Entscheidungsstichwort (Thema)

Künstlersozialversicherung. Künstlersozialversicherungsgesetz. Orchester. Konzertdirektion. Unternehmer. Selbstvermarktung. Abgabesatz. Abgabenhöhe. Schätzung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Zum Abgabentatbestand der “Konzertdirektion” in der Künstlersozialversicherung beim Betrieb einer Vielzahl von in ihrer Besetzung ständig wechselnden Orchestern.
  • Die Abgabensätze der Künstlersozialversicherung (Musik) für die Jahre 1986 bis 1991 waren nicht überhöht.
 

Normenkette

KSVG §§ 24, 26-27

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 04.03.1994; Aktenzeichen L 6 A 24/93)

SG Trier (Urteil vom 25.02.1993; Aktenzeichen S 2 K 29/92)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. März 1994 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt im Wege des Zugunstenbescheides die Rücknahme der Feststellung seiner Abgabenpflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) und wendet sich gegen Abgabenbescheide für die Jahre 1986 bis 1990.

Der Kläger ist Inhaber eines Büros, das Musikaufführungen organisiert und in dem für Verwaltungsarbeiten seine Ehefrau sowie seine Tochter angestellt sind. Zum Büro gehören neben der Bürorganisation der Name “A.… H.… S.… – und Tanzorchester”, die Gerätetechnik für die Musikaufführungen (Mikrofone, Steuergeräte und Lautsprecher) und die Geschäftsverbindungen zu ca 200 Musikern. Der Kläger beschafft die Engagements, schließt mit den Auftraggebern die Verträge über Ort/Zeit und Art der Darbietung, vereinbart ein Gesamthonorar, macht die Kalkulation auf und stellt dann aus den ca 200 Musikern für jeden Auftritt ein spezielles Musikensemble zusammen, in dem er jeweils selbst mitwirkt. Die Musiker sind nicht zum Abschluß der Vereinbarung über ihre Mitwirkung verpflichtet und treten – unabhängig vom Kläger – auch in anderen Veranstaltungen und Formationen auf. Nach den Auftritten macht der Kläger die Abrechnung mit den Auftraggebern und zahlt den jeweils beteiligten Musikern ihren “Gewinnanteil” aus. Der Kläger erhält wegen seiner über die Mitwirkung beim Auftritt hinausgehenden speziellen Leistungen einen doppelten Gewinnanteil.

Die Beklagte stellte durch Heranziehungsbescheid, der bindend wurde, die Abgabepflicht des Klägers gemäß § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 2 KSVG fest, da dieser als Unternehmer ein Orchester betreibe (Bescheid vom 2. August 1990). Nachdem der Kläger, auch nach Erinnerung, die geforderten Angaben zu den an selbständige Künstler gezahlten Entgelten nicht machte, setzte die Beklagte die Abgabe für die Jahre 1986 bis 1990 aufgrund von Schätzungen fest (Bescheid vom 25. Mai 1991, Änderungsbescheid vom 9. März 1992 und Bescheid vom 17. März 1992). Den Widerspruch, mit dem der Kläger die Rücknahme des Heranziehungsbescheides wegen Rechtswidrigkeit begehrte und die Abgabeschuld dem Grund und der Höhe nach bekämpfte, verwarf die Beklagte bezüglich des Heranziehungsbescheides wegen Verspätung als unzulässig und wies den Widerspruch im übrigen als unbegründet zurück.

Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben die Klage abgewiesen (Urteile vom 25. Februar 1993 und vom 4. März 1994). Das LSG hat ausgeführt, der Antrag des Klägers sei nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) durch den “Widerspruchsbescheid” vom 15. Mai 1992 abgelehnt worden; eines weiteren Widerspruchsverfahrens bedürfe es in einem derartigen Falle nicht. In der Sache sei der Kläger Betreiber und Unternehmer eines Orchesters iS von § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 2 KSVG; durch seine vielfältigen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem jeweiligen Auftritt werde er insgesamt “wie ein Arbeitgeber” tätig. Durch Name und Arrangements gebe er dem Orchester, wenn auch in unterschiedlicher Besetzung, das Gepräge. Weder er noch die jeweiligen Musikerformationen (als BGB-Gesellschaft) seien Selbstvermarkter; der jeweiligen Formation fehle dazu die gemeinsame Willensbildung und Entscheidungsbefugnis. Schließlich sei eine Schätzung der Abgabe auch vor dem 1. Januar 1989 möglich gewesen, da nach einem allgemeinen Grundsatz des Abgabenrechts bei Nichtmitteilung der Berechnungsgrundlagen die abgabenpflichtigen Entgelte geschätzt werden könnten. Auch bei Nichtberücksichtigung des abgabenfreien “Musikhonorars” und selbst eines ebenfalls abgabenfreien Anteils als Organisator sei die Schätzung auch nicht grob falsch. Die Schwankungen der Abgabesätze gingen nicht auf krasse Fehleinschätzungen zurück; im Gegensatz zur Rentenversicherung seien die Abgabepflichtigen und wohl auch die Leistungsberechtigten nur teilweise bekannt, der Ausgleich sei durch spätere Jahre mit einem Abgabesatz von Null geschaffen worden.

Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe die Tatsachenfeststellungen, der Kläger habe für die einzelnen Veranstaltungen die jeweils beteiligten Musiker in Einzelverträgen engagiert und nicht ein gesellschaftsrechtliches Zusammenwirken vereinbart, unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 128 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ und Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) getroffen. In Wahrheit habe er, nach dem jeweiligen Vertragschluß mit den Musikern, mit diesen auch über Programm und Ablauf des Auftritts gesprochen und eine gemeinsame Willensbildung herbeigeführt. Das genüge zur konkludenten Bildung einer BGB-Gesellschaft nach § 705 des Bürgerlichen Gesetzbuches ≪BGB≫ (dessen Verletzung – neben der des Art 3 GG und der §§ 24, 25 KSVG – ebenfalls gerügt werde), die dann Betreiber der Formation und Selbstvermarkter gewesen sei. Die Musiker des jeweiligen Engagements hätten ihn auch als ihren Sprecher beauftragen, die Einzelfragen zu regeln, und sein Angebot annehmen können, Büroorganisation, Technik und Arrangements zu stellen. Das Gesamtrepertoire von 200 Musikern sei kein Orchester, das Betreiben von sehr vielen Einzelorchestern für die jeweiligen Einzelauftritte erfülle nicht das Erfordernis der Dauerhaftigkeit iS von § 24 KSVG. Er habe den jeweiligen Musikern auch nur ihren Gewinnanteil ausgezahlt. Letztlich sei er Selbstvermarkter, nämlich Orchesterorganisator und -leiter, der in § 24 KSVG nicht genannt sei. Durch die Schätzung für die Zeit vor 1989 verstoße das LSG schließlich gegen § 27 KSVG, mit den Abgabenprozentsätzen aufgrund überhöhter Prognose gegen § 26 KSVG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. März 1994 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 25. Februar 1993 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, den Erfassungsbescheid vom 2. August 1990 zurückzunehmen, und die Bescheide vom 15. Mai 1992, vom 25. Mai 1991, vom 9. März 1992 und vom 17. März 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1992 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Bescheid vom 2. August 1990 sei bestandskräftig. Ein Verfahrensfehler des LSG liege nicht vor, da es nur den klägerischen Vortrag vor dem SG verwertet habe; im übrigen treffe den Kläger die objektive Beweislast zu den Tatbestandsmerkmalen einer BGB-Gesellschaft, wozu ein substantiierter Tatsachenvortrag des Klägers aber fehle. Weiterhin habe sich der Kläger selbst als Orchesterorganisator und -leiter bezeichnet.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind der Anspruch des Klägers auf Rücknahme des Erfassungsbescheides vom 2. August 1990, über den die Beklagte im Nichtabhilfebescheid, zumindest aber im Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 1992 entschieden hat, und die Bescheide über die Abgabehöhe vom 25. Mai 1991, 9. März 1992 und 17. März 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1992.

Die beiden Bescheide vom 15. November 1993 sind zwar nach § 96 SGG, zumindest in entsprechender Anwendung, “automatisch” (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Auflage 1993, § 96, RdNr 11) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (BSG SozR 3-5425 zu § 24 KSVG; BSG SozR 1500 § 96 Nr 14). Das LSG hat über sie aber, offenbar mangels Kenntnis, nicht entschieden. Ein Ergänzungsurteil (§ 140 SGG) wurde nicht beantragt. Die beiden Bescheide sind deshalb nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Auch der nach Erlaß des LSG-Urteils ergangene Bescheid vom 1. Juni 1994 ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens, sondern beim SG anhängig geworden (§ 171 Abs 2 SGG).

2. Die vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor. Insbesondere ist die Klage auch zulässig, soweit der Kläger die Rücknahme des Heranziehungsbescheides begehrt. Dabei kann dahinstehen, ob in derartigen Fällen, in denen der Rücknahmeanspruch nicht erst im weiteren Widerspruchsverfahren sondern schon in der Widerspruchsschrift geltend gemacht wurde, in der Nichtabhilfeentscheidung der Ausgangsbehörde zugleich die Ablehnung der Zugunstenregelung liegt, ob diese mit dem Widerspruch gleichfalls als angefochten gilt und ob der Widerspruchsbescheid dann auch als Zurückweisung dieses Widerspruchs auszulegen ist. Bei einer dementsprechenden Auslegung des Nichtabhilfebescheides und des Widerspruchsbescheides ist auch hinsichtlich der Rücknahme das Vorverfahren durchgeführt. Hat die Ausgangsbehörde im Nichtabhilfebescheid über die Rücknahme nicht entschieden, dann hat die Widerspruchsbehörde, wie vom LSG zutreffend ausgeführt, im Widerspruchsbescheid nicht nur den Widerspruch gegen den Erfassungsbescheid wegen Fristablaufs als unzulässig verworfen, sondern auch ohne vorangegangene Entscheidung der Ausgangsbehörde den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Heranziehungsbescheides nach § 44 SGB X als unbegründet abgewiesen. Auch dann war ein weiteres Vorverfahren nicht erforderlich, da der Kläger insoweit durch den Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert wurde. Nach § 68 Abs 1 Nr 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bedarf es keines Vorverfahrens, wenn ein Dritter durch einen Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert wird. Das gilt im Verfahren nach dem SGG entsprechend, obgleich das SGG keine derartige Vorschrift enthält. Soweit der Kläger durch den Widerspruchsbescheid zusätzlich zur Rückweisung des Widerspruchs beschwert wird, ist § 68 VwGO ebenfalls entsprechend anzuwenden. Hat die Widerspruchsbehörde ohne vorangegangene Entscheidung der Ausgangsbehörde über den Rücknahmeantrag entschieden, so hat sie zwar die Vorschriften über ihre funktionelle Zuständigkeit verletzt: Das läßt indes die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage ebenso wie die einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 54 Nr 45) unberührt.

