Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage der Verjährungshemmung durch Prüfung des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 4 EStG beim inländischen Vergütungsschuldner (Haftungsschuldner)

 

Leitsatz (NV)

1. Durch eine beim inländischen Vergütungsschuldner (Haftungsschuldner) durchgeführte Betriebsprüfung wird der Ablauf der Verjährung des Steueranspruchs gegen den ausländischen Vergütungsgläubiger nicht gehemmt.

2. Eine Durchbrechung der Haftungsakzessorietät kommt über die in § 149 AO normierten Fälle hinaus nicht in Betracht.

 

Normenkette

AO § 146a Abs. 3, §§ 149, 162 Abs. 10; EStG § 50 Abs. 5, § 50a Abs. 4-5

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb vom 1. Januar 1972 bis zum 31. Dezember 1976 eine Konzertdirektion als Einzelfirma; zum 1. Januar 1977 wurde die Konzertdirektion GmbH gegründet, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Kläger ist. Gegenstand des Unternehmens war die Veranstaltung und Durchführung von Konzerten, bei denen auch ausländische Künstler mitwirkten.

Nach einer Außenprüfung, die nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) im Jahre 1979 stattfand, gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zu der Auffassung, daß zwischen dem Kläger und den beschränkt steuerpflichtigen Künstlern unmittelbare vertragliche Beziehungen bestanden hatten und der Kläger als Vergütungsschuldner nach § 50a Abs. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) den Steuerabzug nach Abs. 4 dieser Vorschrift vorzunehmen hatte, was trotz Fehlens entsprechender Freistellungsbescheinigungen nach § 73h der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) unterblieben war.

Mit Haftungsbescheiden vom 8. Januar 1980 nahm das FA den Kläger als Inhaber der früheren Einzelfirma wegen des unterbliebenen Steuerabzugs für die Jahre 1972 - 1976 in Anspruch.

Mit seiner nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend, daß es in allen Fällen an einer Haftungsgrundlage fehle. So sei ein Teil der ausländischen Künstler in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) unbeschränkt steuerpflichtig gewesen, in anderen Fällen sei er mangels vertraglicher Beziehungen nicht selbst Vergütungsschuldner gewesen. Soweit die Voraussetzungen des § 50a Abs. 4 EStG vorgelegen hätten, habe sich die Steuerfreiheit der gezahlten Vergütungen nach den jeweils einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) der Bundesrepublik Deutschland mit Österreich, Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika und Griechenland ergeben.

Das FG wies die Klage ab.

Nach den von dem Kläger vorgelegten Verträgen sei er selbst Vergütungsschuldner gewesen. Die behauptete unbeschränkte Steuerpflicht einzelner Vergütungsgläubiger sei mangels Bekanntgabe der Anschriften für das Gericht nicht nachprüfbar. Im übrigen hätte der Kläger von der Einbehaltung und Abführung der Abzugsteuer nach § 50a Abs. 4 EStG nur absehen dürfen, wenn ihm Freistellungsbescheinigungen nach § 73h EStDV vorgelegen hätten.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Haftungsansprüche seien hinsichtlich der in den Jahren 1972 bis 1974 gezahlten Vergütungen verjährt. Eine Ablaufhemmung nach § 146a Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) sei nicht eingetreten, insbesondere sei keine bereits im Jahre 1977 beabsichtigte Außenprüfung auf seinen Antrag hin hinausgeschoben worden.

Das FG habe § 73h EStDV falsch ausgelegt. Der Verordnungsgeber könne die aufgrund von DBA bestehende Gesetzeslage nicht einseitig zum Nachteil des Steuerpflichtigen verändern. Schließlich sei zu beachten, daß ein Rückforderungsanspruch gegenüber den Vergütungsgläubigern nicht mehr durchgesetzt werden könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils, soweit es die in den Jahren 1972 bis 1974 geleisteten Vergütungen betrifft, und der Haftungsbescheide, die die Abzugsteuern für diesen Zeitraum betreffen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Steueransprüche waren zum Zeitpunkt des Ergehens dieser Bescheide bereits verjährt, so daß auch der Kläger als der neben den Abgabenpflichtigen Haftende nicht mehr in Anspruch genommen werden kann (§ 149 AO). Ob der Beginn der beim Kläger durchgeführten Außenprüfung auf seinen Antrag hinausgeschoben worden ist, ist hierbei unerheblich.

1. Die Verjährung, die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachten ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Mai 1974 III 284/64, BFHE 112, 449, BStBl II 1974, 620), richtet sich im Streitfall (noch) nach den Vorschriften der AO. Nach Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I, 3341) gelten die Vorschriften der AO über die Verjährung für vor dem 1. Januar 1977 entstandene Steueransprüche weiter.

Gemäß § 50a Abs. 5 Satz 1 EStG entsteht die im Wege des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 4 EStG zu erhebende Einkommensteuer in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütungen dem Gläubiger zufließen.

