Leitsatz (amtlich)

Gewährt ein inländischer Kreditgeber Darlehen an einen ausländischen Kreditnehmer, so liegt der Ort der Leistung gemäß § 3 Abs.10 Satz 1 UStG 1967 im Inland, weil der Kreditgeber durch die Hingabe und durch das Belassen des Darlehens "ausschließlich ... im Inland tätig wird".

 

Normenkette

UStG 1967 § 3 Abs. 10 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 09.09.1983; Aktenzeichen II 40/80)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist Staatsbank und Girozentrale. Im Streitjahr gewährte sie Kredite u.a. an fünf ausländische Kreditnehmer. Sie erhielt im Streitjahr von diesen fünf Zinsen in Höhe von insgesamt 2 769 352,40 DM.

Die Klägerin führte neben Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen (§ 15 Abs.2 des Umsatzsteuergesetzes 1967 --UStG 1967--), auch Umsätze aus, bei denen ein solcher Ausschluß nicht eintritt. Die Vorsteuerbeträge, die den zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen oder den übrigen Umsätzen nicht ausschließlich zuzurechnen waren (§ 15 Abs.4 Nr.1 UStG 1967), betrugen 540 283,84 DM. Die Klägerin teilte diese nach dem Verhältnis der zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führenden Umsätze zu den übrigen Umsätzen auf und zog in ihrer Umsatzsteuererklärung 2,2 v.H. der Vorsteuerbeträge ab. Gegen den Umsatzsteueränderungsbescheid für 1969 legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte, bei der Verhältnisberechnung die zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führenden Umsätze zu vermindern und die übrigen Umsätze entsprechend zu erhöhen. Sie habe Kredite an Ausländer gewährt; diese Umsätze seien, weil der Ort der Leistung im Ausland liege, nicht steuerbar und führten daher nicht zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug. Der Einspruch blieb erfolglos. Im Klageverfahren änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Umsatzsteuerbescheid. Das FA berücksichtigte nunmehr einen Teil der Kreditvergaben an Ausländer zugunsten der Klägerin und errechnete den abziehbaren Teil der Vorsteuern mit 7,46 v.H. Hinsichtlich der Umsätze mit fünf ausländischen Kreditnehmern in Höhe von 2 769 352,40 DM vertrat das FA hingegen die Ansicht, diese Umsätze seien steuerbar (und gemäß § 4 Nr.8 UStG 1967 steuerfrei), weil der Ort der Leistung im Inland liege. Sie führten daher zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug. Der Änderungsbescheid wurde auf Antrag der Klägerin Gegenstand des Verfahrens.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es berücksichtigte bei der Verhältnisberechnung gemäß § 15 Abs.4 Nr.1 UStG 1967 die Umsätze mit den fünf ausländischen Kreditnehmern als nicht zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führende Umsätze, deren Anteil es insgesamt mit 8,57 v.H. berechnete. Dementsprechend ließ das FG 8,57 v.H. der aufzuteilenden Vorsteuerbeträge zum Abzug zu und setzte die Umsatzsteuer um 5 997,14 DM niedriger fest. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 257 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 3 Abs.10 UStG 1967. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FA hat die Vorsteuerbeträge, die den zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen oder den übrigen Umsätzen nicht ausschließlich zuzurechnen sind, nach dem Umsatzschlüssel zutreffend aufgeteilt (§ 15 Abs.4 Nr.1 i.V.m. Abs.3 UStG 1967). Es hat hierbei den Anteil der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, ohne Rechtsverstoß ermittelt. Die Umsätze der Klägerin mit den fünf ausländischen Kreditnehmern sind steuerbar und gemäß § 4 Nr.8 UStG 1967 steuerfrei, so daß diese Umsätze gemäß § 15 Abs.2 UStG 1967 zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führen. Die bezüglich der Steuerbarkeit streitige Frage, ob die Umsätze im Inland ausgeführt worden sind (§ 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1967), ist --entgegen der Ansicht des FG-- zu bejahen.

Die Kreditgewährung gemäß § 4 Nr.8 UStG 1967 ist eine sonstige Leistung, da sie keine Lieferung ist (§ 3 Abs.8 UStG 1967). Diese sonstige Leistung wird, wenn sie von einem inländischen Kreditgeber ausgeführt wird, gemäß § 3 Abs.10 UStG 1967 im Inland erbracht, weil der Kreditgeber durch die Hingabe und durch das Belassen des Kreditkapitals "ausschließlich ... im Inland tätig wird" (§ 3 Abs.10 UStG 1967).