3. In den streitigen Bescheiden ist der Kläger als Adressat hinreichend genau bezeichnet (§ 33 SGB X). Zur Adressatenbezeichnung kann neben dem bürgerlichen Namen auch die Firma eines Kaufmanns (§ 4 Handelsgesetzbuch ≪HGB≫) oder ein Künstlername oder die Unternehmensbezeichnung eines Nichtkaufmanns gebraucht werden, wenn der Verwaltungsakt dem Adressaten bekanntgegeben wird und diesem erkennbar ist, daß sich der Verwaltungsakt an ihn richtet. Die Bescheide sind an das “A.… H.… S.… – und Tanzorchester” gerichtet. Sie wurden dem Kläger als Inhaber des Unternehmens übermittelt. Dieser hat die Adressierung zutreffend verstanden und unter dem Namen seines Unternehmens die vorliegende Klage erhoben. Der Kläger hat insbesondere niemals geltend gemacht, daß der Orchestername nicht ihn, sondern die Gesamtheit der 200 Musiker bezeichne. Rechtsgeschäftlich ist allein der Kläger unter diesem Namen tätig geworden. Im künstlerischen Bereich mag der Name auf die Tätigkeit der 200 Musiker hinweisen, die für diesen Namen stehen.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Heranziehungsbescheides. Dieser ist nicht rechtswidrig iS des § 44 SGB X. Die Beklagte war berechtigt, zunächst einen sogenannten Erfassungsbescheid zu erlassen, durch den die Abgabepflicht dem Grunde nach (§ 24 KSVG) festgestellt wird (BSG vom 20. April 1994, 3/12 RK 31/92 = SozR 3-5425 zu § 24 KSVG Nr 4 mwN). Der Kläger ist auch abgabepflichtig.

Das LSG hat den Kläger als Betreiber und Unternehmer eines Orchesters angesehen. Der Erfassungsbescheid betrifft die Zeit ab 1983 (wegen Verjährung hier nur noch ab 1986 streitig). Die Abgabepflicht richtet sich für die Zeit von 1983 bis 1988 nach § 24 KSVG vom 27. Juli 1981 (BGBl I 705) – im folgenden: KSVG 1981 – und für die Zeit ab 1989 nach § 24 KSVG idF durch das Gesetz zur Änderung des KSVG (KSVGÄndG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2606) – im folgenden: KSVG 1989 –. Der ein Orchester betreibende Unternehmer war zunächst nach § 24 Abs 2 Nr 2 KSVG 1981 und ab 1989 nach § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 2 KSVG 1989 abgabepflichtig. Der Kläger wurde nach den Feststellungen des LSG durch seine vielfältigen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem jeweiligen Auftritt insgesamt “wie ein Arbeitgeber” tätig. Das Orchester sei – wenn auch in extrem unterschiedlicher Besetzung – untrennbar mit seinem Künstlernamen verbunden. Der jeweiligen Formation fehle die gemeinsame Willensbildung und Entscheidungsbefugnis. Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe ohne vorherigen Hinweis und damit überraschend und unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 128 Abs 2 SGG und Art 103 Abs 1 GG) die Tatsachen festgestellt, daß er für die einzelnen Veranstaltungen die jeweils beteiligten Musiker in Einzelverträgen engagiert und nicht mit dem jeweiligen Auftrittsensemble ein gesellschaftsrechtliches Zusammenwirken vereinbart habe. Auf entsprechenden Hinweis des LSG hätte er aber vorgetragen, daß er, nach dem jeweiligen Vertragschluß mit den Musikern, mit diesen auch über Programm und Ablauf des Auftritts gesprochen und eine gemeinsame Willensbildung herbeigeführt habe. Bei der sich daraus ergebenden Organisationsweise, bei der aus ca 200 Musikern, die zunächst nur im Grundsatz, aber ohne Rechtspflicht zur Mitwirkung bereit gewesen seien, für jeden Auftritt ein spezielles Musikensemble zusammengestellt wurde, in dem der Kläger jeweils selbst mitwirkte, seien weder die jeweils für eine Veranstaltung, also für einen Tag, vereinbarten kleineren Ensembles auf der unteren Stufe ein Orchester-Unternehmen noch die 200 Musiker zusammen auf der oberen Stufe. Hinsichtlich der Auftrittensembles fehle es an einem auf eine gewisse Dauer angelegten Zusammenwirken. Überdies würde es sich bei den Auftrittsensembles um Selbstvermarktung handeln. Auf der oberen Stufe sei ein Einsatz der 200 Musiker als Gesamtklangkörper von vornherein nicht in Betracht gekommen. Überdies fehle eine rechtliche Struktur im Sinne einer bindenden Rahmenvereinbarung.

