Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen Billigkeitsentscheidungen betreffend den Verzicht auf Stundungszinsen

 

Leitsatz (NV)

Gegen Billigkeitsentscheidungen nach § 234 Abs. 2 AO 1977 ist die Beschwerde gegeben. Das gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde die Entscheidung zugleich mit der Zinsfestsetzung in einem Bescheid getroffen hat (Anschluß an BFH, Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84 BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402).

 

Normenkette

AO 1977 § 234 Abs. 2, § 348 Abs. 1 Nrn. 2, 10, § 349

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Am 2. Januar 1984 beantragten sie den Restbetrag der Einkommensteuer-Vorauszahlungen III. Quartal 1983 in Höhe von . . . DM und die Einkommensteuer-Vorauszahlungen IV. Quartal 1983 in Höhe von . . . DM wegen eines in 1983 zu erwartenden Verlustes aus ihrer Beteiligung an der Firma A KG (im folgenden KG) in Höhe von . . . DM auf null DM herabzusetzen und bis zur Entscheidung über den Antrag zinslos zu stunden. Mit Bescheid vom 29. März 1984 gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die beantragte Stundung mit Wirkung ab Fälligkeit bis zum 30. August 1984. Mit Bescheid von demselben Tag setzte das FA die Stundungszinsen für diesen Zeitraum auf . . . DM fest. Eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlte. In den Erläuterungen dieses Zinsbescheids wies das FA darauf hin, daß nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 14. Mai 1982 (BStBl I 1982, 550) für die Dauer des Vorprüfungszeitraums, d. h. sechs Monate ab Vorlage vollständiger Unterlagen, Stundungszinsen festzusetzen und zu erheben sind. Außerdem seien für den Zeitraum bis zur Vorlage vollständiger Unterlagen Stundungszinsen festzusetzen und zu erheben. Seit dem 27. Februar 1984 lagen dem Betriebsfinanzamt die Unterlagen der KG für 1983 vor. Am 17. Juli 1984 reichten die Kläger dem FA ihre Einkommensteuererklärung für 1983 ein. Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) erlassene Einkommensteuerbescheid für 1983 vom 21. Februar 1985 führte zu einer Einkommensteuererstattung.

Gegen den Zinsbescheid legten die Kläger ,,Einspruch" ein. Sie begründeten ihn damit, daß es unbillig sei, für den Vorprüfungszeitraum Stundungszinsen zu erheben, wenn der von ihnen angegebene Verlustanteil an der KG zutreffen sollte, da eine Steuerschuld von Anfang an nicht bestanden hätte. Sie baten um Erlaß der Zinsen auf die gestundeten Einkommensteuer-Vorauszahlungen III. und IV. Quartal 1983 ab dem 27. Februar 1984. Sie zahlten die seit Fälligkeit der Einkommensteuer-Vorauszahlungen III. und IV. Quartal 1983 bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Stundungszinsen in Höhe von . . . DM.

Das FA wies den Einspruch als zulässig, aber unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit im wesentlichen folgender Begründung statt:

Der Ermessensspielraum des FA, auf die Stundungszinsen nach § 234 Abs. 2 AO 1977 zu verzichten, sei im Streitfall so eingeengt, daß nur die den Verzicht aussprechende Entscheidung ermessensfehlerfrei sei. Die Aufrechterhaltung des Zinsbescheides sei aus sachlichen Gründen unbillig. Sie führe zu einem Überhang über den Zweck der Gesetzesbestimmung.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt Verletzung der §§ 175 Abs. 1 Nr. 1, 234 Abs. 2 AO 1977. Für die Beurteilung der Billigkeit sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Stundung beantragt oder gewährt worden sei. Zu diesen Zeitpunkten seien die Voraussetzungen für eine Stundung nicht gegeben gewesen.

Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen. Das FG hat übersehen, daß der Klage nicht das richtige Vorverfahren vorausgegangen ist. Gleichzeitig ist die Einspruchsentscheidung aufzuheben, da das FA den gegen den Zinsbescheid eingelegten Rechtsbehelf zu Unrecht als Einspruch behandelt hat.

Nach § 234 Abs. 2 AO 1977 kann auf die Festsetzung von Stundungszinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Billigkeitsentscheidung hat das FA im Streitfall zugleich mit der Zinsfestsetzung getroffen, da es in den Erläuterungen zum Bescheid vom 29. März 1984 darauf hingewiesen hat, daß Stundungszinsen festzusetzen und zu erheben seien. Damit hat das FA den Antrag der Kläger vom 2. Januar 1984, den Restbetrag der Einkommensteuer-Vorauszahlungen III. Quartal 1983 und die Einkommensteuer-Vorauszahlungen IV. Quartal 1983 zinslos zu stunden, abgelehnt.

Wie der Bundesfinanzhof durch Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84 (BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402) entschieden hat, ist gegen Billigkeitsentscheidungen über den Erlaß von Aussetzungszinsen nach § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO 1977 die Beschwerde gegeben. Dies gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde die Entscheidung zugleich mit der Zinsfestsetzung in einem Bescheid getroffen hat. Mit diesem Urteil wurde nicht nur über die Rechtsnatur der Billigkeitsentscheidungen betreffend den Erlaß von Aussetzungszinsen, sondern auch über Billigkeitsentscheidungen zu Stundungszinsen entschieden. Denn, wie die Verweisung in § 237 Abs. 4 AO 1977 auf § 234 Abs. 2 und 3 AO 1977 belegt, unterliegen der Verzicht auf Aussetzungszinsen und der Verzicht auf Stundungszinsen denselben Rechtsgrundsätzen.

Der Senat schließt sich der genannten Rechtsprechung des VI. Senats an. Auf die dort dargelegten Gründe wird verwiesen.

Der von den Klägern gegen den Zinsbescheid eingelegte Rechtsbehelf ist als Beschwerde anzusehen. Die Kläger haben sich ausschließlich gegen die Billigkeitsentscheidung des FA gewandt. Die Ordnungsmäßigkeit der Zinsberechnung, die mit dem Einspruch anzufechten gewesen wäre, haben sie nicht beanstandet. Daß sie den Rechtsbehelf selbst als ,,Einspruch" bezeichnet haben, steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil das FA dem Bescheid keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt hatte.

Das FA wird die Beschwerde, falls es ihr nicht abhilft, der Oberfinanzdirektion zur Entscheidung vorzulegen haben (§ 368 AO 1977).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416846

BFH/NV 1991, 1

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge