Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert bei Anfechtung eines Änderungsbescheids

 

Leitsatz (NV)

Wird die Aufhebung oder Nichtigkeit eines Änderungsbescheids begehrt, so ergibt sich der Streitwert aus der Differenz zwischen dem Erstbescheid und dem angefochtenen Änderungsbescheid.

 

Normenkette

FGO §§ 42, 115 Abs. 1, 3; AO 1977 § 351

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde zusammen mit seiner Ehefrau durch Bescheid des Finanzamtes (FA) A. vom 16. November 1976 zur Einkommensteuer 1973 veranlagt. Die Einkommensteuer wurde auf 50 232 DM festgesetzt.

Aufgrund eines Antrags der Ehefrau des Klägers auf getrennte Veranlagung erließ das FA B. am 4. August 1981 einen gegen den Kläger gerichteten geänderten Einkommensteuerbescheid 1973, in dem es eine Steuer von 59 823 DM festsetzte. Mit Bescheid vom 25. Mai 1981, in dem die Ehefrau getrennt zur Einkommensteuer 1973 veranlagt wurde, setzte das FA eine Einkommensteuer von null DM fest.

Die Zustellung des Bescheids vom 4. August 1981 mit Postzustellungsurkunde (PZU) konnte nicht bewirkt werden, da der Kläger unbekannt verzogen war. Die am 14. September 1981 vom FA verfügte öffentliche Zustellung dieses Bescheids sah es später als unwirksam an, weil der Tag des Aushangs und des Abhangs vom Sachgebietsleiter nicht mit vollem Namen unterzeichnet war.

Daraufhin sandte das FA B. diesen Bescheid nunmehr mit Datum vom 20. Mai 1983 durch die Post per Einschreiben mit Rückschein an den Wohnort des Klägers in . . . (Ausland), wo er ausweislich des Poststempels am 25. Mai 1983 einging. Der Kläger lebte dort gemeinsam mit seiner Ehefrau. Diese schickte den Steuerbescheid wieder an das FA B. zurück mit dem Vermerk ,,Brief wurde irrtümlich von mir geöffnet". Mit Schreiben vom 22. Juni 1983 übersandte das FA B. erneut den Steuerbescheid an den Kläger, wobei es darauf hinwies, daß der Tag der Bekanntgabe der 25. Mai 1983 sei. Mit beim FA am 8. Juli 1983 eingegangenen Schreiben legte der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das FA B. wies den Einspruch als unbegründet zurück. Dagegen erhob der Kläger beim Finanzgericht (FG) Klage mit dem Antrag auf ,,Erlaß einer Entscheidung nach § 99 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Feststellung der Unwirksamkeit des Bescheids vom 20. Mai 1983".

Mit dem am 24. April 1985 verkündeten Urteil wies das FG die Klage ab.

Der Kläger hatte unter dem Az. . . . eine weitere Klage beim FG erhoben mit dem Antrag, den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 20. Mai 1983 für nichtig zu erklären. Das FG wies diese Klage mit ebenfalls am 24. April 1985 verkündetem Urteil in gleicher Weise als unbegründet ab.

Mit seinen Revisionen rügt der Kläger die Verletzung der §§ 122 der Abgabenordnung (AO 1977) und 14 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG).

 

Entscheidungsgründe

1. Die vom Kläger eingelegten Revisionen I R 217/85 und I R 218/85 betreffen den gleichen Sachverhalt. Der Senat hat sie deshalb gemäß § 121 i. V. m. § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verbunden.

2. Die Revisionen sind unzulässig; sie waren daher zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

Dem Kläger steht gegen die von ihm angefochtenen Urteile des FG die Revision an den Bundesfinanzhof (BFH) nicht zu, weil weder das FG noch der BFH auf Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zugelassen haben (§ 115 Abs. 1 und Abs. 3 FGO). Ebensowenig ist die Revision deshalb zulässig, weil der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt (§ 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - vom 8. Juli 1975, BGBl I 1861, BStBl I 932 i. d. F. vom 14. Dezember 1984, BGBl I 1514, BStBl I 1985 8).

