Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Werden infolge der Auflösung von Rücklagen oder Rückstellungen in der Handelsbilanz Tantiemen nach § 77 des Aktiengesetzes gezahlt, so stellen diese keine Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG dar, die einem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG unterliegen; sie sind vielmehr nach dem allgemeinen Steuertarif zu besteuern.

 

Normenkette

EStG § 24 Ziff. 1, § 34 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.), der leitender Angestellter einer AG ist, erhält nach seinem Dienstvertrag außer dem laufenden Gehalt eine Tantieme von 1 v. H. des sich nach § 77 des Aktiengesetzes (AktG) ergebenden Reingewinns. Er hat im Jahre 1955 neben dem Gehalt und der Gewinnbeteiligung für das Geschäftsjahr 1953/1954 in Höhe von rd. 40.000 DM eine Sonderzahlung von etwa 25.000 DM erhalten, für die er Besteuerung nach § 24 Ziff. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit § 34 Abs. 1 EStG beantragt hat. Das Finanzamt hat diesem Antrag nicht entsprochen. Auch seine Sprungberufung hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht führte aus: Nach § 77 Abs. 2 AktG berechne sich die in einem Anteil am Jahresgewinn bestehende Tantieme nach dem Reingewinn, der sich nach Vornahme von Abschreibungen und Wertberichtigungen sowie nach der Bildung von Rücklagen und Rückstellungen ergebe; auch sei der Teil des Gewinns nicht tantiemepflichtig, der durch die Auflösung von Rücklagen entstanden sei. Die Arbeitgeberin des Bf. habe im Jahre 1955 ihr Kapital erhöht, und zwar durch Heraufsetzung des Nennwerts der Aktien von 1.000 DM auf 1.500 DM. Von den hierzu erforderlichen 10 Millionen DM seien 8 Millionen DM durch die Auflösung unstreitig versteuerter "Rückstellungen" aufgebracht worden. Diese 8 Millionen DM seien in Wirklichkeit jedoch Rücklagen gewesen, was sich insbesondere daraus ergebe, daß diese "Rückstellungen" zur Gewährleistung einer stetigen Dividendenpolitik gebildet worden seien. Einem Teilbetrag von 4 Millionen DM sei deshalb auch im Pflichtprüfungsbericht von dem Wirtschaftsprüfer der AG der Charakter eines Rücklagepostens beigelegt worden. In Höhe von 8 Millionen DM seien demnach für den Bf. überhaupt keine Tantiemeansprüche möglich gewesen. Die Voraussetzungen für eine Ausnahmeberechnung des für die Tantieme maßgebenden Gewinns nach § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG seien nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gleichfalls nicht gegeben gewesen. Aber selbst wenn man nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift die Tantiemepflicht dieses Betrags aus Billigkeitsgründen bejahen würde, führe dies allenfalls dazu, daß ein Tantiemeanspruch des Bf. für 1955 anzunehmen sei. Aus einem Schreiben des Aufsichtsrats vom 2. Mai 1955 ergebe sich allerdings, daß dieser dem Bf. und den anderen Tantiemeberechtigten eine Tantieme habe zahlen wollen als Entschädigung für die Einnahmen, die sie andernfalls möglicherweise aus dieser "Rückstellung" bei deren Verwendung zu Dividendenzahlungen in späteren Jahren erhalten hätten. Diese Beurteilung der Verhältnisse durch den Aufsichtsrat und den Vorstand sei für die Besteuerung jedoch nicht maßgebend. Die steuerliche Würdigung müsse berücksichtigen, daß die Entstehung von Tantiemeansprüchen in späteren Jahren wegen der Möglichkeit von Verlustergebnissen und der dadurch hervorgerufenen Aufzehrung der Rückstellungen durchaus ungewiß gewesen sei. Es sei aber insbesondere nicht zu erkennen, welche künftigen Einnahmen des Bf. durch die Sonderzahlung hätten abgegolten werden sollen. Im Hinblick auf § 77 Abs. 2 AktG könne jedenfalls eine Abgeltung künftiger Tantiemeansprüche wegen der Verwendung der "Rückstellungen" zu Kapitalaufstockungen nicht angenommen werden. Es bleibe nur die Möglichkeit, die Sonderzahlung entweder als eine Sondervergütung aus Anlaß der Kapitalaufstockung oder als eine in entsprechender Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG erfolgte Entschädigung für entgangene Tantiemen des Jahres 1955 anzusehen. Keine dieser beiden Beurteilungen rechtfertige die Besteuerung der Sonderzahlung mit einem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG. Nach der Rechtsauffassung des Bf. sei sein Antrag auf Besteuerung nach dieser Vorschrift übrigens auch nicht begründet; denn er gehe mit dem Aufsichtsrat davon aus, daß die Auflösung der "Rückstellungen" zum Zweck der Kapitalerhöhung keine Gewinnausschüttung darstelle und er halte es auch nicht für vereinbar mit § 77 Abs. 2 AktG, diese Aufstockung des Kapitals der Bildung einer freien Rücklage gleichzusetzen. Nach seinem eigenen Vorbringen stehe ihm daher überhaupt keine Tantieme wegen der Kapitalerhöhung zu. Damit entfalle die Möglichkeit einer Entschädigung, die Voraussetzung für eine Besteuerung mit einem ermäßigten Steuersatz nach § 24, § 34 Abs. 1 EStG sei.

