Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfordernis der eigenverantwortlichen Kontrolle eines Fristablaufs durch Bevollmächtigten
Leitsatz (redaktionell)
Wird die Einspruchsfrist versäumt, weil der Bevollmächtigte die ihm auf elektronischem Wege zugeleitete Einspruchsentscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat, kann die Pflichtverletzung der fehlenden Kenntnisnahme und Sicherstellung der fristgerechten Bearbeitung fristgebundener Schriftstücke nicht damit i. S. d. § 56 Abs. 2 FGO entschuldigt werden, dass dem Bevollmächtigten das Schriftstück in seiner ursprünglichen Form aufgrund der Notierung der Klagefrist in einem gesondertem elektronischen Fristenkalender durch die Mitarbeiter später noch einmal vorgelegt wird (zweigleisige Büroorganisation). Der Bevollmächtigte ist verpflichtet, den Fristenablauf eigenverantwortlich zu kontrollieren, wenn und sobald ihm eine Fristsache zur Bearbeitung vorgelegt wird.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1999.
Die Kläger erwarben im Jahre 1997 ein Anwesen in der M-Straße in N. Nachdem sie das aufstehende Gebäude entkernt und neu hergerichtet hatten, veräußerten sie das Grundstück im Juni 1999 und gaben in ihrer Steuererklärung für das Veranlagungsjahr 1999 Einkünfte aus diesem Veräußerungsgeschäft in Höhe von 930.374 DM an.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2001 setzte der Beklagte die Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und teilweise vorläufig fest. Mit ihrem Einspruch vom 28. Februar 2001 machten die Kläger u.a. geltend, dass die Verlängerung der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 EStG gegen die Verfassung verstoße. Von daher dürfe der beim Verkauf des Anwesens M-Straße erzielte Gewinn nicht berücksichtigt werden. Unter dem 24. April 2001 sowie dem 7. Februar 2005 erließ der Beklagte jeweils neue, ebenfalls unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende und teilweise vorläufige Bescheide, mit denen er dem Einspruch hinsichtlich der Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns nicht abhalf.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2007 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass mit Blick auf die zeitlichen Zusammenhänge des Grundstücksverkaufs ein Ruhen des Verfahrens nicht mehr in Betracht komme und das Einspruchsverfahren nunmehr fortgesetzt werde. Nachdem die Kläger im Juli 2007 ergänzend vorgetragen hatten, teilte der Beklagte mit Schreiben vom 5. September 2007 mit, dass das neue Vorbringen nicht geeignet sei, dem Einspruch zum Erfolg zu verhelfen. Er gab den Klägern auf, sich hierzu innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Schreibens zu äußern. Trotz Erinnerung vom 24. Oktober 2007 gaben die Kläger eine weitere Stellungnahme nicht ab.
In der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2008 wies der Beklagte den Einspruch zurück und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Mit ihrer am 1. September 2008 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zugleich begehren sie wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und tragen zur Begründung vor, dass die Einspruchsentscheidung am 2. Mai 2008 in der Kanzlei ihres Bevollmächtigten eingegangen sei. Sie sei von der mit der Bearbeitung des Posteingangs beauftragten Mitarbeiterin mit einem Eingangsstempel versehen und lediglich elektronisch verarbeitet worden. Zu diesem Zweck habe die Mitarbeiterin das Schriftstück eingescannt und in dem elektronischen Dokumentenmanagementsystem abgelegt. Dabei habe sie in der dafür vorgesehenen Indexmaske in der Betreffzeile den Tenor der Entscheidung („Entscheidung Einspruch ESt 1999”) notiert und diesem das Kürzel „BvF” vorangestellt, der das Schreiben als Brief vom Finanzamt gekennzeichnet habe. Sodann habe sie den Vorgang zur Weiterbearbeitung elektronisch dem Bevollmächtigten zugeordnet. Entgegen der sonstigen Praxis und ihrer Arbeitsanweisung habe sie es versäumt, den fristgebundenen Posteingang in der elektronischen Fristenliste zu vermerken. Auch habe sie das Originaldokument nicht in das Posteingangsfach des betreffenden Steuerberaters gelegt. Vielmehr sei das Dokument wohl anschließend vernichtet worden. Der Bevollmächtigte habe das ihm auf elektronischem Wege zugeleitete Schriftstück nicht beachtet, weil es unter dem Register „Korrespondenz” abgelegt worden sei. Dies sei nur so zu erklären, dass mit einer Entscheidung des Finanzamts in der Sache nicht habe gerechnet werden müssen. Erst am 19. August 2008 habe der Bevollmächtigte der Kläger erstmalig von einer Mitarbeiterin des Beklagten erfahren, dass der Einspruch mit Bescheid vom 30. April 2008 zurückgewiesen worden sei.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Bescheides vom 07. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2008 die Einkommensteuer 1999 auf 60.521,62 EUR festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage zu verwerfen.
Er ...