eine weitere Beweiserhebung geschlossen werden können. Ist etwa ein vorgenommener Abschlag nicht hinreichend begründet, ist lediglich dieser Abschlag zu streichen (vgl. BFH, Urteil v. 3.12.2008, II R 19/08).

4. Wird ein Gutachten für einen vor dem 1.7.2010 liegenden Bewertungszeitpunkt nach dem 30.6.2010 erstellt, ist die ImmoWertV, in Kraft ab 1.7.2010 (§ 24 ImmoWertV), nicht die zuvor geltende WertV, anzuwenden, denn es kommt auf den Zeitpunkt der Wertermittlung (also der Gutachtenerstellung) an, nicht auf den Wertermittlungsstichtag.

5. Bodenwerte in Einkaufsstraßen in einer Innenstadt sind extrem lageabhängig, schon wenige hundert Meter Entfernung können einen erheblichen Einfluss haben. Daher sind abweichende Grundstücksmerkmale eines in einer Einkaufsstraße mit einem gehobenen Gepräge belegenen Grundstücks durch angemessene Zu- und Abschläge (z. B. bei tieferen Grundstücken durch unterschiedliche Werte für Vorder- und Hinterlage) auf die vom Gutachterausschuss zonal, nicht lagetypisch ermittelten Bodenrichtwerte, begründet durch allgemeine Erfahrungssätze oder mit dem Verhältnis von plausiblen Kenngrößen, zu berücksichtigen, nicht aber durch bloße Übernahme von Werten einer anderen (im Streitfall: rd. 800 Meter entfernten) Bodenrichtwertzone einer Einkaufsstraße, die nicht über ein vergleichbar hohes Gepräge verfügt.

6. Zu den Anforderungen an ein plausibles Gutachten bei der Ermittlung der nachhaltig erzielbaren Mieten des Grundstücks sowie zur plausiblen Herleitung eines Liegenschaftszinssatzes aus den vom Gutachterausschuss für Grundstückswerte ermittelten Liegenschaftszinssätzen.

 

Normenkette

BewG 2009 § 198 Sätze 1-2, §§ 180, 181 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 182 Abs. 3 Nr. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; ImmoWertV §§ 24, 16 Abs. 1 S. 1, § 16 Ab S. 3, § 16 Ab S. 4, § 15 Abs. 1 S. 3, § 15 Ab S. 4, § 12

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.09.2020; Aktenzeichen II R 1/18)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Bedarfsbewertung für die Erbschaftsteuer um die Plausibilität insbesondere des vom Kläger beigebrachten zweiten Verkehrswertgutachtens.

I.1.

Der Kläger ist Neffe und Alleinerbe des am 01.06.2009 verstorbenen B….

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem 1/3-Miteigentum an dem Hausgrundstück C…-straße in D…. Weitere, insbesondere liquide Vermögensgegenstände sind in der Erbschaft nur in vergleichsweise geringem Umfang enthalten (vgl. Erbschaftsteuerbescheid vom 04.08.2010 FG-A Bl. 107, allgemeiner Freibetrag 20.000 EUR, Steuersatz 30 %).

Der sich aus der standardisierten Methode gemäß §§ 176 bis 197 BewertungsgesetzBewG – ergebende Grundbesitzwert beträgt 4.867.500 EUR.

Der Kläger hat zunächst versucht, mittels eines Verkehrswertgutachtens des von der IHK D… öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken E… vom 27.03.2013 mit mehreren Ergänzungen, zuletzt vom 30.09.2015, gemäß § 198 BewG einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von 1.850.000 EUR nachzuweisen. Das beklagte Finanzamt – FA – war der Auffassung, das Gutachten sei aus mehreren Gründen unplausibel und der Nachweis daher nicht gelungen.

Nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2017 darauf hingewiesen hatte, dass das Gutachten E… zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes ungeeignet sei, machte sich der Kläger diese Auffassung zu Eigen (Protokoll FG-A Bl. 245) und bat um Vertagung, um damit Gelegenheit zu bekommen, ein neues Gutachten erstellen zu lassen.

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