Der Bf. bestreitet die Richtigkeit der Voraussetzungen, von denen das Finanzgericht ausgegangen ist. Das Finanzgericht habe angenommen, die AG habe zur Durchführung der Kapitalerhöhung Rücklagen in Höhe von 8 Millionen DM aufgelöst. Es habe hierbei verkannt, daß die steuerrechtlichen Begriffe "Rücklage" und "Rückstellung" nicht mit denen des Handelsrechts gleichzusetzen seien. Der handelsrechtliche Rückstellungsbegriff sei umfassender als der steuerrechtliche. Die AG habe folgende in ihren Bilanzen ausgewiesene Rückstellungen in Höhe von insgesamt 8 Millionen DM zur Erhöhung des Grundkapitals verwendet: Rückstellungen für Risiken in Verbindung mit dem Kriegsausgang und der Währungsumstellung, für Metallpreisrisiken, für Zuschüsse zu den Provisionen der Versorgungseinrichtungen, für Versicherungsprämien, für Altersfürsorge und Steuerreserven. Diese Rückstellungen seien in den Handelsbilanzen der AG in handelsrechtlich zulässiger Weise gebildet worden. Das Finanzgericht sei seiner Aufklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen, wenn es ohne weiteres angenommen habe, diese Rückstellungen von etwa 8 Millionen DM seien in Wirklichkeit Rücklagen. Diese Rückstellungen hätten sich auch nicht dadurch in Rücklagen verwandelt, daß der Grund für ihre Bildung fortgefallen sei. Verfehlt sei auch der Hinweis des Finanzgerichts auf den Pflichtprüfungsbericht, der einem Rückstellungsteilbetrag von rund 4 Millionen DM den Charakter eines Rücklagepostens beigelegt habe; denn der Wirtschaftsprüfer habe damit lediglich zum Ausdruck gebracht, daß in diesem Posten eine stille Reserve enthalten sei. Im übrigen habe er nicht von Rücklagen, sondern nur von Rückstellungen mit Rücklagecharakter gesprochen. Schließlich seien die Tantiemen ohnehin nur nach einem Betrag von 2 Millionen DM bei der Sonderzahlung bemessen worden. Dieser Betrag hätte auch dann noch zur Verfügung gestanden, wenn von den 8 Millionen DM die Hälfte in freie Rücklagen umgewandelt worden sei. Es werde an der Auffassung festgehalten, daß durch die Verwendung der Rückstellungen zur Kapitalaufstockung seine Aussichten auf künftige Tantiemen fortgefallen seien und die dafür gewährte Sondervergütung eine nach § 24 Ziff. 1, § 34 Abs. 1 EStG steuerbegünstigte Entschädigung sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Hinsichtlich der Gewinnbeteiligung der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften enthält § 77 Abs. 2 AktG einige zwingende Vorschriften über den Gewinn, der der Berechnung der Gewinnbeteiligungen zugrunde zu legen ist. Der Bf. ist nicht Vorstandsmitglied, sondern Prokurist der AG. Wenn § 77 Abs. 2 AktG auch nicht unmittelbar ihn gilt, so muß diese Vorschrift doch auf die Berechnung der ihm vertraglich eingeräumten Gewinnbeteiligung entsprechend angewendet werden, da nicht anzunehmen ist, daß für die Gewinnbeteiligung der nicht zum Vorstand gehörenden leitenden Angestellten einer Aktiengesellschaft andere Grundsätze gelten sollen (vgl. hierzu Baumbach-Hueck, Aktiengesetz, 9. Aufl., 1956, Bem. 1 zu § 77).

