Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob es sich bei einem Vertrag, den ein Automobil-Klub aus Anlaß der Ausstellung von Grenzdokumenten (Carnet de Passages en Douanes, Triptiks) an Kraftfahrzeughalter mit einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossen hat, um einen Bürgschaftsvertrag (Rückbürgschaft, Nachbürgschaft) handelt oder um einen (nicht von § 2 Abs. 2 VersStG umfaßten) Versicherungsvertrag.

 

Normenkette

VersStG § 2 Abs. 2

 

Tatbestand

I.

Zum Zwecke des zollerlagsfreien und wertsicherstellungsfreien Eingangsvormerkverkehrs mit unverzollten Kraftfahrzeugen aller Art, Kraftfahrzeuganhängern und Motorbooten (einschließlich mitgeführter Ersatzteile und Radioapparate) waren Automobil-Klubs (im folgenden: Klubs) der in Betracht kommenden Länder von ihren Regierungen autorisiert, den Fahrzeughaltern Grenzdokumente (Carnets de Passages en Douane, Triptiks) auszustellen. Die Klubs bürgten den Zollverwaltungen ihrer Domizilstaaten für die rechtzeitige Wiederausfuhr des im Grenzdokument beschriebenen Fahrzeugs. Bei nicht rechtzeitiger Wiederausfuhr waren die Klubs verpflichtet, der Zollverwaltung ihres Domizilstaates auf erste Anforderung hin die vollen Zollschulden und alle mit der Nichterledigung des Grenzdokuments zusammenhängenden, von der Zollverwaltung eingehobenen Beträge, wie Kosten der Objektsicherstellung, Zollstrafen, Aufenthaltsgebühren usw. zu erstaften. Die Klubs hatten sich gegenseitig verpflichtet, die primär bürgenden Klubs für alle aus ihrer Zollbürgschaft entstehenden Verpflichtungen schadlos zu halten. Die Grenzdokumente stellten eine Bescheinigung dafür dar, daß der jeweilige Klub für die Eingangsabgaben bürgte.

Die Klägerin (Revisionsbeklagte), eine Versicherungsgesellschaft, hatte durch im wesentlichen übereinstimmende Verträge (A bis C) mit den deutschen Klubs dem jeweiligen Klub gegenüber für alle Personen oder Firmen, die durch den Klub Grenzdokumente bezogen, unter Verzicht auf die Einreden der Aufrechnung und der Vorausklage als Gesamtschuldner „die selbstschuldnerische Bürgschaft” für alle aus der Benutzung seiner Grenzdokumente erwachsenden Zoll- und Gebührenforderungen des ausländischen Staates übernommen, für die der inländische dem ausländischen Klub bürgte. Außerdem wurde vereinbart, daß der jeweilige Antragsteller einen besonderen Antragsvordruck auszufüllen hatte mit einer besonderen Verpflichtungserklärung, wonach der Antragsteller sowohl dem Klub als auch im gleichen Umfang der Klägerin gegenüber für alle aus der Benutzung der Grenzdokumente auftretenden Schäden ersatzpflichtig war. Er hatte im Schadensfalle auch die der Klägerin erwachsenden Kosten und sonstigen Auslagen zu erstatten. Die Ausstellung des beantragten Grenzdokumentes begründete nach der Verpflichtungserklärung ein unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und der Klägerin. Die Klubs handelten einerseits im Interesse des Antragstellers zum Erhalt eines Grenzdokumentes und andererseits als Vertreter der Klägerin insofern, als sie deren Rechte als „Bürge” für die Antragsteller wahrnahmen und die Prämien für den Versicherer vereinnahmten. Sobald die Klubs Zollforderungen zu entrichten hatten, mußte ihnen die Klägerin auf erstes Anfordern Zahlung leisten. Mit der Zahlung ging die entsprechende Forderung gegen den Grenzdokumenteninhaber auf die Klägerin über.

In einem anderen Vertrag (D) übernahm die Klägerin gegenüber den deutschen Klubs „die selbstschuldnerische Bürgschaft” für die Fälle, daß diese Klubs aufgrund der von ihnen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaft in Anspruch genommen wurden, weil auf Vormerkschein in die Bundesrepublik eingereiste Fahrzeuge nicht fristgemäß wiedergestellt wurden. Neben den Klubs als Zollbürgen hatte die Klägerin gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von … DM übernommen.

Außerdem hatten die Klägerin und die Klubs – alle als zugelassene Zollbürgen – durch besonderen Vertrag E vereinbart, daß die Klägerin aufgrund der von ihr – neben den bereits von den Klubs übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaften – gegenüber der Bundesrepublik Deutschland übernommenen selbstschuldnerischen Bürgschaft in Höhe von … DM bei unmittelbarer Inanspruchnahme durch die BRD zur Leistung berechtigt war, ohne die materielle Berechtigung des Anspruchs prüfen zu müssen. Die Klubs hatten der Klägerin gezahlte Beträge zu erstatten.

Der Einspruch gegen die Versicherungsteueranforderung war erfolglos. Das Finanzamt (FA) stützte seine Auffassung, es handele sich bei den Verträgen A-D um versicherungssteuerpflichtige Haftpflichtversicherungen (§ 149 des VersicherungsvertragsgesetzesVVG –), auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) II A 601/32 vom 17. Mai 1933 (RStBl 1933, 781).

Die Berufung, mit der die Klägerin die Versicherungsteuerpflicht unter Bezugnahme auf die Vorschrift des § 2 Abs. 2 des Versicherungsteuergesetzes (VersStG) über sogenannte Bürgschaftsversicherungsverträge bestritt, hatte Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) verneinte die Versicherungsteuerpflicht für alle Verträge A-D.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Rechtsbeschwerde – jetzt Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.

1. Das beklagte FA rügt, das FG habe zu Unrecht angenommen, das zwischen der Klägerin und den Klubs bestehende Rechtsverhältnis sei als Rückbürgschaft zu qualifizieren; dem stehe die fehlende Akzessorietät der Eintrittsschuld der Klägerin entgegen. Ferner enthielten der Antrag auf Ausstellung der Grenzdokumente und die Verpflichtungserklärung des Kraftfahrzeughalters keinen Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrags, für den auch die üblichen Versicherungsbedingungen fehlten. Dementgegen wendet die Klägerin ein, die Auslegung des Vertragswerks durch das FG sei möglich und binde deshalb im Streitfall die Revisionsinstanz im vollen Umfang.

Zwar handelt es sich bei der Prüfung, ob und zwischen welchen Beteiligten überhaupt Vertragsbeziehungen zustande gekommen sind, um die Feststellung innerer Tatsachen, die den Senat bindet, falls kein Verstoß gegen die Denkgesetze, kein Rechtsirrtum oder keine wirksamen Verfahrensrügen vorliegen. Dies gilt jedoch nicht für die Prüfung, ob nicht wesentlicher Auslegungsstoff unberücksichtigt geblieben ist, ferner nicht bei der Unterordnung der Willenserklärungen unter einen bestimmten Vertragstyp, hier also bei der Ermittlung des Haftungsgrundes; insoweit handelt es sich um die Lösung einer Rechtsfrage, bei der die Revisionsinstanz an die Rechtsauffassung der Parteien oder der Tatsacheninstanz nicht gebunden ist (§§ 288 Nr. 1, 2, 290, 296 Abs. 1 und 2 Satz 1 AO a. F.; vgl. §§ 118 Abs. 2. 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Urteile II 149/63 vom 21. Dezember 1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 87 S. 458 – BFH 87, 458 –, BStBl III 1967, 189; II 87/64 vom 6. Mai 1969, BFH 96, 197, BStBl II 1969, 556).

