Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 5 EStG nur bei Zwangsversteigerung. wirtschaftliche Betrachtungsweise bei Auslegung steuerlicher Normen. keine Einnahmen aus Kapitalvermögen bei Auszahlung einer verzinslich gestundeten Entschädigung für den Pflichtteilsverzicht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 20 Abs. 1 Nr. 5 EStG kommt nur zur Anwendung, wenn es zu einer Zwangsversteigerung kommt mit Auskehrung des Versteigerungserlöses.

2. Bei der Auslegung steuerrechtlicher Normen kommt der wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine erhöhte Bedeutung zu.

3. Bei einem Verzicht eines Kindes gegenüber seinen Eltern auf künftige Pflichtteilsansprüche liegt kein entgeltlicher Leistungsaustausch zwischen Eltern und Kind und damit keine Kapitalüberlassung des Kindes an die Eltern vor. Bei verzinslicher Stundung der Entschädigung für den Verzicht führt daher die Auszahlung des verzinsten Betrages nicht zu Einnahmen aus Kapitalvermögen.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nrn. 5, 7, § 32d Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 06.08.2019; Aktenzeichen VIII R 22/17)

 

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 31.01.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.09.2017 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, die Kapitalerträge der Ehefrau um 81.011 EUR geringer zugrunde gelegt werden.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob in einer Zahlung im Zusammenhang mit einem Pflichtteilsverzicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen einkommensteuerbare Zinsen enthalten sind.

I.

Die Kläger sind zusammen veranlagte Eheleute. Die Klägerin hat drei ältere Geschwister.

1.a)

Am 22.03.1994 schlossen die Eltern der Klägerin (Geburtsjahrgang 1925 bzw. 1931) und die vier Kinder einen notariellen Pflichtteilsverzichtvertrag (ESt-A Bl. 99). Die Eltern gaben an, sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt zu haben. Die Kinder verzichteten gegenüber dem überlebenden Elternteil auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht gegen Zahlung von je 150.000 DM, zu zahlen bis 31.12.1994. Darüber hinaus verzichtete die Klägerin auf die Auszahlung des Betrages zu diesem Termin. Stattdessen sollte der Betrag an sie ausgezahlt werden nach dem Tode des letztversterbenden Elternteils nebst 5 % Zinsen. Zur Absicherung bewilligten und beantragten die Eltern die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von 150.000 DM nebst 5 % Zinsen zu Lasten eines näher beschriebenen Grundstücks in C….

Außerdem verzichteten die drei Geschwister der Klägerin auf evtl. Pflichtteilsansprüche gegen die Klägerin für den Fall, dass beim Tode des letztversterbenden Elternteils die Klägerin Alleinerbin des Grundbesitzes werden sollte, bezüglich dessen die Grundschuld bestellt wurde.

b)

Am 26.09.1994 errichteten die Eltern ein gemeinschaftliches notarielles Testament (ESt-A Bl. 102). Darin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten, dass beim Tode des Letztversterbenden die Klägerin das bereits vorerwähnte Hausgrundstück in C… nebst den im Grundbuch aufgeführten Ländereien erhalten sollte. Das übrige Vermögen sollten die vier Kinder zu gleichen Teilen erben.

c)

Im Laufe des Jahres 1994 wurde an die Geschwister der jeweilige Betrag gezahlt. Am 04.11.1994 wurde für die Klägerin die Grundschuld eingetragen.

2.a)

Am 13.01.2015 errichteten die Eltern erneut ein gemeinschaftliches notarielles Testament (ESt-A Bl. 105). Darin widerriefen sie alle früheren Verfügungen von Todes wegen, setzten sich erneut gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten, dass beim Tode des Letztversterbenden die drei Geschwister der Klägerin zu gleichen Teilen Schlusserben sein sollten. Weiter wurde unter Verweis auf den Pflichtteilsverzicht vom 22.03.1994 ausgeführt, dass an die drei Geschwister die jeweiligen 150.000 DM (umgerechnet 76.693,78 EUR) im Jahre 1994 ausbezahlt worden seien und dass die Auszahlung des Betrages an die Klägerin nunmehr Zug um Zug gegen Löschung der Grundschuld erfolgen solle.

b)

Nachfolgend bewilligte die Klägerin die Löschung der Grundschuld.

Am 10.11.2015 (ESt-A Bl. 191) wurden von der Grundstücksgemeinschaft D… mit dem Verwendungszweck „Grundstückskauf- und Übertragungsvertrag zur UR-Nr. …/2015 des Notars E…” 157.705,52 EUR überwiesen (150.000 DM, umgerechnet 76.693,78 EUR, daraus 5 % Zinsen vom 26.09.1994 bis 09.11.2015, taggenau berechnet nach der sog. englischen Zinsmethode, mithin 81.011,74 EUR, zusammen 157.705,52 EUR, vgl. ESt-A Bl. 43).

3.

Am 19.11.2015 richtete die Klägerin ein Schreiben an das Finanzamt – FA – F…, Erbschaftsteuerstelle, zeigte darin den Vorgang an, insbesondere den Zufluss von 157.705,52 EUR am 10.1...

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