Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Beteiligung an einer Personengesellschaft als Kommanditist kann für einen Minderjährigen eine Erwerbsgrundlage im Sinne von § 10 a EStG gewesen sein, auch wenn die Erträge auf Grund des Verwaltungs- und Nutznießungsrechts des Vaters diesem zugeflossen sind. Ob der Wert der Beteiligung und ihre Erträge der künftigen sozialen Stellung des Minderjährigen entsprachen, ist ohne Bedeutung. Wesentlich ist allein, ob sie objektiv zur Deckung des Lebensunterhalts ausreichten.

Behält ein Steuerpflichtiger nach der Vertreibung die im Bundesgebiet befindlichen Teile seines Unternehmens und bilden diese noch eine ausreichende Erwerbsgrundlage, so ist für die Anwendung des § 10 a EStG kein Raum.

 

Normenkette

EStG § 10a/1

 

Tatbestand

Der Vater des Bf. war vor 1945 persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter von mehreren, miteinander eng verbundenen Gesellschaften, an denen er erheblich beteiligt war. Im Jahre 1942 schenkte er dem damals neun Jahre alten Bf. einen Kommanditanteil, der einer Beteiligung von 1,5 v. H. an diesen Gesellschaften entsprach. Aus dieser Beteiligung hatte der Bf. im Jahre 1942 13.077 RM und im Jahre 1943 7.832 RM gewerbliche Einkünfte. Die Unternehmen, die in X. (sowjetische Besatzungszone) ihren Sitz hatten und deren Gewinne dort besteuert wurden, wurden nach dem Krieg enteignet. Von dem ursprünglichen Konzern blieben nur drei Firmen in Y. (Westdeutschland) übrig. Infolge der Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse ergaben sich für die Jahre 1944 bis 1950 Verluste. Erst ab 1951 erbrachten die westdeutschen Firmen wieder Gewinne, von denen auf die 1,5 v. H. betragende Beteiligung des Bf. 1951 5.000 DM, 1952 12.500 DM, 1953 12.700 DM und in den folgenden Jahren Gewinne zwischen etwa 6.800 DM und 10.700 DM entfielen. In der Einkommensteuererklärung für 1956, als er auf Grund der in diesem Jahr bereits 7 v. H. betragenden Beteiligung einen Gewinn von 49.776 DM hatte, beanspruchte der Bf. für 20.000 DM die Steuervergünstigung für nicht entnommenen Gewinn, die das Finanzamt nicht zugestand. Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg.

Das Finanzamt führte aus: Der Bf. besitze zwar den Flüchtlingsausweis C und gehöre deshalb zu dem Personenkreis, der die für Flüchtlinge vorgesehene Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns beanspruchen könne, wenn er seine frühere Erwerbsgrundlage verloren habe. Der Bf. habe aber zur Zeit seiner Flucht noch keine seiner sozialen Stellung entsprechende Erwerbsgrundlage besessen. Bei einem Minderjährigen könne hohes Vermögen allerdings eine Erwerbsgrundlage sein, auch wenn die Erträge auf Grund des elterlichen Nutznießungsrechts den Eltern zugeflossen seien. Die Beteiligung von 1,5 v. H., die der damals neunjährige Bf. von seinem Vater erhalten habe, sei zwar ein beachtliches Vermögen und eine entsprechende Einkommensquelle gewesen. Für den Sohn eines großen Unternehmers sei diese Beteiligung jedoch keine Erwerbsgrundlage gewesen, die seiner sozialen Stellung und dem von ihm angestrebten Berufsziel als Nachfolger seines Vaters entsprochen hätte. Durch die Enteignung habe der Konzern erhebliche Vermögenseinbußen erlitten und einige seiner Geschäftszweige seien überhaupt zum Erliegen gekommen. Ein wesentliches Arbeitsgebiet des Konzerns sei von den Betrieben in Y. bearbeitet worden. Trotz der dort eingetretenen Fliegerschäden sei dieser Teil des Konzerns erhalten geblieben. Diese Betriebe hätten die Fortführung des früheren Unternehmens ermöglicht und nach einer Anlaufzeit eine sichere Erwerbsgrundlage geboten.