Das FG geht davon aus, daß das Zollschuldverhältnis des deutschen Kraftfahrzeughalters durch eine „Kette von Bürgen und Rückbürgen abgesichert” werde. Zu den den Verträgen mit der Klägerin vorangehenden Verhältnissen stellt das FG fest, die Klubs hätten „sich gegenseitig vertraglich verpflichtet, die aus der Ausstellung von Grenzdokumenten primär bürgenden Klubs für alle aus ihrer Zollbürgschaft entstehenden Verpflichtungen schadlos zu halten”. Diese Feststellung reicht nicht aus, an diesem Glied der Kette eine Bürgschaft (Rückbürgschaft) anzunehmen. Es bleibt offen, ob nicht gegenseitige Garantieversprechen vorliegen. Von dieser Vorbeziehung kann aber abhängen, für welche Forderung die Klägerin sich verbürgt oder welches Risiko sie gegebenenfalls versichert hat. Ebenso ist für die späteren Verhältnisse nicht klar, ob nur die Klubs in ein Vertragsverhältnis zur Klägerin eingetreten sind – was durch das Vorliegen der Verpflichtungserklärung des Kraftfahrzeughalters allein nicht notwendig ausgeschlossen wird –, oder ob die streitigen Verträge nur als Rahmenverträge anzusehen sind, die letztlich erst durch das Eintreten der einzelnen Kraftfahrzeughalter ausgefüllt werden.

2. Nach anfänglichen Zweifeln (vgl. Kersting, Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1928 S. 361; Begründung zu § 2 Abs. 2 VersStG 1922, abgedruckt bei Wunschel/Kostboth, Kommentar zum Versicherungsteuergesetz, § 2 Anm. 14) wird die sogenannte Kautionsversicherung (§ 2 Abs. 2 VersStG) versicherungsrechtlich als echte Versicherung zugunsten eines Dritten angesprochen (vgl. – auch zum folgenden – Berliner, Juristische Rundschau für die Privatversicherung 1929 S. 27; Entscheidung des Kammergerichts vom 19. März 1930, Juristische Wochenschrift 1930 S. 3642 – NW 1930, 3642 – mit Anmerkung von Gottschalk; Schloeßmann bei Finke, Handwörterbuch des Versicherungswesens 1958 Bd. 1 Spalte 1078 ff., Stichwort „Kautionsversicherung”; von Halem, Buchausgabe des versicherungswirtschaftlichen Studienwerkes „Die Versicherung” 1962 bis 1964 Bd. 4, Besondere Versicherungslehre, Studienplan F V 9 S. 55 ff.; Ehlers, Versicherungsteuer und der Begriff der Versicherung im Versicherungsteuerrecht, Dissertation Hamburg 1968 S. 105 ff., 110, 118, 119 mit Fußnote 143 mit weiteren Nachweisen). Die Kautionsversicherung bezweckt die Sicherstellung der von einem Schuldner gegenüber dem Gläubiger übernommenen Verpflichtung durch Übernahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft durch den Versicherer (Eichler, Versicherungsrecht 1965 S. 229). Der Versicherer will nur bürgen, nicht aber den Versicherungsnehmer endgültig von einer Verpflichtung befreien (Berliner, a. a O., S. 29 rechte Spalte). Eine Kautionsversicherung liegt also nur vor, wenn neben dem Kautionsversicherungsvertrag zwischen Versicherer (Bürgen) und Versicherungsnehmer (Schuldner) ein Bürgschaftsvertrag zwischen dem Kautionsversicherer und dem Gläubiger abgeschlossen wird. Wird der Kautionsversicherer in Anspruch genommen, so nimmt er bei dem Schuldner (Versicherungsnehmer) Regreß.

