Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld. keine Unterstellung des Freizügigkeitsrechts rumänischer und bulgarischer Staatsbürger bis zur Feststellung des Nichtbestehens. Nachweispflicht des Antragstellers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU hat keinen rechtsbegründenden Charakter, sondern ist lediglich deklaratorischer Natur, da sich das Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt.

2. § 13 FreizügG/EU in Verbindung mit den besonderen Bedingungen in der Übergangsphase bis zum 31.12.2013 beschränkt für Staatsbürger der beitretenden Staaten Bulgarien und Rumänien das Freizügigkeitsrecht nicht in Gänze, sondern nur in seiner Ausprägung als Arbeitnehmerfreizügigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Ein Freizügigkeitsrecht kann deshalb auch in der Übergangsphase ohne weiteres auf einen der in § 2 Abs. 2 Nrn. 2 bis 7 FreizügG/EU genannten Tatbestände gestützt werden.

3. Die maßgeblich die Rechtssicherheit betreffenden Erwägungen, die in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung dafür sprechen mögen, ein Aufenthaltsrecht gegebenenfalls bis zu einer ausdrücklichen Feststellung seines Nichtbestehens zu fingieren, sind auf das Freizügigkeitsrecht als Voraussetzung für eine begehrte Steuervergütung (Kindergeld) nicht übertragbar. Vielmehr ist es hier Sache des Anspruchstellers, das Erfüllen der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen nachzuweisen.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1-2, § 31 S. 3; FreizügG/EU § 2 Abs. 2, §§ 5, 13; AEUV Art. 21 Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 15.03.2017; Aktenzeichen III R 32/15)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

 

Tatbestand

Der Kläger ist bulgarischer Staatsbürger. Seit dem 18. März 2010 wohnt er zusammen mit seiner am 4. Januar 2004 geborenen Tochter B. in D.. Im November 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Kindergeld für seine Tochter. Im Antragsformular teilte er dabei mit, er sei weder unselbständig noch selbständig erwerbstätig noch in Deutschland sozialversichert. Die Beklagte erbat daraufhin vom Kläger die Vorlage weiterer Unterlagen sowie unter anderem die Mitteilung, wovon er seit seiner Einreise seinen Lebensunterhalt bestreite. Der Kläger gab hierzu zunächst keine Erklärung ab. Am 23. Januar 2011 wurde der Sohn C. des Klägers geboren; für diesen beantragte der Kläger im Februar 2011 ebenfalls Kindergeld. Auf eine erneute Nachfrage der Beklagten teilte die Ehefrau des Klägers mit Schreiben vom 11. März 2011 mit, dass ihre Schwiegermutter für den Unterhalt der Familie sorge; diese habe ein Gewerbe als Raumpflegerin. Zur Wohnsituation der Familie teilte der Kläger ergänzend mit, dass er, seine Ehefrau, die beiden Kinder sowie seine Mutter zu fünft in einer Einzimmerwohnung (ca. 37 m² Wohnfläche) wohnten. Hauptmieterin der Wohnung sei seine (des Klägers) Mutter.

Am 22. Mai 2012 stellte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten D. dem Kläger eine Freizügigkeitsbescheinigung gemäß § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) aus.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2013 setzte die Beklagte Kindergeld für B. und C. für die Zeit ab Mai 2012 in Höhe von jeweils 184 EUR pro Monat fest. Mit Bescheiden vom selben Tag lehnte sie außerdem den Antrag für die Zeiträume März 2010 bis April 2012 (B.) bzw. Januar 2011 bis April 2012 (C.) unter Hinweis auf die seinerzeit noch fehlende Freizügigkeitsbescheinigung ab: Unionsbürger, die nicht freizügigkeitsberechtigt im Sinne des FreizügG/EU seien, hätten unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Anspruch auf Kindergeld. Nach den vorliegenden Unterlagen erfülle der Kläger diese Voraussetzungen nicht.

Der Kläger erhob gegen die beiden Ablehnungsbescheide am 7. Februar 2013 Einspruch, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 2013 als unbegründet zurückwies. Der Kläger hat daraufhin am 25. Juni 2013 Klage erhoben und zugleich beantragt, ihm unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren. In den dem Antrag beigefügten Unterlagen hat der Kläger angegeben, „selbständig (Reinigung)” tätig zu sein.

Der Berichterstatter hat den Klägerbevollmächtigten mit Verfügung vom 1. August 2013 darauf hingewiesen, dass über die Erfolgsaussichten der Klage und des Antrags auf PKH auf der Grundlage des bisherigen Vortrags noch nicht entschieden werden könne; erforderlich sei ergänzender Vortrag zu den tatsächlichen Voraussetzungen für eine Freizügigkeit gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Der Kläger hat darauf erwidert, jedenfalls die beantragte PKH müsse ihm gewährt werden; seine Klage habe hinreichende Erfolgsaussichten, da die Frage der Freizügigkeitsberechtigung bulgarischer Staatsbürger höchstrichterlich ungeklärt sei.

Der Senat hat dem Antrag auf Gewährung von PKH durch Beschluss vom 28. Oktober 2014, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, entsprochen.

Der Klä...

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