Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags

 

Leitsatz (NV)

Das Finanzamt ist bei erstmaliger verspäteter Abgabe einer Steuererklärung nicht auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlags von bis zu 200 DM beschränkt.

 

Normenkette

AO 1977 § 152 Abs. 2; FGO § 102

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Sachverhalt und die vorangehenden Urteilsgründe zur Frage der erneuten

431R

chtsbehelfseinlegung gegen einen unverändert aufrechterhaltenen Verspätungszuschlag trotz Herabsetzung der Steuer durch geänderte Steuerfestsetzung sind zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmt worden (BFHE 161, 492).

Zur Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags führt der BFH u. a. aus:

 

Entscheidungsgründe

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 und 2 AO 1977 im Streitfall vorgelegen haben. Der Kläger ist seiner Verpflichtung zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung für 1982 am 11. Januar 1984 nicht fristgemäß nachgekommen, weil die gesetzliche Abgabefrist (31. Mai 1983, § 149 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) und die nur (unanfechtbar) bis zum 30. September 1983 für die von Vertretern eines steuerberatenden Berufes vertretenen Steuerpflichtigen nach § 109 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 20. Januar 1983, BStBl I 1983, 215) verlängerte Abgabefrist abgelaufen war. Für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) hat das FG festgestellt, daß dieses Versäumnis nicht entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) und daß das Verschulden des Bevollmächtigten insoweit eigenem Verschulden des Klägers gleichsteht (§ 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977; vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. April 1987 IV R 42/85, BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543). Die Feststellung, daß eine rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuererklärung für 1982 durch entsprechende organisatorische Maßnahmen im Büro der Bevollmächtigten des Klägers möglich gewesen und dadurch die geltend gemachten längere Zeit zurückliegenden Arbeitsengpässe hätten ausgeglichen werden müssen, lassen diesen Schluß zu. Sie sind nicht durch zulässige und begründete Verfahrensrügen angegriffen worden.

Entgegen der Ansicht des FG läßt die angefochtene Entscheidung keine Ermessensfehler bei der Festsetzung der Höhe des Verspätungszuschlags erkennen. Die Finanzbehörden haben durch die Festsetzung des Verspätungszuschlags in Höhe von 1000 DM weder die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 102 FGO).

Die Finanzbehörden haben weder die absolute (10 000 DM) noch die relative (10 v. H. der festgesetzten Steuer) Grenze für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) verletzt, noch haben sie die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bezeichneten Kriterien bei der Bemessung des Verspätungszuschlags verkannt.

Die angefochtene Festsetzung ist nicht deswegen - wie das FG meint - ermessensfehlerhaft, weil das FA neben der Abschöpfung des Zinsvorteils (von 600 DM) die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers mit einem über 200 DM hinausgehenden Betrag berücksichtigt hat. Die Ansicht des FG, die Finanzbehörden dürften die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der erstmaligen Festsetzung eines Verspätungszuschlags gegen einen Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen und Vermögen nur bis zu einem Betrag von etwa 200 DM berücksichtigen, ist mit § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 unvereinbar.

Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 setzt voraus, daß die Finanzbehörden ihre Entscheidung aufgrund eines einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts treffen und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigen, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 1981 VII R 84/80, BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740) und die den Besonderheiten des Einzelfalls entsprechen. Die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 bezeichneten Ermessenskriterien sind grundsätzlich gleichwertig (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 1989 I R 10/85, BFHE 157, 14, BStBl II 1989, 693; vom 25. November 1988 VI R 137/85, BFH/NV 1989, 279). Es entspricht nach gefestigter Rechtsprechung des BFH nicht den gesetzlichen Ermessenskriterien, daß das FA bei erstmaliger Überschreitung der Frist zur Abgabe einer Steuererklärung nur den Zinsvorteil abschöpfen und im übrigen nur einen pauschalen Zuschlag in begrenzter Höhe bis zu 200 DM festsetzen darf (vgl. dazu BFH in BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543 unter 2. b; BFH-Urteil vom 25. November 1988 VI R 154/85, BFH/NV 1989, 517, 518). Vielmehr muß der Zuschlag innerhalb der zulässigen Höchstgrenzen um so höher angesetzt werden, je höher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 159/86, BFH/NV 1990, 615); denn beim Verspätungszuschlag geht der eigentliche Druck auf den Steuerpflichtigen nicht von der Abschöpfung des erlangten wirtschaftlichen Vorteils aus, sondern von der darüber hinausgreifenden Auferlegung einer Geldsanktion (vgl. BFH in BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543 unter 2. c; Tipke / Kruse, a. a. O., § 152 AO 1977 Tz. 8).

Die Entscheidung des FG, die den durch § 102 FGO i. V. m § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 gezogene Rahmen nicht eingehalten hat, ist daher aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif. Die zur Höhe des Verspätungszuschlags von der OFD in der Beschwerdeentscheidung angestellten Ermessenserwägungen halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe des § 102 FGO stand, so daß die Klage abzuweisen ist.

Die Begründung der Beschwerdeentscheidung durch die OFD läßt erkennen, daß die in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 aufgeführten Kriterien beachtet und unter Würdigung der Besonderheiten des Streitfalls angewendet worden sind. Neben den aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung für 1982 gezogenen wirtschaftlichen Vorteilen durften die Finanzbehörden die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers heranziehen, die an den erzielten Einkünften und Umsätzen zahlenmäßig ablesbar ist. Der mit der Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 und 2 AO 1977 beabsichtigte Druck auf den Steuerpflichtigen, seiner Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung rechtzeitig nachzukommen, geht gerade von einem an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Zuschlag auf den abzuschöpfenden Zinsvorteil aus (vgl. BFHE 149, 429, BStBl II 1987, 543). Eine Korrektur dieses Zuschlags aufgrund der Ermessenkriterien der Fristüberschreitung und des Verschuldens über das vorhandene Maß hinaus, ist nicht ermessensfehlerhaft. Die OFD hat dabei erkennbar auch bedacht, daß der Kläger seiner Verpflichtung zur Leistung von Vorauszahlungen nicht nachgekommen war. Der Zuschlag in Höhe von 3,6 v. H. der festgesetzten Steuer (= 1000 DM) ist unter Berücksichtigung der Länge der Fristüberschreitung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers weder unangemessen noch willkürlich. Da der erkennende Senat aufgrund der ihm von § 102 FGO gezogenen Grenzen sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle des finanzbehördlichen Ermessens setzen darf, kommt es nicht darauf an, ob man das Ermessen auch in anderer Weise hätte ausüben und einen anderen Betrag hätte festsetzen können (vgl. BFH-Urteil in BFHE 157, 14, BStBl II 1989, 693).

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 499

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