Nur unter diesen Voraussetzungen kann auch die sogenannte Autotriptikversicherung als Kautionsversicherung eingestuft werden. Danach wird eine (echte) Autotriptikversicherung als Fremdversicherung allgemein dann angenommen, wenn der Kraftfahrzeughalter (Dokumenteninhaber) selbst als Schuldner und Versicherungsnehmer mit dem Versicherer zugunsten des bürgenden Klubs einen Kautionsversicherungsvertrag (mit Verpflichtungserklärung) abschließt. Dabei kann der Klub als Versicherer (aufgrund seines Bürgschaftsvertrages mit dem Gläubiger) zugleich als Mittler und Vertreter des Versicherers auftreten und ferner mit dem Einzug der für die Haftungsübernahme dem Versicherer geschuldeten Prämie beauftragt sein (Burbach, Neumann's Zeitschrift für Versicherungswesen 1929 S. 113; Cruciger bei Manes, Versicherungslexikon, 3. Aufl., 1930, Stichwort „Autotriptikversicherung”; Manes, Versicherungswesen 1931 II. Bd. S. 269; Schloeßmann, a.a.O., Spalte 1081/2; von Halem, a.a.O., S. 268). Abgesehen davon, daß bei einer solchen Autotriptikversicherung – in Modifizierung der üblichen Kautionsversicherung – der Versicherer sich nicht unmittelbar dem „eigentlichen” Gläubiger (Zollgläubiger) verbürgt, sondern als „eigentliche” Bürgen die (in- und ausländischen) Klubs zwischengeschaltet sind, kann nach dem Prinzip der Vertragsfreiheit auch eine Autotriptikversicherung durchaus anders ausgestaltet sein, z. B. derart, daß der Klub selbst als Versicherungsnehmer im eigenen Namen und für eigene Rechnung eine Versicherung abschließt, so daß dann u. a. besondere Versicherungsscheine für die einzelnen Fälle der Dokumentenausstellung nicht ausgestellt werden (vgl. Burbach, a. a. O. S. 115 linke Spalte oben). Je nach der Gestaltung des gesamten Vertragswerks im Einzelfall ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß dann Versicherungsnehmer und Versicherter eine Person sind, so daß gegebenenfalls zu prüfen bliebe, ob in solchen Fällen nicht der Kraftfahrzeughalter einen Bürgschaftsversicherungsvertrag (§ 2 Abs. 2 VersStG) als Versicherungsnehmer und Schuldner abgeschlossen hat, sondern ob der Klub als Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherers geworden ist, sei es als Gläubiger – dann des Kraftfahrzeughalters als dem Dokumenteninhaber – sei es als Schuldner – dann des ausländischen Klubs oder des Zollgläubigers –. Im ersten Fall wäre zu prüfen, ob hier eine nicht unter § 2 Abs. 2 VersStG fallende Art Kreditversicherungsvertrag im eigentlichen Sinne vorläge (vgl. von Halem, a. a. O., S. 17), durch den der Klub als Gläubiger sich gegen Ausfälle wegen Zahlungsunfähigkeit seiner Mitglieder als den Zollschuldnern versichert hätte. – Der zweite Fall würde zur Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2 VersStG voraussetzen, daß außer einem Bürgschaftsversicherungsvertrag zwischen dem inländischen Klub als Versicherungsnehmer und Schuldner noch ein Bürgschaftsvertrag zwischen dem Versicherer und dem ausländischen Klub als Gläubiger oder dem Zollgläubiger vorläge, was jedenfalls hinsichtlich des Vertragswerks zu den Verträgen A bis C unstreitig nicht zutrifft. Dann aber käme, wie schon der RFH in dem oben angeführten Urteil II A 601/32 zu II. (RStBl 1933, 781) angenommen hat, eine Art Haftpflichtversicherung in Betracht, falls die Klägerin verpflichtet ist, dem Klub als Versicherungsnehmer die von ihm an den Dritten (ausländischen Klub, Zollgläubiger) zu bewirkende Leistung zu ersetzen (§ 149 VVG). Hierfür würde sprechen, wenn der Versicherer, der beim Eintreten des Versicherungsfalles eine Leistung erbracht hat, gegen den Klub als Versicherungsnehmer selbst dann einen Regreßanspruch nicht geltend machen könnte (Befreiungsanspruch; vgl. Prölss, Versicherungsvertragsgesetz, 17. Aufl., § 149 Anm. 1), wenn der Versicherer den ihm vom Klub abgetretenen Ersatzanspruch bei dem Klubmitglied erfolglos geltend macht. Insoweit trifft es nicht zu, daß – wie das FG aufgrund der Ausführungen der Klägerin meint – dem RFH im oben angeführten Urteil II A 601/32 wesentliche Merkmale der verschiedenen Versicherungszweige der Kredit-, insbesondere der Kautionsversicherung und vor allem die Unterscheidungsmerkmale zwischen Bürgschaftsversicherung und Haftpflichtversicherung unbekannt geblieben sein sollen.

3. Es kann – entgegen der Annahme des FG – auch nicht davon ausgegangen werden, daß der RFH in dem oben angeführten Urteil II A 601/32 nur deshalb zu seinem Ergebnis gekommen sei, weil er rechtsirrtümlich das Vorliegen einer Rückbürgschaft zwischen Versicherer und Klub verneint habe. In der damaligen Verpflichtungserklärung war – im Gegensatz zu der hier streitigen Verpflichtungserklärung – die Bürgschaft der Versicherungsgesellschaft ausdrücklich als „Rückbürgschaft” bezeichnet (siehe RStBl 1933, 782 rechte Spalte). Der RFH hatte jedoch das Vorliegen eines Vertrags mit dem Gläubiger (§ 765 BGB) nur im Zusammenhang mit der Möglichkeit II (RStBl 1933, 783 linke Spalte) – Sicherungsbegehren des Klubs in seiner Eigenschaft als Schuldner des ausländischen Klubs (Zollgläubigers) – vermißt, dagegen zur Möglichkeit III (a. a. O.) das Vorliegen eines Bürgschaftsversicherungsvertrags zwischen Versicherungsgesellschaft und Klub auch in seiner Eigenschaft als Gläubiger seiner Mitglieder aus anderen Gründen verneint. Dabei kann die vom FG im Sinne des Reichsgerichts – RG – (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 146 S. 70 – RGZ 146, 70 –) bejahte, heute aber durchaus streitige Frage, ob § 774 BGB – gesetzlicher Forderungsübergang – bei der Rückbürgschaft nicht eingreift (anderer Ansicht als das RG z. B. Staudinger/Brändl, 11. Aufl., Vorbem. vor § 765 BGB Tz. 30; Reimer Schmidt bei Soergel/Siebert, 10. Aufl., vor § 765 BGB Tz. 26; Fischer im Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 11. Aufl., vor § 765 Anm. 11, alle mit weiteren Nachweisen) als entscheidungsunerheblich ausgeklammert werden.

Auch die Rückbürgschaft ist – wie das FG richtig bemerkt – eine echte Bürgschaft, und zwar auch bei zulässiger Mehrstufigkeit (Staudinger/Brändl, a. a. O., am Ende mit weiteren Nachweisen). Die für die Bürgschaft geltenden Grundsätze sind deshalb entsprechend auch für die Rückbürgschaft anwendbar. Darum gilt der – auch bei selbstschuldnerischen Bürgschaften zutreffende (Fischer, a. a. O., vor § 765 Anm. 5) – Grundsatz der Akzessorietät (Abhängigkeit der Nebenverpflichtung des Bürgen vom Bestand der Hauptschuld des Schuldners) auch für die Rückbürgschaft. So kann der Rückbürge dem Bürgen die Einwendungen des Hauptschuldners entgegenhalten (Fischer, a. a. O., § 768 Anm. 1; Staudinger/Brändl, a. a. O.). Auf das dem Bürgen gemäß § 768 BGB zustehende Einrederecht kann der Bürge – wenn der Charakter der Bürgschaft als eines subsidiär-akzessorischen Einstehenmüssens für eine fremde Hauptschuld nicht verlorengehen soll – nur insoweit verzichten, als es sich um Einreden allgemeiner Natur handelt, nicht aber um solche, die dem besonderen Schuldverhältnis entspringen, hinsichtlich deren also ein Verzicht des Bürgen mit der abhängigen Natur des Bürgschaftsverhältnisses nicht mehr vereinbar wäre (RGZ 153, 338, 345; Staudinger/Brändl, a. a. O., § 768 Tz. 13 mit Nachweisen auch der Rechtsprechung; für den Bankenverkehr Coing, Neue Juristische Wochenschrift 1951 S. 384, 386 – NJW 1951, 384, 386 –). Insbesondere wird eine – vielfach bei Behörden und Bankbürgschaften verwendete – Klausel, daß der Bürge gegenüber dem Gläubiger verpflichtet und gegenüber dem Hauptschuldner berichtigt ist, auf erstes Anfordern des Gläubigers Zahlung zu leisten, als mit der Annahme einer Bürgschaft nicht mehr vereinbar bezeichnet (Fischer, a. a. O., § 768 BGB Anm. 6).