Der Begriff des Orchesters wird im KSVG und in den Gesetzesmaterialien nicht definiert. In der europäischen Musik versteht man unter Orchester gemeinhin ein Instrumentalensemble, in dem bestimmte Instrumentengruppen besetzt sind und das von einem Dirigenten geleitet wird; eine exakte Definition des Begriffs, die allen Orchesterformen in der europäischen und in der außereuropäischen Musik gerecht würde, ist nicht möglich (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl, Bd 17, 1976, Stichwort “Orchester”). Ob das Unternehmen eines Orchesters iS des KSVG eine auf eine gewisse Dauer angelegte Organisation (vgl hierzu BVerfGE 75, 108, 158 = SozR 5425 § 1 Nr 1) und eine verbindliche Rechtsgrundlage voraussetzt, wobei sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Rechtsgrundlagen in Betracht kommen (zB die Organisation als eingetragener Verein, vgl hierzu BSGE 64, 221 = SozR 5425 § 24 Nr 2), und welche Anforderungen insoweit zu stellen sind sowie ob aus diesen Gründen weder die 200 Musiker noch die Auftrittensembles als Orchester gewertet werden können, kann der Senat offen lassen. Desgleichen kann offen bleiben, ob auch der Orchesterbegriff des KSVG das Mitwirken eines Dirigenten voraussetzt. Insoweit ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen, ob die 200 Musiker auf der oberen Stufe beziehungsweise als bloße Auftrittensembles unter einem Dirigenten spielten. Denn wenn der Kläger nicht als Unternehmer eines Orchesters tätig geworden ist, dann hat er sich jedenfalls als Konzertdirektion betätigt.

5. Das Unternehmen einer Konzertdirektion ist nach § 24 Abs 1 Nr 2 KSVG 1981 und nach § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KSVG 1989 abgabepflichtig. Der Kläger hat eine Tätigkeit entfaltet, die über das Mitspielen als Musiker im Rahmen der Auftrittsensembles weit hinausging. Beim Kläger lagen Initiative und Schwerpunkt der Rechtsbeziehungen zu den Auftraggebern. Er war es, der die Engagements beschaffte, mit den Auftraggebern die Verträge über Ort, Zeit und Art der Darbietung schloß, das Gesamthonorar vereinbarte, die Kalkulation aufmachte und erst danach aus den ca 200 Musikern für jeden Auftritt ein spezielles Musikerensemble zusammenstellte. Hierbei wurde er nicht im Namen der erst später gegründeten Auftrittsensembles, sondern im eigenen Namen tätig. Er lieferte teilweise die “Technik” (Mikrofone, Steuergeräte und Lautsprecher). Über diese Geräte verfügte er allein, und nicht die Gesellschafter der Auftrittsensembles oder die 200 Musiker gemeinsam. Auch der Orchestername bezeichnet, wie zur Adressierung der Bescheide ausgeführt, nicht die 200 Musiker, sondern allein den Kläger. Der Name gehört dem Kläger und nicht den jeweiligen Auftrittsensembles oder gemeinschaftlich den 200 Musikern. Auch der Kläger unterscheidet in diesem Sinne zwischen seinem Mitwirken als Musiker bei den Auftritten und seiner vorgenannten Tätigkeit. Seine Darstellung, daß er mit dieser Tätigkeit ein Orchesterbüro betreibe, bestätigt, daß er insoweit nicht im Namen der 200 Musiker oder im Namen der einzelnen Auftrittsensembles tätig wird, sondern im eigenen Namen.

Der Kläger war mit dieser Tätigkeit Unternehmer einer Konzertdirektion. Er sorgte dafür, daß Konzerte veranstaltet wurden, ohne selbst Träger eines Orchesters zu sein. Dabei ist es gleichgültig, daß der Kläger nicht als Veranstalter der Konzerte, sondern als Zulieferer der Veranstalter auftrat (BSGE 74, 117, 119 = SozR 3-5425 § 24 Nr 4). Der Abgabepflicht steht nicht entgegen, wenn die Auftrittsensembles jeweils als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) organisiert waren, so daß der Kläger sowohl im eigenen Namen als auch als Mitgesellschafter der GdbR handelte, und wenn die Auftraggeber das für den Auftritt mit dem Kläger vereinbarte Entgelt unmittelbar an die GdbR, vertreten durch den Kläger, auszahlten. Es bedarf deshalb keiner Erörterung der Revisionseinwände gegen die Würdigung des LSG, daß der Kläger mit den übrigen Musikern eines Auftrittsensembles jeweils zweiseitige Verträge und nicht einen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen habe, und zu den Revisionsangriffen gegen die hierzu vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen. Nach § 24 Abs 1 Nr 2 KSVG 1981 waren zwar Konzertdirektionen nur abgabepflichtig, sofern sie nicht ausschließlich eine vermittelnde Tätigkeit ausübten. Erst in § 24 Abs 1 Satz 1 Nr 3 KSVG 1989 fehlt der mit “sofern” beginnende Nebensatz. “Vermittelnde Tätigkeit” iS des § 24 KSVG 1981 ist nur die Tätigkeit als Makler, nicht aber die Betätigung als zuliefernde Konzertagentur (BSGE 74, 117, 123 = SozR 3-5425 § 24 Nr 4). Wenn der Kläger diese Tätigkeit als “Orchesterorganisationsbüro” bezeichnet, so schließt das ihre Wertung als Konzertdirektion nicht aus. Die Beklagte hat deshalb eine Rücknahme des Heranziehungsbescheides zu Recht abgelehnt.