§ 77 Abs. 2 AktG bestimmt, daß der Gewinnbeteiligung im wesentlichen der handelsrechtliche Reingewinn zugrunde zu legen ist, der sich nach § 131 AktG ergibt. Soweit dieser auf die Auflösung von Rücklagen entfällt, gehört er jedoch nicht zum tantiemepflichtigen Gewinn (ß 77 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz). Diese Einschränkung gilt aber nicht für den Gewinnanteil, der auf die Auflösung von Rückstellungen entfällt.

Die vom Bf. angestrebte Besteuerung der Sonderzahlung nach § 34 Abs. 1 EStG käme nur in Betracht, wenn einwandfrei feststände, daß diese Zuwendung eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG wäre. Diese Vorschrift durchbricht den sonst im Einkommensteuerrecht geltenden Grundsatz, daß die in einem Veranlagungszeitraum zugeflossenen Einkünfte nach dem allgemeinen Steuertarif zu besteuern sind. Infolge dieses Ausnahmecharakters ist eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmung nicht vertretbar. Daß die dem Bf. zugeflossene Sonderzahlung einwandfrei eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG war und deshalb die Ausnahmebesteuerung gemäß § 24 Ziff. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 EStG zur Anwendung kommen kann, ist nach Lage der Akten nicht anzunehmen.

Das Finanzgericht ist davon ausgegangen, daß die versteuerten "Rückstellungen", welche die AG aufgelöst und zur Kapitalerhöhung verwendet hat, in Wahrheit Rücklagen gewesen seien, die bei einer Auflösung in späteren Jahren infolge der im zweiten Halbsatz des § 77 Abs. 2 Satz 1 getroffenen Regelung keine Grundlage für eine Tantiemezahlung hätten bilden können. Daraus hat das Finanzgericht gefolgert, daß auch eine Ablösung derartiger Ansprüche, die allein die Besteuerung nach § 24 Ziff. 1, § 34 Abs. 1 EStG rechtfertigen würde, nicht in Betracht komme. Diese rechtliche Würdigung ist nach dem Akteninhalt nicht zu beanstanden. Sie ist schlüssig und entspricht auch nach Auffassung des Senats dem geltenden Recht.

Der Bf. bestreitet in der Rechtsbeschwerde, daß es sich bei den aufgelösten Bilanzposten um Rücklagen gehandelt habe. Seine Ausführungen sind mindestens hinsichtlich der Posten "Risiken in Verbindung mit dem Kriegsausgang und der Währungsumstellung" und hinsichtlich des Postens "Metallpreisrisiken" nicht überzeugend, zumal er selbst einräumen muß, daß in dem Pflichtprüfungsbericht bezüglich einer Rückstellung von rund 4 Millionen DM von dem Wirtschaftsprüfer ein Rücklagencharakter angenommen wurde. Aber selbst wenn man den Ausführungen des Bf. folgen würde, wären sie nicht geeignet, die Besteuerung der Sonderzahlung mit einem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG zu rechtfertigen. Die Auflösung einer Rückstellung bewirkt eine entsprechende Erhöhung des Gewinns des Wirtschaftsjahres, in dem dies geschieht. Im vorliegenden Fall wäre also der handelsbilanzmäßige Gewinn des Wirtschaftsjahres 1955 um die bis dahin zurückgestellten 8 Millionen DM erhöht worden. Dadurch hätte sich nach dem Anstellungsvertrag des Bf. in Verbindung mit § 77 Abs. 2 AktG für diesen ein Anspruch auf Tantieme ergeben. Ob dieser Teil des Gewinns in Form von Dividenden ausgeschüttet oder den Aktionären durch Erhöhung des Nennbetrags ihrer Aktien zugeführt wurde, ist dabei ohne Bedeutung; denn die Verwendung des Gewinns ist auf die Berechnung des Dividendenanspruchs des Bf. nach § 77 AktG ohne Einfluß. Ergibt sich aber nach dieser Auffassung für den Bf. auf Grund des laufenden Gewinns des Jahres 1955 ein Tantiemeanspruch aus den hierbei der Berechnung zugrunde gelegten 2 Millionen DM, so ist diese Sonderzahlung keine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG für künftig entgehende Ansprüche dieser Art in späteren Veranlagungszeiträumen. Da sich demnach auch aus den Ausführungen der Rechtsbeschwerde, die sich gegen die rechtliche Würdigung der Vorinstanz wenden, ergibt, daß eine nach § 34 Abs. 1 EStG für die Besteuerung mit einem ermäßigten Steuersatz in Betracht kommende Entschädigung nicht anzunehmen ist, kann die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben.

Anmerkung: Die zahlenmäßigen Angaben entsprechen nicht den tatsächlichen Beträgen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409401

BStBl III 1959, 303

BFHE 1960, 106

BFHE 69, 106

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