Da die angefochtenen FG-Urteile am 24. April 1985 und damit vor dem 17. Juli 1985 verkündet wurden, ist die Revision auch dann statthaft, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt (Art. 3 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I 1274, BStBl I 496). Mit Wert des Streitgegenstandes im Sinne dieser Vorschriften ist der Wert (Betrag) gemeint, den das finanzielle Interesse des Revisionsklägers an dem Rechtsmittelverfahren ausmacht (Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, Stand: März 1988, § 115 FGO Anhang Rdnr. 3). Maßgeblich für die Ermittlung dieses Interesses ist der Antrag des Revisionsklägers im Revisionsverfahren, wobei die Revisionsbegründung und die sonst erkennbaren Umstände ggf. zur Auslegung heranzuziehen sind (Tipke / Kruse, a. a. O., Rdnr. 8). Dabei müssen spätestens mit Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 FGO) die Tatsachen vorgetragen und die Anträge gestellt sein, aus denen sich die Zulässigkeit der Revision ermitteln läßt (Tipke / Kruse, a. a. O., Rdnr. 7).

Da der Kläger mit seinen Revisionen die Aufhebung bzw. Feststellung der Nichtigkeit eines Änderungsbescheides begehrt, kann sein Interesse im Regelfall nur soweit gehen, als die Änderung reicht (vgl. § 42 FGO, § 351 AO 1977). Das Interesse des Klägers kann zwar im Einzelfall auch auf die Minderung der gesamten mit dem Änderungsbescheid festgesetzten Steuer gerichtet sein. Für ein solches Begehren des Klägers enthielten weder seine Revisionsbegründungen noch die angefochtenen Urteile noch die dem Senat vorliegenden Akten Hinweise. Zwar ergab sich aus den Akten, daß das FG mit Urteil vom 25. September 1980 die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bescheides gegenüber der Ehefrau festgestellt hatte. Daraus war jedoch weder aus rechtlichen noch tatsächlichen Gründen auf die Unwirksamkeit dieses Bescheids gegenüber dem Kläger (Ehemann) zu schließen, denn der ursprüngliche Bescheid erging nach Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Nach einem Vermerk in den Akten wurde aber eine Ausfertigung dieses Bescheides an die Ehefrau und den Ehemann versandt.

Hinweise dafür, daß der Kläger den ursprünglichen Bescheid für unwirksam hält, weil er nur in einer Ausfertigung ergangen sei, erhielt der Senat erst mit Schreiben des Klägers, eingegangen beim BFH am 26. September 1989. In diesem Zeitpunkt war aber die Revisionsbegründungsfrist längst verstrichen.

Der Streitwert, von dem vorliegend auszugehen ist, liegt deshalb für den Kläger in der Erhöhung der Einkommensteuer, die durch den angefochtenen Bescheid gegenüber dem Erstbescheid vom 16. November 1976 erfolgt ist.

Da der Kläger im Erstbescheid mit seiner Ehefrau zusammen und im Änderungsbescheid getrennt veranlagt wurde, besteht sein steuerliches Interesse im Unterschied zwischen der aufgrund der Zusammenveranlagung festgesetzten Einkommensteuer und den beiden Einkommensteuerbeträgen, die sich bei getrennter Veranlagung bei ihm und seiner Ehefrau ergeben (BFH-Urteil vom 13. April 1962 IV 305/61 U, BFHE 75, 145, BStBl III 1962, 321). Im Streitfall ist bei dieser Berechnung keine Steuer der Ehefrau anzusetzen, da die getrennte Veranlagung ihr gegenüber eine Steuerfestsetzung von null DM ergeben hat. Der Streitwert ergibt sich somit aus der Differenz zwischen Erstbescheid (Steuerfestsetzung: 50 232 DM) und angefochtenem Änderungsbescheid (Steuerfestsetzung: 59 823 DM) und beträgt 9 591 DM.

Da der Kläger mit seiner Revision ausdrücklich nur die Festsetzung der Einkommensteuer angefochten hat, sind bei der Ermittlung des Streitwerts die Auswirkungen der begehrten Revisionsentscheidung auf die zusammen mit der angegriffenen Einkommensteuerfestsetzung festgesetzten Nebensteuern, insbesondere Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag, nicht zu berücksichtigen (BFH-Beschluß vom 22. August 1984 I R 43/84, nicht veröffentlicht).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416826

BFH/NV 1991, 471

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