Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendungsbereich des § 64 Abs. 2 AO 1977

 

Leitsatz (NV)

1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind Körperschaften i. S. des KStG.

2. § 64 Abs. 2 AO 1977 ist nicht -- auch nicht analog -- auf Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzuwenden, die nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zwecken i. S. der §§ 51 f. AO 1977 dienen.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 14, § 51 ff., § 64 Abs. 2; KStG 1984 § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 5 Abs. 1 Nr. 9; GewStG 1984 § 3 Nr. 6; GG Art. 3 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Bereich der Diakonie tätige inländische juristische Person des öffentlichen Rechts. Im Jahr 1990 (Streitjahr) unterhielt sie zahlreiche Betriebe gewerblicher Art (§ 4 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes -- KStG --). Hinsichtlich der Betriebe, durch die sie entsprechend ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgte (Pflegeanstalten, Alten-, Kinder- und Behindertenheime, Kindergärten, Krankenhäuser und Schulen), hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Klägerin für das Streitjahr gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1984 nicht zur Körperschaftsteuer und gemäß § 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1984 nicht zur Gewerbesteuer herangezogen. Mit den anderen gewerblichen Tätigkeiten (Metzgerei, Bäckerei, zwei Erholungs- und Ferienheime, ein Hospiz und drei Tankstellen) unterliegt die Klägerin der Körperschaft- und der Gewerbesteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 i. V. m. § 4 KStG 1984; § 2 Abs. 1 GewStG 1984 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung 1986). Darüber besteht zwischen den Verfahrensbeteiligten kein Streit.

Im Streitjahr erzielte die Klägerin durch die Metzgerei und die Tankstellen Gewinne. Die Bäckerei, die Erholungs- und Ferienheime und das Hospiz waren verlustbringend. Insgesamt überstiegen die Verluste die Gewinne um mehr als 450 000 DM.

Die Klägerin vertrat im Veranlagungsverfahren die Auffassung, die gewerblichen Tätigkeiten, mit denen sie der Besteuerung unterliege, seien gemäß § 64 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) in der ab dem Streitjahr geltenden Fassung steuerrechtlich als ein einziger Betrieb zu behandeln, die Gewinne und Verluste seien somit zu sal- dieren. Das FA war anderer Ansicht. Es er- ließ an die Klägerin gerichtete Körper- schaftsteuer- und Gewerbesteuerbescheide für einen Betrieb "Metzgerei" (festgesetzte Körperschaftsteuer 62 383 DM, festgesetz- ter einheitlicher Gewerbesteuermeßbetrag 6 666 DM). Die Einsprüche und die Klage gegen die Bescheide waren erfolglos.

Die Klägerin stützt die Revision auf Verletzung der §§ 51 und 64 Abs. 2 AO 1977, des § 1 Abs. 1 Nr. 6 und der §§ 4 und 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG sowie des Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG), soweit es die Körperschaftsteuer und den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1990 betrifft, den Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 1. Juli 1992, den Gewerbesteuermeßbescheid 1990 vom 23. Dezember 1992 und die zugehörige Einspruchsentscheidung vom 3. März 1994 aufzuheben, hilfsweise, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen, ob es mit dem GG vereinbar ist, daß § 64 Abs. 2 AO 1977 nicht für Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gilt, die nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung steuerbegünstigte Zwecke verfolgen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

FA und FG sind zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin im Streitjahr hinsichtlich des Metzgerbetriebs gesondert der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegt. Nicht zu beanstanden ist auch, daß FA und FG die gewerblichen Tätigkeiten, mit denen die Klägerin der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegt, nicht insgesamt als einen Betrieb beurteilt haben. Es verstößt nicht gegen das GG, daß § 64 Abs. 2 AO 1977 auch nicht auf die der Besteuerung unterliegenden Betriebe von solchen juristischen Personen des öffentlichen Rechts angewendet wird, die -- wie die Klägerin -- nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke (§ 51 Satz 1 AO 1977) verfolgen.

1. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1984 sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Betriebe gewerblicher Art, also -- sieht man von Fällen des § 4 Abs. 2 KStG ab -- rechtlich unselbständige Einrichtungen der juristischen Personen des öffentlichen Rechts körperschaftsteuerpflichtig sind. Steuerrechtssubjekte und körperschaftsteuerpflichtig sind vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die juristischen Personen des öffentlichen Rechts wegen jedes einzelnen ihrer Betriebe gewerblicher Art (s. BFH-Urteile vom 13. März 1974 I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391; vom 31. Oktober 1984 I R 21/81, BFHE 142, 386, BStBl II 1985, 162; vom 8. November 1989 I R 187/85, BFHE 159, 52, BStBl II 1990, 242; vom 4. Dezember 1991 I R 74/89, BFHE 166, 342, BStBl II 1992, 432; vom 3. Februar 1993 I R 61/91, BFHE 170, 257, BStBl II 1993, 459; ebenso Abschn. 5 Abs. 1 der Körperschaftsteuer-Richtlinien -- KStR -- 1995).

a) Gleichartige Betriebe gewerblicher Art können mit steuerrechtlicher Wirkung zu einem Betrieb zusammengefaßt -- d. h. organisatorisch zu einem Betrieb vereinigt -- werden (s. BFH-Urteile vom 6. August 1962 I 65/60 U, BFHE 75, 502, BStBl III 1962, 450; vom 12. Juli 1967 I 267/63, BFHE 89, 416, BStBl III 1967, 679; Abschn. 5 Abs. 9 Satz 1 KStR 1995). Gleichartig sind gewerbliche Betätigungen nicht nur, wenn sie im gleichen Gewerbezweig ausgeübt werden, sondern auch dann, wenn sie sich zwar unterscheiden, aber einander ergänzen (s. BFH-Urteil vom 9. August 1989 X R 130/87, BFHE 158, 80, BStBl II 1989, 901, m. w. N.).

b) Der erkennende Senat kann offen lassen, ob Metzger- und Bäckerbetriebe gleichartige Betriebe sind, wie die Klägerin im Revisionsverfahren sinngemäß geltend gemacht hat. Selbst wenn man dies bejaht, weil die Sortimente von Metzgereien und Bäckereien sich zum Teil überschneiden können, sind der Metzgerbetrieb und der Bäckerbetrieb der Klägerin steuerrechtlich zwei getrennte Betriebe gewerblicher Art. Es fehlte im Streitjahr nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), an einer organisatorischen Zusammenfassung beider Betriebe. Daher sind die Betriebe auch nicht als ein einziger stehender Gewerbebetrieb zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 158, 80, BStBl II 1989, 901, m. w. N.).

2. Die Betriebe, mit denen die Klägerin der Körperschaft- und der Gewerbesteuer unterliegt, sind auch nicht deshalb als ein einziger Betrieb zu behandeln, weil die Klägerin im Streitjahr nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen (= steuerbegünstigten) Zwecken diente. § 64 Abs. 2 AO 1977 gilt nicht -- auch nicht entsprechend -- für Betriebe gewerblicher Art.

a) Eine Körperschaft, die nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zwecken dient, ist von der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer befreit (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1984, § 3 Nr. 6 GewStG 1984). Die Steuerbefreiung ist ausgeschlossen, soweit die Körperschaft einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO 1977) unterhält, der kein Zweckbetrieb oder Forstbetrieb -- für die Körperschaftsteuerbefreiung: selbstbewirtschafteter Forstbetrieb -- ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 Sätze 2 und 3 KStG 1984, § 3 Nr. 6 Satz 2 GewStG 1984). Die weiteren Voraussetzungen der Steuerbefreiungen sind in den §§ 51 bis 68 AO 1977 geregelt.

Gemäß § 51 Satz 2 AO 1977 sind unter Körperschaften im Sinne der Vorschriften über Steuervergünstigungen wegen Verfolgung (verfolgen = synonym für dienen) steuerbegünstigter Zwecke die Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen im Sinne des KStG zu verstehen. Funktionale Untergliederungen (Abteilungen) von Körperschaften gelten nach § 51 Satz 3 AO 1977 nicht als selbständige Steuersubjekte.

b) Körperschaften im Sinne des KStG sind entgegen der Auffassung des FA und des FG nicht nur Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen in Rechtsformen des privaten Rechts, sondern auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 1984 sind zwar unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig "die Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts", die -- wie die Klägerin -- ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. Das bedeutet aber nicht, daß die Betriebe gewerblicher Art körperschaft steuerpflichtig sind. Steuerrechtssubjekte und körperschaftsteuerpflichtig sind vielmehr die juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Träger des jeweiligen Betriebs gewerblicher Art (s. oben 1.). Daß die Vorschriften der §§ 51 bis 68 AO 1977 auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten, wenn sie Steuervergünstigungen wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke beanspruchen, ergibt sich auch aus § 55 Abs. 3 und § 63 AO 1977 (s. auch BTDrucks 7/4292 S. 20, Zu § 51).