6. Auch die Abgabebescheide vom 25. Mai 1991, vom 9. März 1992 und vom 17. März 1992, jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1992, mit denen die Beklagte die Abgabe für die Jahre 1989 bis einschließlich 1990 festsetzte und hierzu die an selbständige Künstler gezahlten Entgelte schätzte, sind rechtmäßig. Die Beklagte hat ihrer Schätzung die Zahlungen zugrundegelegt, die an die (übrigen) Musiker für ihre Mitwirkung in den Auftrittensembles geleistet wurden. Hiergegen wendet die Revision zu Unrecht ein, diese Musiker hätten die Zahlungen nicht als Entgelt für ihre Mitwirkung, sondern als Gewinnbeteiligung an der GdbR erhalten. Soweit selbständige Künstler ihre Leistung gemeinsam in der Form einer GdbR erbringen, ist die Zahlung des Entgelts an die GdbR iS des § 25 KSVG als Zahlung des Entgelts an den einzelnen Künstler zu werten. Es liegt auch kein Fall der Selbstvermarktung vor, die nach dem KSVG nicht abgabepflichtig ist. Hierzu braucht der Senat nicht näher auf die Frage einzugehen, ob die Vermarktung durch eine “Erzeugerorganisation” an den Endabnehmer immer oder nur unter bestimmten Voraussetzungen als Selbstvermarktung iS des KSVG zu werten ist. Diese Frage würde sich nur dann stellen, wenn das Orchesterbüro nicht vom Kläger als Alleininhaber betrieben worden wäre, sondern von den 200 Musikern etwa in der Rechtsform einer GdbR. Allerdings dürfte es mit Sinn und Zweck der Abgabepflicht schwerlich zu vereinbaren sein, bei einer so großen Anzahl von Erzeugern eine Selbstvermarktung anzuerkennen, obgleich der Begriff der Erzeugerorganisation iS der Marktordnung der EG unabhängig von der Zahl ihrer Mitglieder verstanden wird (vgl zB zur Anerkennung von Organisationen von Obst- und Gemüseerzeugern für Produktionsbeihilfen Art 3a Abs 2 EWGV 516/77 und die EWGV 1152/78; § 6 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) in der Bekanntmachung vom 27. August 1986 ≪BGBl I 1397≫). In diesem Sinne ist eine Erzeugervereinigung dadurch gekennzeichnet, daß sie auf Veranlassung von Erzeugern gegründet wurde und im wesentlichen aus Erzeugern besteht (EuGHE 1989, 1755). Hier hat indes der Kläger das Orchesterbüro allein betrieben, so daß allenfalls der auf ihn entfallende Gewinnanteil als Selbstvermarktung von der Abgabe freigestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es aber ohne Bedeutung, ob der Kläger die Zahlungen seiner Abnehmer im eigenen Namen entgegennahm, an die jeweilige Auftritts-GdbR weiterleitete und dann als Geschäftsführender Gesellschafter den übrigen Gesellschaftern als Gewinnanteil auskehrte oder ob er die Zahlung vom Abnehmer in Vertretung der Auftritts-GdbR erhielt, da Agenturgeschäfte der in § 24 KSVG genannten Vermarkter abgabepflichtig sind (BSGE 74, 117, 119 = SozR 3-5425 § 24 Nr 4) und die letztgenannte Zahlungsweise für Agenturgeschäfte typisch ist.

Die Revision kann ferner auch nicht mit dem Vorbringen Erfolg haben, die Abgabesätze für den Bereich Musik seien in den von der Beklagten angewandten Rechtsvorschriften für die Jahre vor 1992 weit überhöht und deshalb unter Verstoß gegen höherrangiges Recht festgesetzt worden, was schon allein daraus folge, daß für 1992 und zwei Folgejahre der Abgabesatz für Musik auf Null DM festgesetzt worden sei. In den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte die für den Bereich Musik geltenden Abgabesätze angewandt. Diese sind für die an die Musiker gezahlten Entgelte unabhängig davon maßgebend, ob das Unternehmen eine Konzertdirektion oder ein Orchester betreibt. Der Abgabesatz betrug für die Jahre 1986, 1987 und 1988 nach § 57 Abs 3 KSVG in der Fassung durch Art 1 Nr 18 des Gesetzes zur finanziellen Sicherung der Künstlersozialversicherung (KSVG/AVGÄndG) vom 18. Dezember 1987 (BGBl I 2794) jeweils 5 vH der an selbständige Künstler gezahlten Entgelte. Für 1989 betrug er nach § 26 Abs 6 KSVG 1989 für den Bereich Musik 6,0 vH. Für 1990 betrug er nach § 26 Abs 5 in Verbindung mit § 1 der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1990 (KSAbg 1990V) vom 22. September 1989 (BGBl I 1779) für den Bereich Musik 6,2 vH. Für die hier nicht streitigen Folgejahre wurde der Abgabesatz für Musik aufgrund der Ermächtigung in § 26 Abs 6 KSVG 1989 wie folgt festgesetzt: Für 1991 durch § 1 der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1991 (KSAbg 1991V) vom 24. September 1990 (BGBl I 2114) auf 3,3 vH, für 1992 bis einschließlich 1995 jeweils durch den § 1 der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1992 (KSAbg1992V) vom 25. November 1991 (BGBl I 2133), der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1993 (KSAbg1993V) vom 23. September 1992 (BGBl I 1651), der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1994 (KSAbg1994V) vom 24. September 1993 (BGBl I 1661) und der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1995 (KSAbg1995V) vom 21. September 1994 (BGBl I 2574) jeweils auf Null vH und für 1996 durch § 1 der Künstlersozialabgabe-Verordnung 1996 (KSAbg1996V) vom 21. September 1995 (BGBl I 1163) auf 1,1 vH.

Zur Festsetzung des Abgabesatzes durch Rechtsverordnung bestimmt § 26 Abs 1 KSVG 1989: Der Vomhundertsatz der Künstlersozialabgabe ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes des § 14 getrennt nach den Bereichen Wort, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst so festzusetzen, daß das Aufkommen (Umlagesoll) zusammen mit den Beitragsanteilen der Versicherten und dem Bundeszuschuß ausreicht, um den Bedarf der Künstlersozialkasse in dem jeweiligen Bereich für ein Kalenderjahr zu decken. Das Nähere über die Ermittlung der einzelnen Vomhundertsätze regelt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung.

Nach § 1 der Verordnung zur Durchführung des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVGDV) vom 23. Mai 1984 (BGBl I 709) richten sich die Vomhundertsätze der Künstlersozialabgabe nach § 26 des Gesetzes nach der Zuordnung der Beitragsausgaben der Künstlersozialkasse für den Versicherten oder der Zuschüsse für den nach § 8 des Gesetzes Berechtigten zu einem der Bereiche Wort, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst; der Bundeszuschuß sowie die abgabepflichtigen Entgelte werden auf die Bereiche verteilt. Nach § 5 KSVGDV ist Bemessungsgrundlage für die Künstlersozialabgabe des jeweiligen Bereichs die Summe der abgabepflichtigen Entgelte für die selbständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeiten, die diesem Bereich zugeordnet sind. Die Abgabesätze sind nach § 26 Abs 5 KSVG 1989 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen durch Rechtsverordnung bis zum 30. September eines Jahres für das folgende Kalenderjahr auf Grund von Schätzungen des Bedarfs nach Absatz 2 zu bestimmen. Der Bedarf der Künstlersozialkasse berechnet sich nach § 26 Abs 2 aus (1.) den in dem Kalenderjahr zu erfüllenden Verpflichtungen, die ihr gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Zuschußberechtigten obliegen, (2.) dem Soll zur Auffüllung der Betriebsmittel nach § 44 Abs. 2 und (3.) den Fehlbeträgen oder Überschüssen des “vorvergangenen” Kalenderjahres. Der Verordnungsgeber muß also für das folgende Kalenderjahr im Wege der Schätzung eine Prognose einerseits über seine Verpflichtungen gegenüber den Trägern der RV und KV sowie den hinsichtlich ihrer freiwilligen KV nach § 10 KSVG Zuschußberechtigten und zur Betriebsmittelauffüllung (Bedarf) abgeben sowie andererseits über die Höhe des Bundeszuschusses und die nach der voraussichtlichen Höhe der abgabepflichtigen Entgelte der Vermarkter zu erwartenden Abgaben (Aufkommen). Er muß die Abgabe dann so festsetzen, daß sich Bedarf und Aufkommen “voraussichtlich” decken werden. Dabei sind die abgabepflichtigen Entgelte der Vermarkter auf der Basis der für das vorangegangene Jahr (bezogen auf den Zeitpunkt der Festsetzung) gemeldeten Entgelte zu schätzen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber den Abgabesatz für 1989 im KSVGÄndG auf der Grundlage der Meldungen, die die Versicherten und Abgabepflichtigen über ihr Jahresarbeitseinkommen bzw die gezahlten Honorarsummen für das Jahr 1987 gemeldet haben, festgesetzt (BT-Drucks 11/2964 S 13).

Konkrete Behauptungen dazu, daß die Verpflichtungen beziehungsweise das zu erwartende Aufkommen in bestimmter Höhe geschätzt und daß diese Schätzung grob unrichtig gewesen sei, sind vom LSG nicht festgestellt und auch im Revisionsverfahren nicht erhoben worden. Die insoweit von der Revision allein angeführte große Differenz der Sätze für die hier maßgeblichen Jahre 1986 bis 1990 (1986 bis 1988: 5 vH, 1989: 6,0 vH, 1990: 6,2 vH) zu den Sätzen der folgenden Jahre (1991: 3,3 vH, 1992-1995: 0,0 vH, 1996: 1,1 vH) gibt für sich allein keine Veranlassung zu prüfen, mit welchen Verpflichtungen und mit welchem Aufkommen der Gesetzgeber beziehungsweise der Verordnungsgeber jeweils gerechnet hat und mit welchen Verpflichtungen und Aufkommen objektiv zu rechnen war. Die vier Jahre mit dem Abgabesatz Null vH ergeben nicht einmal für die beiden unmittelbar vorangehenden Jahre 1990 und 1991 Veranlassung, zu den Schätzungen nähere Feststellungen zu treffen, wie vom Senat bereits entschieden (BSGE 74, 117, 129 f = SozR 3-5425 § 24 Nr 4), während hier davon sogar nur das Jahr 1990 betroffen ist. Der Senat hält an dieser Entscheidung trotz der von der Revision und im Schrifttum (Eichenhofer, Anmerkung zu der hier mit BSGE 74, 117 angeführten Entscheidung des Senats vom 20. April 1994 – 3/12 RK 31/92 – in SGb 1995, 226) erhobenen Bedenken fest.