Im Streitfall hatte die Klägerin den Klubs „auf erstes Anfordern Zahlung” zu leisten und konnte diese „nicht mit der Begründung verweigern, daß der Klub seinerseits zu Unrecht in Anspruch genommen wurde” (vgl. §§ X, U des Vertrages A, §§ X, V des Vertrages B, §§ X, W des Vertrages C). Hierzu rügt der Beklagte im Ergebnis mit Recht, daß das FG wesentlichen Vertragsauslegungsstoff unberücksichtigt gelassen hat. Für die Frage, ob ein Bürgschaftsvertrag oder ein anderer verwandter Vertrag mit selbständiger Verbindlichkeit, unter Umständen ein Versicherungsvertrag, zustande gekommen ist, ist nicht die Wortwahl, sondern der wirkliche Wille der Parteien in Verbindung mit dem materiellen Vertragsinhalt maßgebend (RGZ 90, 415, 417; Bundesgerichtshof, Lindenmeier-Möhring, § 765 BGB Nr. 1; vgl. auch RGZ 163, 91, 97, 99). Das FG wird in geeigneter Weise noch ermitteln müssen, ob sich die Klägerin durch die oben angeführten Klauseln gegenüber den Klubs in einen Umfang der Einreden des Zollschuldners begeben hat, daß schon deshalb die Verträge A bis C nicht mehr als Bürgschaftsverträge bezeichnet werden können. Mit dem bloßen Hinweis der Klägerin, daß mit dem Wegfall der Zollschuld auch die Bürgschaftsleistung gegenstandslos werde, wird die Möglichkeit der mangelnden Akzessorietät noch nicht ausgeräumt, zumal die Klägerin den Klubs vertraglich die tatsächlich aufgewendeten Beträge zu erstatten hat, dies offenbar auch dann, wenn eine Zollschuld – ob zu Recht oder nicht – tatsächlich entrichtet worden ist.

