Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammenveranlagung von Ehegatten bei der Vermögensabgabe. getrennte Freibetragsermittlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei verfassungskonformer Auslegung des § 29 Abs. 1 LAG sind unter “natürlichen Personen” auch bei zusammenveranlagten Eheleuten jeder Einzelne und unter dem “der Abgabe unterliegenden Vermögen” ihre Einzelvermögen zu verstehen. Der Freibetrag bei der Vermögensabgabe ist daher ebenso selbständig zu berechnen wie für zwei Alleinstehende.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; LAG § 29 Abs. 1, § 38

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 18.03.1960; Aktenzeichen III 60/59)

FG Baden-Württemberg (Urteil vom 11.11.1958; Aktenzeichen III 529/58 - FG 31)

 

Tatbestand

I.

1. Der Beschwerdeführer ist zusammen mit seiner Ehefrau durch Bescheid des Finanzamts Göppingen vom 3. Januar 1957 – St. Nr. 130/33 – nach einem Grundvermögen von 18 700 DM unter Abzug des einfachen Freibetrags von 5000 DM gemäß §§ 38, 29 Abs. 1 LAG zu einer Vermögensabgabe von 6850 DM veranlagt worden. Mit der Behauptung, er und seine Frau seien Miteigentümer, also am Währungsstichtag je zur Hälfte an dem Grundstück beteiligt gewesen, wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Zusammenveranlagung und die Gewährung nur eines Freibetrags. Der Einspruch gegen den Steuerbescheid wurde ohne Stellungnahme zu den Eigentumsverhältnissen durch Entscheidung vom 2. Juni 1958 als unbegründet zurückgewiesen. Auch die auf weitere Rechtsmittel des Beschwerdeführers ergangenen Urteile des Finanzgerichts Stuttgart vom 11. November 1958 – III 529/58 – FG 31 – und des Bundesfinanzhofs vom 18. März 1960 – III 60/59 – brachten keinen Erfolg.

2. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen den Vermögensabgabebescheid des Finanzamts und die ihn bestätigenden Rechtsmittelentscheidungen, durch die sich der Beschwerdeführer in einer Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG widersprechenden Weise gegenüber Alleinstehenden benachteiligt fühlt. Der Beschwerdeführer trägt vor, daß er und seine Frau, wären sie nicht verheiratet, sondern nur Miteigentümer des Grundstücks, jeder selbständig den Freibetrag von 5000 DM in Anspruch nehmen könnten, so daß die 50 %ige Vermögensabgabe um 2500 DM niedriger wäre. Die Familienermäßigung für die Ehefrau von 5 DM vierteljährlich summiere sich während der ganzen Laufzeit bei 108 Raten auf 540 DM, wiege den Nachteil also nicht auf.

Der Beschwerdeführer beantragt, den Bescheid des Finanzamts Göppingen aufzuheben und gegebenenfalls die Sache an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Sache zur mündlichen Verhandlung – nicht auch zur Entscheidung – mit sechs anderen, § 38 und weitere Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes betreffenden Verfahren – 1 BvL 29/57 und 20/60, 1 BvR 704/57, 330/59, 252 und 314/60 – verbunden. Der Beschwerdeführer war in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.

Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister der Finanzen sowohl schriftlich wie in der mündlichen Verhandlung geäußert; er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in den verbundenen Verfahren 1 BvL 29/57 und 20/60 durch Urteil vom heutigen Tage entschieden, daß § 38 und § 29 Abs. 1 LAG mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 6 Abs. 1 GG, vereinbar sind; doch ist § 29 Abs. 1 LAG dahin auszulegen, daß unter “natürlichen Personen” auch bei Zusammenveranlagten die einzelnen und unter dem “der Abgabe unterliegenden Vermögen” ihre Einzelvermögen verstanden werden, da nur bei dieser Auslegung eine verfassungswidrige Benachteiligung von Ehegatten vermieden werden kann. Der Freibetrag nach § 29 Abs. 1 LAG ist also trotz Zusammenveranlagung für Ehegatten ebenso selbständig zu berechnen wie für zwei Alleinstehende.

Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau sind hiernach mit Recht zusammen veranlagt worden. Der Abgabebescheid und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts sowie die Urteile des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs verstoßen jedoch insofern gegen das Grundgesetz, als sie – von einer mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbaren Interpretation des § 29 Abs. 1 LAG ausgehend – den Freibetrag für das zusammen veranlagte Ehepaar einheitlich berechnen und nur einmal gewähren, ohne auf die behauptete Verteilung des Vermögens zwischen ihnen einzugehen. Der Abgabebescheid, die Einspruchsentscheidung und die Urteile sind somit aufzuheben.

 

Fundstellen

BVerfGE, 177

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