Nach § 145 Abs. 1 AO beginnt die fünfjährige Verjährungsfrist des § 144 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Die Verjährung der den noch streitbefangenen Haftungsansprüchen zugrunde liegenden Steueransprüche (Zuflußzeitpunkte 1972 - 1974) ist somit spätestens mit Ablauf des Jahres 1979 eingetreten.

2. Durch die beim Kläger durchgeführte Außenprüfung wurde der Ablauf der Verjährung der Steueransprüche nicht gehemmt, da diese Prüfung nicht bei den Steuerschuldnern stattgefunden hat.

a) Steuerschuldner beim Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG ist der beschränkt steuerpflichtige Gläubiger der Vergütungen (§ 50a Abs. 5 Satz 4 EStG). Der Kläger hatte lediglich als Schuldner der Vergütungen den Steuerabzug für Rechnung des Steuerschuldners vorzunehmen; er haftet hierbei für die Einbehaltung und Abführung der Steuer (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG).

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hemmen Betriebsprüfungen bei einem Dritten grundsätzlich nicht den Ablauf der Verjährungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner (Urteile vom 6. Mai 1975 VII R 109/72, BFHE 116, 2, BStBl II 1975, 723; vom 8. Oktober 1976 VI R 251/74, BFHE 120, 324, BStBl II 1977, 223; vom 18. Mai 1977 I R 36/75, BFHE 122, 248, BStBl II 1977, 652, und vom 24. April 1979 VIII R 64/77, BFHE 128, 139, BStBl II 1979, 744). Die Vorschrift des § 146a Abs. 3 AO enthält eine lückenlose Regelung über Beginn und Ende der sog. Ablaufhemmung, die ihren abschließenden Charakter verlieren würde, wollte man den Eintritt der Ablaufhemmung mit Betriebsprüfungen bei Dritten begründen (BFHE 116, 2, BStBl II 1975, 723).

Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz wurde lediglich für Lohnsteueraußenprüfungen zugelassen (vgl. BFH-Urteil vom 13. August 1975 VI R 90/73, BFHE 116, 568, BStBl II 1976, 3). Diese Ausnahme findet ihre Rechtfertigung darin, daß nach § 162 Abs. 10 AO eine Betriebsprüfung auch insoweit zulässig war, als es sich um die Aufklärung der Verhältnisse von Arbeitnehmern handelte, die im Dienst des geprüften Unternehmens standen. Für die Prüfung des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 4 EStG sah die AO eine vergleichbare Regelung nicht vor.

b) Eine mögliche Hemmung der Verjährung des Haftungsanspruchs durch die beim Kläger durchgeführte Betriebsprüfung ist auf den Ablauf der Verjährung der Steueransprüche ohne Auswirkung. Denn die Verjährungsfristen gegenüber dem Steuerschuldner und gegenüber dem Haftenden sind getrennt zu berechnen und bedürfen ihnen gegenüber auch getrennter Hemmung (BFH-Beschluß vom 15. November 1966 I B 16/66, BFHE 87, 270, BStBl III 1967, 130).

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf den sog. Objektsteuercharakter der Abzugsteuer nach § 50a Abs. 4 EStG (so jedoch FG Saarland, Urteil vom 25. Februar 1982 II 265/79, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 629), der nichts daran ändert, daß der Kläger lediglich für eine fremde Schuld einzustehen hat (vgl. vorstehend unter 2a). Zwar gilt nach § 50 Abs. 5 EStG die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug aufgrund des § 50a EStG unterliegen, bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten. Daraus folgt jedoch nicht, daß die nicht einbehaltene und nicht abgeführte Abzugsteuer nur noch im Haftungswege bei dem Vergütungsschuldner erhoben werden kann. § 50a Abs. 5 Satz 6 EStG läßt ausdrücklich die Inanspruchnahme des Steuerschuldners neben dem Haftungsschuldner zu, der sich hierbei auf den Verjährungsablauf berufen kann.

3. Nach § 149 AO kann der Haftungsschuldner nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn der Anspruch gegen den Steuerschuldner verjährt ist. Die Vorschrift beruht auf dem Grundsatz der Haftungsakzessorietät. Die dort aufgeführten Ausnahmefälle, in denen der Gesetzgeber eine Durchbrechung der Akzessorietät zugelassen hat, liegen im Streitfall nicht vor. Der erkennende Senat sieht keine Möglichkeit, im Wege der Rechtsfortbildung über den möglichen Wortsinn der Vorschrift hinaus die Ausnahmetatbestände zu erweitern. Denn die Vorschrift läßt keine planmäßige Regelungslücke erkennen. Den Ausnahmetatbeständen in § 149 AO liegen Wertungen zugrunde, die mit der Frage, ob es auch im Rahmen des Steuerabzugsverfahrens einer Einschränkung der Haftungsakzessorietät bedarf, keine Rechtsähnlichkeit aufweisen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295 (297); vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 13. Februar 1980 I R 181/76, BFHE 129, 389, BStBl II 1980, 190).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414811

BFH/NV 1988, 70

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