Zu Feststellungen in dieser Richtung bestand auch aus den folgenden Erwägungen Anlaß: Die Grenzen zwischen Bürgschaft und Versicherung sind flüssig. Gerade darum können noch andere Unterscheidungsmerkmale bedeutsam werden, die im FG-Urteil nicht oder nicht hinreichend hervortreten. Die Bürgschaft wird – auch wenn sie in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle und entgeltlich (z. B. Zollbürgschaft, Bankbürgschaft) geleistet wird – in der Regel als Einzelgeschäft nach der Beschaffenheit des Einzelfalles, auch des Schuldners, geleistet gegen ein Entgelt, das im wesentlichen nur die Verwaltungskosten und den erstrebten Gewinn umschließt. Bei der Versicherung handelt es sich unter planmäßiger Herstellung einer Gefahrengemeinschaft um ein Massengeschäft – erst recht bei „Bürgschaftsübernahme” durch ein Versicherungsunternehmen – unter Übernahme des Versicherungswagnisses gegen eine Prämie, die diesen Risikoausgleich ermöglicht (Reimer Schmidt bei Sorgel/Siebert, a. a. O., vor § 765 BGB, Tz. 50; Staudinger/Brändl, a.a.O., Vorbemerkung vor § 765 BGB, Tz. 58; vgl. auch RGZ, Monatsschrift für Deutsches Recht Bd. 62 S. 969 – MDR 62, 969 –; Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 33 S. 97, 98 – BGHZ 33, 97, 98 –; Ehlers, a. a. O., S. 114 ff.; Bruck/Möller, Versicherungsvertragsgesetz, 8. Aufl., § 1 Anm. 4–8; Schloeßmann bei Finke, a.a.O., Stichwort Kautionsversicherung zu III S. 1082 rechte Spalte; Kluckhohn, Neumann's Zeitschrift für Versicherungswesen 1933 S. 584). Es ist nicht ersichtlich, daß hinsichtlich jedes einzelnen Falles der Dokumentenausgabe zwischen der Klägerin und den Klubs ein (Rück-)Bürgschaftsvertrag unter Erteilung einer Bürgschaftserklärung (§ 766 BGB) zustande gekommen wäre. Aus der Fassung der vom FG als Rahmenbestimmungen bezeichneten Verträge A bis C könnte zu schließen sein, daß die Leistungspflicht der Klägerin gegenüber den Klubs sich bereits hieraus und für alle künftig eintretenden Fälle ergibt. Eine Bürgschaft kann zwar auch für eine künftige oder bedingte Verbindlichkeit übernommen werden (§ 765 Abs. 2 BGB). Dabei kann die Hauptschuld sowohl nur der Höhe nach unbestimmt sein, als auch erst aus künftig abzuschließenden und bloß der Art nach im voraus bestimmten Geschäften oder zu begründenden Rechtsverhältnissen entstehen (Fischer, a. a. O., § 765 Anm. 12; Staudinger/Brändl, a. a. O., § 765 Tz. 12, beide mit Nachweisen auch der Rechtsprechung). Sie kann also für alle derartigen künftigen Verbindlichkeiten des (bekannten) Hauptschuldners übernommen werden (Reimer Schmidt, a. a. O., § 765 Anm. 2) oder auch gegenüber mehreren noch unbestimmten Personen, die nacheinander die Forderung erwerben, d. h. als Gläubiger (Reimer Schmidt, a.a.O., § 766 BGB Anm. 3). Wenn insoweit an die Bestimmbarkeit des Bürgschaftsverhältnisses keine überstrengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGHZ 25, 318), so kann doch nicht außer acht gelassen werden, daß für die Bürgschaft gerade die Person des Hauptschuldners sehr wesentlich ist (Staudinger/Brändl vor § 765 BGB, Tz. 12). Wohl deshalb hat der V. Senat des BFH (Urteil V 5/64 vom 11. Mai 1967, BFH 89, 198, BStBl III 1967, 643) – wenn auch als obiter dictum – die Auffassung vertreten, daß § 765 BGB das Einstehen für die Verbindlichkeiten eines bestimmten Dritten verlange. Die Klägerin hat die „selbstschuldnerische Bürgschaft” für alle Personen und Firmen übernommen, die künftig Grenzdokumente beziehen (vgl. die §§ X der Verträge A bis D). Vergleiche auch § X des Vertrages F – Anlage 1 zum Vertrag D, wonach die Klubs dem Bund selbstschuldnerische Bürgschaft für die Abgabenschulden aller Personen leisten, denen die Zollstelle einen Kraftfahrzeugvormerkschein ausgehändigt hat. Sollten darüber hinaus Einzelbürgschaftsverträge nicht zustande gekommen sein, so wird das FG zu prüfen haben, ob (auch) mangels genügender Bestimmbarkeit des Hauptschuldners die Annahme einer Bürgschaft ausscheiden müßte und ob nicht gerade wegen des in diesem Umstand liegenden möglichen höheren Risikos die Annahme eines Versicherungsverhältnisses näher liegt.