Der Senat hat zur Begründung ausgeführt: Es spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, daß ab 1990 zusätzliche Mehreinnahmen aus Nachzahlungen für die vorangegangenen Jahre (1983 bis 1987) eingegangen sind. Das ergebe sich aus einem Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 8. November 1991 an die betroffenen Verbände, das BVA und die KSK (Gz. IVa 3-27015-4/65 – auszugsweise abgedruckt in: Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 2. Aufl. 1992, § 27 RdNr 16), nach dem die Verringerung (des Abgabesatzes für 1991) auf Überschüsse zurückzuführen sei, die durch die nachträgliche und intensivere Erfassung weiterer Vermarkter für die Jahre 1983 bis 1987 und 1990 entstanden seien. Auch habe die mit dem KSVG 1989 erfolgte Ausweitung der Abgabepflicht auf die Eigenwerbung der Industrie zu unerwarteten Mehreinnahmen geführt. Eine solche Entwicklung sei nicht ohne weiteres vorhersehbar gewesen. Der Gesetzgeber habe noch bei Erlaß des KSVGÄndG vom 20. Dezember 1988 die Einführung einer Belastungsobergrenze (§ 26 Abs 3 KSVG 1989) als erforderlich angesehen und für die Jahre ab 1990 noch mit steigenden Abgabesätzen gerechnet (BR-Drucks 367/88 S 32). Die Obergrenze sei für 1990 auf 6,5 und für 1991 auf 7 vH festgesetzt worden, also höher als der tatsächlich festgesetzte Abgabesatz. Angesichts der zunächst bestehenden Schwierigkeiten der Künstlersozialkasse, die Abgabepflichtigen zu erfassen, und insbesondere der zögerlichen Zahlungsweise vor allem im Hinblick auf Verfassungsbeschwerden, sei zwar zu vermuten gewesen, daß sich das Abgabevolumen nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erhöhen werde, was jedoch vom Verordnungsgeber erst nach dem Eingang der zu erwartenden Nachzahlungen habe berücksichtigt werden dürfen.

Hierzu ist zu verdeutlichen, daß Nachzahlungen für frühere Jahre in die Schätzung nach § 26 Abs 2 Nr 3 KSVG 1989 nur einfließen, wenn und soweit sie zu Überschüssen führen. Da bei der Festsetzung (im Festsetzungsjahr) für das folgende Kalenderjahr (Abgabesatz-Jahr) nur die im vorvergangenen Jahr (also im Jahr vor dem Festsetzungsjahr) tatsächlich erzielten Überschüsse zu berücksichtigen sind, dürfen Nachzahlungen, die erst im Festsetzungsjahr eingegangen sind, auch dann (noch) nicht berücksichtigt werden, wenn sie voraussichtlich zu Überschüssen führen und bei einer von gesetzlichen Vorgaben freien Schätzung eine Abgabesatzminderung rechtfertigen. Diese gesetzliche Regelung kann bei entsprechend hohen Nachzahlungen dazu führen, daß der Beitragssatz auf Null festzusetzen ist. Hohe Nachzahlungen sind deshalb geeignet, die vom BMA verordnete radikale Senkung der Beitragssätze bis auf Null vH zu rechtfertigen. Der Einwand, “Null-Jahre” zwängen immer zu dem Rückschluß, daß der Beitrag für die vorangegangenen Jahre gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe (Eichenhofer aaO), berücksichtigt nicht ausreichend die mit den Nachzahlungen verbundenen Schwierigkeiten. Müßten Nachforderungen vor ihrem Eingang berücksichtigt werden, so könnte das zu Liquiditätsschwierigkeiten führen. Die gesetzliche Regelung, daß Nachforderungen erst nach Eingang der Nachzahlung berücksichtigt werden, und zwar nur soweit sie einen Überschuß bewirken, und damit erst im Jahr nach der Nachzahlung, ist sachgemäß. In der Rechtsprechung des BVerfG und des Bundessozialgerichtes (BSG) ist unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes seit langem anerkannt, daß für den Gesetzgeber ein besonders weiter Spielraum bei der Gestaltung der Grundlagen für die Finanzierung eines sozialen Sicherungssystems besteht (BSGE 10, 13 = SozR Nr 1 zu § 141 AVAVG aF; BSGE 62, 136, 140 = SozR 2200 § 180 Nr 37); das gilt insbesondere dort, wo erst noch Erfahrungen gesammelt werden müssen (BVerfGE 33, 171, 189 f = SozR Nr 12 zu Art 12 GG; BVerfGE 54, 11, 37; 70, 1, 34 = SozR 2200 § 376d Nr 1; BVerfGE 78, 249, 288). Das ist auch in Ansehung der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Insoweit bedarf es nicht der Prüfung, ob der Gesetzgeber so erhebliche Nachzahlungen durch eine schärfere Überwachung hätte vermeiden müssen. Der Kläger gehört zu den Kunstvermarktern, die ihre Abgabe um Jahre verspätet entrichten und damit bewirken, daß zunächst andere Kunstvermarkter eine höhere Abgabe entrichten müssen als bei allgemein gesetzmäßiger Entrichtung notwendig gewesen wäre. Schon deshalb könnten für ihn aus einer ungenügenden Abgabeüberwachung auch dann keine Rechte abgeleitet werden, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen schärferen Abgabeeinzug zur Ermöglichung einer gleichmäßigeren Festsetzung des Abgabesatzes erfordert hätte.