c) Nach § 64 Abs. 2 AO 1977 sind mehrere wirtschaftliche Geschäftsbetriebe, die keine Zweckbetriebe (§§ 65 bis 68 AO 1977) sind -- sog. Nichtzweckbetriebe --, ab dem Veranlagungszeitraum 1990 (s. Art. 97 § 1d des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung -- EGAO 1977 --) steuerrechtlich als ein einziger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu behandeln. Da das KStG und die AO 1977 zwischen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben und Betrieben gewerblicher Art unterscheiden, schließt der Wortlaut des § 64 Abs. 2 AO 1977 eine Anwendung der Vorschrift auf Betriebe gewerblicher Art aus. Eine § 64 Abs. 2 AO 1977 entsprechende Vorschrift für Betriebe gewerblicher Art fehlt.

d) § 64 Abs. 2 AO 1977 ist nicht entsprechend auf Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzuwenden, die nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zweken dienen. Es ist keine sinnwidrige Lücke des Gesetzes, daß die Rechtsfolge des § 64 Abs. 2 AO 1977 auf wirtschaftliche Geschäftsbetriebe beschränkt ist (a. A. Fichtelmann, Deutsches Steuerrecht 1993, 1514).

Sinn des § 64 Abs. 2 AO 1977 ist es, Körperschaften die Steuervergünstigungen wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke auch dann zu erhalten, wenn sie Gewinne aus Nichtzweckbetrieben zur Abdeckung von Verlusten aus derartigen Betrieben und nicht für steuerbegünstigte Zwecke verwenden (s. BTDrucks 11/4176 S. 10, 11 -- Zu Nr. 3 (§ 64 AO 1977) --; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., 1996, § 64 Rz. 10). Für juristische Personen des öffentlichen Rechts besteht nicht die Gefahr, daß sie Steuervergünstigungen wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke verlieren, falls sie Gewinne eines der Besteuerung unterliegenden Betriebs gewerblicher Art (erwerbswirtschaftlicher Betrieb) zur Abdekung eines Verlusts aus einem anderen erwerbswirtschaftlichen Betrieb verwenden. Sie unterliegen wegen jedes einzelnen Betriebs gesondert der Besteuerung. Daher ist bei ihnen für jeden einzelnen Betrieb gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob sie hinsichtlich dieses Betriebs nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke verfolgen und somit in bezug auf diesen Betrieb von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit sind (vgl. Senatsurteil in BFHE 142, 386, BStBl II 1985, 162).

3. Dem Hilfsantrag der Klägerin war nicht zu entsprechen. Es ist mit dem GG vereinbar, daß § 64 Abs. 2 AO 1977 nicht für Betriebe gilt, mit denen juristische Personen des öffentlichen Rechts der Besteuerung unterliegen (zur Grundrechtsfähigkeit von Kirchen und ihren Einrichtungen s. BVerfG-Beschlüsse vom 21. September 1976 2 BvR 350/75, BVerfGE 42, 312, 321, 322; vom 25. März 1980 2 BvR 208/76, BVerfGE 53, 366, 387). Die Nichteinbeziehung dieser Betriebe in den Geltungsbereich des § 64 Abs. 2 AO 1977 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie ist nicht willkürlich und benachteiligt entgegen der Auffassung der Klägerin die juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht generell gegenüber privatrechtlichen Körperschaften im Sinne des KStG. Der Streitfall zeigt dies exemplarisch.

Würde die Rechtsfolge des § 64 Abs. 2 AO 1977 auf Betriebe gewerblicher Art angewendet, dann wäre der § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG zu entnehmende Grundsatz aufgegeben, daß eine juristische Person des öffent lichen Rechts wegen jedes einzelnen Betriebs gewerblicher Art gesondert der Besteuerung unterliegt. Dann könnte, ohne zu Lasten der Körperschaften des Privatrechts gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen, nicht mehr daran festgehalten werden, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts hinsichtlich einzelner Betriebe gewerblicher Art auch dann noch wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschaft- und der Gewerbesteuer befreit sein können, wenn die erwerbswirtschaftlichen Betriebe per Saldo Verluste erwirtschaften und der Verlustsaldo aus Mitteln des nichterwerbswirtschaftlichen Bereichs ausgeglichen wird.

Im Streitfall betrug der Verlustsaldo über 450 000 DM. Wurde er -- was naheliegt -- von der Klägerin aus Mitteln ihres nicht erwerbswirtschaftlichen Bereichs ausgeglichen, wären der Klägerin bei der von ihr beanspruchten Gleichbehandlung mit Körperschaften des privaten Rechts die Steuerbefreiungen für ihre nichterwerbswirtschaftlichen Betriebe zu versagen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 625

ZKF 1998, 66

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge