Entscheidungsstichwort (Thema)

Stundungswirkung des Vollstreckungsaufschubs

 

Leitsatz (NV)

Während der Geltung der Reichsabgabenordnung (bis 31. 12. 1976) hatte die Mitteilung der Gewährung von Vollstreckungsaufschub rechtlich die Wirkung der Gewährung einer Stundung. Eine derartige Mitteilung lag nur vor, wenn sie an den Steuerpflichtigen, den sie betraf, als Verwaltungsakt mit Regelungswillen erging.

 

Normenkette

AO §§ 127, 333

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Das Finanzamt hatte vom Kläger nach einer Betriebsprüfung mit den Bescheiden vom 13. März 1972 gewährte Ausfuhrvergütungen in Höhe von . . . DM gemäß §§ 26, 22 Abs. 3 UStG 1951 zurückgefordert. Das Finanzgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Bundesfinanzhof hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen (Beschluß 15. November 1984 V R 30/79).

Während des Vorverfahrens hatte das Finanzamt die Vollziehung des Rückforderungsbescheides letztlich bis zum 18. September 1973 ausgesetzt. Das Finanzgericht hat über einen mit Erhebung der Klage gestellten Antrag des Klägers auf weitere Aussetzung der Vollziehung mit Beschluß vom 5. Juni 1975 entschieden. In Höhe von . . . DM gab es dem Antrag statt und wies ihn im übrigen zurück.

Während des Aussetzungsverfahrens bat das Finanzamt das Finanzgericht mehrfach schriftlich um eine baldige Entscheidung über den Antrag des Klägers mit der Begründung, der amtsintern verfügte Aufschub von Vollziehungsmaßnahmen sei wegen der Höhe der Rückforderung nicht länger vertretbar. Das Finanzgericht leitete dem Kläger jeweils eine Zweitschrift dieses Schreibens zur Kenntnisnahme zu, um ihm Gelegenheit zur Gegenäußerung zu geben. Zuvor hatte der Sachbearbeiter A des Finanzamts in einem Ferngespräch mit dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 14. September 1973 geäußert, zunächst sei bis zur Entscheidung des FG über den Aussetzungsantrag mit einer Vollziehung nicht zu rechnen.

Nach Zustellung des Beschlusses des Finanzgerichts vom 5. Juni 1975 hat das Finanzamt mit Schreiben vom 26. Juni 1975 vom Kläger die Zahlung des nicht ausgesetzten Teils der Rückforderung in Höhe von . . . DM sowie von Säumniszuschlägen in Höhe von . . . DM für die Zeit vom 19. September 1973 (Ablauf der vom Finanzamt gewährten Aussetzung der Vollziehung) bis zum 20. Juni 1975 (Tag der Zustellung des Beschlusses des Finanzgerichts vom 5. Juni 1975) gefordert. Am 17. Juli 1975 verlangte

das Finanzamt die Zahlung eines weiteren Säumniszuschlages von . . . DM für den Folgemonat. Aufgrund einer mit Wirkung vom 24. Juli 1975 bewilligten Stundung tilgte der Kläger die Hauptschuld in Raten.

Der Beschwerde des Klägers gegen die Anforderung der Säumniszuschläge half das Finanzamt mit Bescheid vom 6. Februar 1976 in Höhe von . . . DM wegen inzwischen eingetretener Verjährung der Säumniszuschläge für die Zeit vom 19. September 1973 bis 19. Dezember 1973 ab. Die Oberfinanzdirektion hat die Beschwerde im übrigen mit Bescheid vom 4. Mai 1976 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht: Zu seinen Gunsten sei zu berücksichtigen, daß das Finanzamt während des Aussetzungsverfahrens vor dem Finanzgericht Vollstreckungsaufschub angeordnet und der Kläger hiervon durch die ihm zugeleiteten Zweitschriften der Schriftsätze des Finanzamts an das Finanzgericht Mitteilung erhalten habe. Dieses Verhalten komme einer Stundung gleich. Jedenfalls verstoße die Anforderung von Säumniszuschlägen gegen Treu und Glauben, weil der Kläger hiermit habe

nicht rechnen müssen. Das Finanzamt habe im Vorverfahren selbst Aussetzung der Vollziehung gewährt, während des Verfahrens vor dem Finanzgericht Betreibungsmaßnahmen mit Kenntnis des Klägers aufgeschoben und den Kläger nicht zur Zahlung der Hauptschuld aufgefordert.

Der Kläger hat beantragt, die Anforderungsbescheide des Finanzamts vom 26. Juni 1975 und vom 17. Juli 1975 sowie die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 4. Mai 1976 aufzuheben.

Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen: Das Finanzamt habe den amtsinternen Vollstreckungsaufschub nicht dem Kläger, sondern nur dem Finanzgericht mitgeteilt. Der Sachbearbeiter A habe nur einen allgemeingehaltenen Hinweis gegeben, aber keine konkrete Regelung für den Kläger getroffen. Im übrigen berühre ein mitgeteilter Vollstreckungsaufschub nicht die Fälligkeit. Schließlich habe sich das Finanzamt nicht treuwidrig verhalten. Es habe von Zahlungsaufforderungen und Mahnungen absehen können, weil dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers die Fälligkeit des Rückforderungsanspruchs bekannt gewesen sei. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß das Finanzamt von der Erhebung von Säumniszuschlägen absehen werde.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Der Beklagte ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

I.