Die große Differenz der Abgabesätze für die Jahre 1986 bis 1996 ergibt auch nicht, daß die für 1990 angewandte Verordnungsermächtigung in Ansehung des Art 80 GG zu unbestimmt war. In § 26 KSVG 1989 sind Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend bestimmt. Der Gesetzgeber hat die maßgeblichen Fragen selbst entschieden und sein Programm in einer Weise umrissen, welche die Ausformung durch die Verordnungen vorhersehbar macht (vgl die “Selbstentscheidungsformel” – BVerfGE 23, 62, 72 –, die “Programmformel” – BVerfGE 58, 257, 277, sowie die “Vorhersehbarkeitsformel” – BVerfGE 56, 1, 12 – jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Bedenken von Eichenhofer (SGb 1995, 226) schlagen nicht durch. Insbesondere war gerade die Art und Weise, wie die erheblichen Nachzahlungen, die zu den Beitragssatzunterschieden führten, bei der Schätzung zu berücksichtigen waren, im Gesetz geregelt, wie bereits ausgeführt. Anhaltspunkte dafür, daß der Verordnungsgeber in anderer Hinsicht bei der Festsetzung der Vomhundertsätze gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen haben könnte, sind nicht ersichtlich, und ein solcher Verstoß wird auch von der Revision nicht näher dargelegt.

Für die Jahre 1986 bis 1989 ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erst recht zu verneinen, schon wegen des erheblichen Abstandes zu den Null-Jahren (1992 bis 1995). Auf die Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsermächtigung kommt es insoweit nicht an, da die Festsetzung für diese Jahre im Gesetz erfolgte, wie ausgeführt.

5. Die Beklagte war berechtigt, in den angefochtenen Beitragsbescheiden, die alle nach dem Inkrafttreten des KSVG 1989 erlassen wurden, die Entgelthöhe auch für Abgabejahre vor 1989 zu schätzen. Dies folgt aus § 27 Abs 1 Satz 3 KSVG 1989. Diese Vorschrift ist am 1. Januar 1989 in Kraft getreten und durfte grundsätzlich auch bei einer Festsetzung der Künstlersozialabgabe für davor liegende Zeiträume zugrundegelegt werden, wenn die Festsetzung selbst nach dem 1. Januar 1989 erfolgte (BSGE 74, 117, 128 f = BSG SozR 5425 § 25 KSVG Nr 3). Neue Rechtsnormen haben Geltungskraft grundsätzlich mit sofortiger Wirkung. Soweit – wie hier – keine abweichende gesetzliche Regelung getroffen wird, erfaßt das neue Recht ab seinem Inkrafttreten auch die bereits unter dem früheren Recht begründeten Rechte und Rechtsverhältnisse, soweit diese – wie hier – in diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig, insbesondere durch bindend gewordenen Beitragsbescheid, abgeschlossen waren (vgl zum Ganzen: Kopp, Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts, SGb 1993, 594). Anderes gilt nur dann, wenn schutzwürdige Belange, etwa als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips (Art 20 Abs 3 GG), oder grundrechtlich geschützte Positionen entgegenstehen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers, daß für die Zeit vor dem 1. Januar 1989 nicht im Wege der Schätzung der gezahlten Entgelte Abgaben erhoben würden, ist nicht ersichtlich. Denn zum einen sind Schätzungen im Abgabenrecht, worauf das LSG hinweist, keinesfalls unüblich (vgl die §§ 318c RVO, 162 Abgabenordnung, 287 ZPO), so daß mit der Einführung einer entsprechenden Regelung auch für das KSVG jederzeit gerechnet werden mußte; zum anderen hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid angekündigt, daß für den Fall, daß der Kläger die Angaben nachholt, diese Angaben in einer Neufeststellung berücksichtigt werden. Ob hierbei, was nahe liegt, nur an eine zeitnahe Nachholung gedacht war, kann offen bleiben, weil der Kläger sogar bis heute keine Angaben nachgeholt hat. Auch deshalb kann er sich auf ein entsprechendes Vertrauen nicht berufen (“venire contra factum proprium”). Gegen die konkrete Durchführung der Schätzung hat die Revision innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine Bedenken geltend gemacht. Insoweit widerspricht die Feststellung des LSG, der Kläger habe die Musiker für die einzelnen Veranstaltungen jeweils “wie ein Arbeitgeber” in Einzelverträgen engagiert, nur auf den ersten Blick der in den Ausführungen zur Schätzung hervertretenen Auffassung, die an die 200 Musiker geleisteten Zahlungen seien Entgelte an selbständige Künstler. Das LSG meint, was der Zusammenhang mit hinreichender Sicherheit ergibt, daß die Musiker nicht aufgrund eines Gesellschaftsvertrages gleichberechtigt mitgewirkt hätten, sondern jeweils aufgrund von Einzelverträgen als freie Mitarbeiter, und daß deshalb keine Selbstvermarktung vorliege (Zur Frage, ob die Mitglieder eines Musikantenorchesters als freie Mitarbeiter anzusehen sind oder zu dem Leiter der Kapelle in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, vgl BSG Urteil vom 4. April 1979 12 RK 37/77 USK 7961 und SozR Nr 13 zu § 165 RVO).

 

Fundstellen

BB 1996, 1996

SozSi 1997, 79

SozSi 1997, 80

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