Auch hinsichtlich des – bei Unterstellung eines Rückbürgschaftsvertrags – von den Klubs geschuldeten „Bürgschaftsentgelts” enthalten die Darlegungen des FG trotz Bezugnahme auf die Ausführungen der Klägerin zur Kalkulierung der (von den Kraftfahrzeughaltern geschuldeten) „Kautionsversicherungsprämien” keine ausreichenden Feststellungen, die Rückschlüsse auf das Vertragsverhältnis Klägerin/Klubs gestatten würden.

4. In gleicher Richtung wird das FG gegebenenfalls in geeigneter Weise noch ermitteln müssen, ob das nach seinen Ausführungen zwischen den Kraftfahrzeughaltern und den Versicherungsgesellschaften begründete unmittelbare Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechtsbeziehungen nach dem wirklichen Willen der Beteiligten überhaupt als Versicherungsverhältnis gewollt war.

Zwar sind – wie das FG zutreffend bemerkt – an ein Formular im Rahmen eines „Massenverfahrens” keine überspannten Anforderungen zu stellen. Auch sind für das Zustandekommen eines Versicherungsvertrags keine gesetzlichen Formvorschriften zu wahren. Ein Versicherungsvertrag muß auch nicht erst durch Ausstellung oder Aushändigung eines Versicherungsscheins (§ 3 VVG) zustande kommen (Bruck/Möller, a. a. O., § 1 Anm. 72, 78, § 3 Anm. 13). Auch über die Prämie und deren Höhe sind ausdrückliche Vereinbarungen nicht erforderlich (Bruck/Möller, a. a. O., § 35 Anm. 21). Andererseits müssen Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrages (in der Praxis wohl meist durch Antragsschein) und Annahme, wie auch die Pflicht zur Ausstellung eines Versicherungsscheins zeigt (Bruck/Möller, a. a. O., § 3 Tz. 14), so eindeutig sein, daß die Beteiligten sich über alle wesentlichen Punkte, über die sie sich hinsichtlich des Zustandekommens eines Versicherungsverhältnisses einigen wollten, auch tatsächlich geeinigt haben (vgl. auch Urteil des Senats II 125/63 vom 13. Februar 1969, BFH 95, 289, BStBl II 1969, 379). Auch die Prämie muß wenigstens nach Üblichkeit oder Billigkeit erkennbar und bestimmbar sein (Bruck/Möller, a. a. O., § 1 Anm. 73, 79). In der Verpflichtungserklärung versicherte der Kraftfahrzeughalter nur, daß ihm die Vorschriften über den Gebrauch der Grenzdokumente bekannt seien und nahm zur Kenntnis, daß die Klägerin den Klubs gegenüber für die Erfüllung seiner Pflichten bürgte. Wenn der Kraftfahrzeughalter sich „deshalb” der Klägerin und den Klubs gegenüber für ersatzpflichtig erklärte, so erlauben diese Feststellungen noch keinen Schluß auf den Inhalt des wirklichen Parteiwillens.

5. Zum Vertrag D hat das FG festgestellt, daß die Klägerin gegenüber den Klubs „in gleicher Weise die selbstschuldnerische Bürgschaft” wie in den Verträgen A bis C übernommen habe. Auch die Parteien stimmen – wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen – darin überein, daß die Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und den Klubs nach den Verträgen A bis D einheitlich zu beurteilen seien.

Das FG wird bei der erneuten Überprüfung des ganzen Vertragswerks und unter entsprechender Anwendung der obigen Ausführungen auch hinsichtlich des Vertrags D nach Zurückverweisung der insgesamt nicht spruchreifen Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO) entscheiden müssen, ob sich nach ergänzenden Feststellungen auch zum Vertrag D (insbesondere etwa zu den Fragen der Bestimmbarkeit des Hauptschuldners – siehe oben zu 3. vorletzter Absatz am Ende –, des Ausschlusses einer Rückforderungsmöglichkeit – § X des Vertrags D – und der Prämiengestaltung – § Y des Vertrags D in Verbindung mit § Z des Vertrags F) neue tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte ergeben, die eine andere Beurteilung erfordern.

 

Fundstellen

BFHE 1970, 60

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