1. Während des vor dem 1. Januar 1977 geltenden Rechtszustandes (Geltung der Reichsabgabenordnung - RAO -) hatte die Mitteilung der Gewährung von Vollstreckungsaufschub (§ 333 RAO) rechtlich die Wirkung der Gewährung einer Stundung (§ 127 RAO; Urteil des RFH vom 25. April 1934 IV A 243/33, RFHE 36, 77, RStBl 1934, 609; Urteile des BFH vom 23. September 1960 III 43/59, HFR 1962, 112, vom 20. Oktober 1976 I 116/74, BFHE 121, 5, BStBl II 1977, 257, und vom 15. März 1979 IV R 174/78, BFHE 127, 311, BStBl II 1979, 429). Ebenso wie eine Stundung hatte die Mitteilung der Gewährung von Vollstreckungsaufschub zur Folge, daß die Fälligkeit der geschuldeten Leistung hinausgeschoben war. Säumniszuschläge waren daher für die Zeit, für welche die stundungsgleiche Wirkung galt, nicht verwirkt.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

2. Eine Mitteilung der Gewährung von Vollstreckungsaufschub im Sinne dieser Rechtsprechung mit der für das Finanzamt rechtlich verbindlichen Wirkung einer Stundung liegt nur vor, wenn sie an den Steuerpflichtigen, den sie betrifft, als Verwaltungsakt mit erkennbarem Regelungswillen ergangen ist. Der Regelungswille muß sich darauf erstrecken, dem Steuerpflichtigen die Rechtsposition zu verschaffen, sich auf den Aufschub der Vollstreckung berufen zu können. Fehlt es an einem solchen Verwaltungsakt - der nicht schriftlich ergehen muß - bleibt der Vollstreckungsaufschub eine nur innerdienstlich wirkende Maßnahme, die das Finanzamt dem Steuerpflichtigen gegenüber nicht verpflichtet. Die Fälligkeit der Steuerschuld wird nicht berührt; Säumniszuschläge sind zu entrichten, da sie kraft Gesetzes mit Ablauf des Fälligkeitstages entstehen (§ 1 Abs. 1 Steuersäumnisgesetz).

II.

1. Einen Verwaltungsakt der zuvor beschriebenen Art hat das Finanzamt dem Kläger gegenüber nicht erlassen. In dem Ferngespräch am 14. September 1973 hat der Sachbearbeiter A dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers lediglich erklärt, daß zunächst bis zur Entscheidung des Finanzgerichts in der Aussetzungssache mit einer Vollstreckung nicht zu rechnen sei. Ein so allgemein gehaltener Hinweis ist eine bloße Unterrichtung über die übliche Vollstreckungspraxis des Finanzamts, wenn beim Finanzgericht ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt wird. Hier fehlt der erkennbare Regelungswille, dem Steuerpflichtigen die das Finanzamt bindende Rechtsposition einzuräumen, daß gegen ihn bis zur Entscheidung des Finanzgerichts, wie lange diese auch auf sich warten lassen möge, nicht vollstreckt werde.

Einen solchen Regelungswillen besaßen auch nicht die Schreiben des Finanzamts an das Finanzgericht, in denen um eine baldige Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gebeten wurde. Durch sie erfuhr zwar der Kläger von dem in seiner Sache amtsintern verfügten Vollstreckungsaufschub, doch lag hierin keine Mitteilung an ihn in Gestalt eines an ihn gerichteten Verwaltungsaktes mit dem Willen, sich hieran gegebenüber dem Kläger gebunden zu fühlen.

2. Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, das Finanzamt sei nach Treu und Glauben gebunden, ihn aufgrund der Erklärung des Sachbearbeiters so zu stellen, als habe es einen stundungsgleichen Verwaltungsakt erlassen. Es mag dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein rechtskundiger Steuerpflichtiger bei eigener fernmündlicher Anfrage nach dem Stand der Sache eine Antwort des Inhalts, die der Sachbearbeiter dem Steuerbevollmächtigten des Klägers gegeben hatte, als eine bindende Zusicherung der Nichtvollstreckung in sein Vermögen hätte verstehen dürfen. Der Kläger kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, weil er sich das Verhalten seines Prozeßbevollmächtigten als eigenes zurechnen lassen muß. Dieser aber durfte als beruflich mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen seines Mandanten beauftragter Rechtsanwalt nicht bereits aus dem bloßen Hinweis eines Sachbearbeiters auf die Vollstreckungspraxis des Finanzamts den Schluß ziehen, seinem Mandanten sei hiermit die verbindliche Zusicherung eines die Fälligkeit aufhebenden stundungsgleichen Vollstreckungsaufschubs gegeben worden, Säumniszuschläge würden daher für seinen Mandanten nicht anfallen (vgl. § 112 FGO a. F.). Sollte beim Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein solcher Irrtum entstanden sein, so wäre dieser auf sein eigenes Verschulden zurückzuführen, nicht aber auf ein solches des Finanzamts.

III.

Der Senat hatte in diesem Verfahren nur darüber zu befinden, ob der Kläger aus Rechtsgründen geltend machen kann, Säumniszuschläge seien gegen ihn nicht entstanden, nicht jedoch über einen Erlaß von Zuschlägen wegen sachlicher Unbilligkeit (vgl. Urteil des Senats vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489).

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 8

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