Die Darlehensverträge der Klägerin mit den fünf ausländischen Kreditnehmern enthalten die Verpflichtung der Klägerin, den Darlehensbetrag auszuzahlen, sowie die Verpflichtung der Kreditnehmer, Zinsen zu entrichten und den Darlehensbetrag abredemäßig zurückzuerstatten. Die Leistung der Klägerin bestand nicht in einem positiven Tun vor Auszahlung des Kreditbetrags. Kreditverhandlungen, Kreditzusage und Abschluß des Kreditvertrags sind im Streitfall lediglich Vorbereitungshandlung bzw. Teil des Verpflichtungsgeschäfts; nicht sie, sondern erst die Erfüllungshandlung stellt die umsatzsteuerrechtlich maßgebende Leistung der Klägerin dar; sie begann mit der Auszahlung des Kreditbetrags. Der Auszahlung folgte als weiterer Teil der Leistung des Kreditgebers die fortdauernde Belassung des Kapitals während der vereinbarten Laufzeit des Darlehens.

Rechtstechnisch wird die Belassung des Kapitals auf Zeit durch die Verpflichtung des Kreditgebers begründet, seinen schuldrechtlichen Rückforderungsanspruch nur vertragsgemäß, d.h. erst bei Fälligkeit, geltend zu machen. Der Kreditgeber hat zum hingegebenen Kapital keine andere Rechtsbeziehung als diesen Rückforderungsanspruch. Denn der Zweck des Darlehens erfordert es, daß der Kreditnehmer über das Kapital verfügen kann und zu diesem Zweck das Eigentum an den ihm als Darlehen übergebenen Geldzeichen erhält. Damit scheidet der Darlehensbetrag aus dem Vermögen des Kreditgebers aus; dieser verliert das Recht an der Sache.

Der wirtschaftliche Gehalt der Kreditgewährung erschöpft sich allerdings nicht in dem bloßen Aufschub des Rückforderungsanspruchs. Diese rechtstechnische Gestaltung ist lediglich die bürgerlich-rechtliche Grundlage für die umsatzsteuerrechtlich maßgebende Leistung, die mit der Kreditgewährung erbracht wird. Die Leistung des Kreditgebers besteht zunächst in seiner Hauptpflicht, dem Kreditnehmer das Darlehen durch Übereignung des Geldes zu verschaffen. Die hierfür erforderlichen Handlungen tätigt der inländische Kreditgeber im Inland. Neben der einmaligen Hingabe des Kapitals besteht die Leistung des Kreditgebers in der fortdauernden Belassung des Kapitals während der Laufzeit; hierfür zahlt der Kreditnehmer den Darlehenszins als die nach Zeitabschnitten bemessene Vergütung. Insofern kann das Darlehen als ein Dauerschuldverhältnis gekennzeichnet werden, da zwischen Hingabe und Rückzahlung ein gewisser Zeitraum liegt und eine beiderseitige Pflichtenbindung bestehen bleibt. Das Belassen des Kapitals muß wirtschaftlich als das Gewähren von Kaufkraft auf Zeit verstanden werden. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19.März 1970 V R 137/69, BFHE 99, 266, BStBl II 1970, 602) das Wesen des Geldkredits umsatzsteuerrechtlich in der Überlassung der Nutzung des Kapitals gesehen. Das Gewähren von Kaufkraft ist aber kein Untätigbleiben (weder in der Form des Duldens noch des Unterlassens); ein Dulden --wie das Dulden der Nutzung eines Gegenstands (z.B. Miete) oder eines Rechts-- kommt nicht in Betracht, weil der Darlehensgeber über den Darlehensgegenstand keine Verfügungsmacht (mehr) hat. Im Zusammenhang mit dem Tätigsein bei der Auszahlung des Kredits gibt die fortlaufende Bearbeitung des Kredits insgesamt der Kreditgewährung das Gepräge einer positiven Betätigung im Sinne des § 3 Abs.10 Satz 1 UStG 1967. Da der Kreditgeber insoweit im Inland tätig wird, liegt der Ort der Leistung im Inland.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62166

BFHE 154, 261

BFHE 1989, 261

BB 1988, 2162-2163 (LT1)

DB 1988, 2392 (LT)

DStR 1988, 784 (K)

HFR 1988, 641 (LT)

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