Der Bf. rügt mit der Rb., das Finanzgericht habe die Zusammenhänge der verschiedenen Firmen nicht in jeder Beziehung richtig dargestellt. Auch habe es zu Unrecht die Entwicklung der vertriebenen Firmen nach der Währungsumstellung und die späteren Schenkungen seines Vaters herangezogen. Der Wert der Beteiligung an den nicht enteigneten Betrieben in Y. könne nicht verglichen werden mit der früheren wertvollen Beteiligung an dem Konzern in X. Jedenfalls sei sein Kommanditanteil an den Betrieben in Y., die 1948 bis 1950 mit Verlust gearbeitet hätten, keine ausreichende Erwerbsgrundlage für ihn im Bundesgebiet gewesen. Zur Zeit seiner Flucht seien diese Unternehmen bloße Firmenbezeichnungen gewesen, hinter denen nichts mehr gestanden habe. Erst nach der Rückkehr seines Vaters im Jahre 1950 sei es gelungen, diese Betriebe wieder aufzubauen und zu neuen wirtschaftlichen Erfolgen zu führen. Das sei aber für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ohne Bedeutung; denn es gehe nicht um die Feststellung, ob er inzwischen im Sinne des § 13 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) wieder in die Wirtschaft eingegliedert sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Die Rüge, das Finanzgericht habe die Firmen zum Teil nicht richtig bezeichnet und ihre Beziehungen zueinander unrichtig dargestellt, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung. Maßgebend ist allein, ob der Bf. vor der Flucht bereits eine so beachtliche Kommanditbeteiligung besaß, daß sie eine Erwerbsgrundlage war und - falls dies anzunehmen ist - ob die Beteiligung an den erhalten gebliebenen Betrieben in Y. noch eine ausreichende Erwerbsgrundlage war.

Daß ein Minderjähriger vor der Vertreibung eine Erwerbsgrundlage besitzen konnte, hat der Senat in den Urteilen VI 147/60 S vom 23. September 1960 (BStBl 1960 III S. 462, Slg. Bd. 71 S. 570) und I 57-59/60 U vom 16. Dezember 1960 (BStBl 1961 III S. 62, Slg. Bd. 72 S. 167) bereits bejaht. Als Erwerbsgrundlage kommt in diesen Fällen neben erheblichem Vermögen insbesondere auch eine Kommanditbeteiligung in Betracht. Da der Kommanditanteil an den Bf. notariell unter Einschaltung eines Pflegers übertragen wurde, und der Bf. auch im Handelsregister als Kommanditist eingetragen war, kann an seiner Gesellschafterstellung nicht gezweifelt werden. Die Gewinne der Jahre 1942 und 1943 zeigen, daß sein Geschäftsanteil nicht unbedeutend war. Er ist nach der Lebenserfahrung als ausreichend anzusehen für eine Erwerbsgrundlage. Daß der Vater die Nutznießung hatte, steht dieser Annahme nicht entgegen. Daß ab 1944 bis zur Enteignung keine Gewinne mehr anfielen, spricht ebenfalls nicht gegen eine Erwerbsgrundlage, da diese Entwicklung damals eine allgemeine Erscheinung war. Der Auffassung des Finanzgerichts, der Anteil von 1,5 v. H. sei bei der sozialen Stellung des Bf. und seiner für die Zukunft vorgesehenen Geschäftsführertätigkeit für eine Erwerbsgrundlage zu unbedeutend, kann nicht gefolgt werden. Es handelte sich bei der Schenkung des Kommanditanteils offenbar nur um die Einführung des Bf. in den Konzern. Für die Annahme einer Erwerbsgrundlage im Sinne des § 10 a EStG ist nur der absolute Wert der Beteiligung und ihrer Ertragsfähigkeit maßgebend. Da die Beteiligung von 1,5 v. H. ausgereicht hätte, um dem Bf. einen ausreichenden Ertrag für den Lebensunterhalt zu gewährleisten, ist davon auszugehen, daß der Bf. zur Zeit der Vertreibung eine Erwerbsgrundlage hatte.

Der Bf. hat seine Erwerbsgrundlage durch die Vertreibung aber nicht verloren, da er durch seine Beteiligung an den Betrieben in Y. eine unter den damaligen Verhältnissen ausreichende Erwerbsgrundlage behielt. Das ist anzunehmen, obwohl diese Betriebe im Rahmen des früheren Konzerns nur eine verhältnismäßig geringe Bedeutung hatten. Die Finanzverwaltungsbehörden haben allerdings einen Verlust der Erwerbsgrundlage im allgemeinen schon bejaht, wenn der wesentliche Teil der früheren Erwerbsgrundlage fortgefallen ist. Dieser Auffassung ist aber nicht ohne weiteres zu folgen. Wenn das eine Erwerbsgrundlage bildende Unternehmen oder eine Beteiligung daran nicht vollständig weggefallen ist, sondern lebensfähige Teile davon erhalten geblieben sind, die den Berechtigten auf weitere Sicht einen ausreichenden Ertrag zur Deckung des Lebensunterhalts gewährleisten, ist ein Verlust der Erwerbsgrundlage im Sinne von § 10 a EStG nicht anzunehmen. Viele Unternehmen im Bundesgebiet waren durch den Krieg und seine Folgen ebenfalls oft erheblich angeschlagen; ihre Situation war nicht anders als die des Konzerns, an dem der Bf. beteiligt war. Für diese Unternehmen kommt eine Inanspruchnahme der Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns aber auch nicht in Betracht. Die Ursache für diese allgemeine wirtschaftliche Lage war der totale Zusammenbruch des Deutschen Reiches und das Kriegsende. Die schlechte wirtschaftliche Lage der Betriebe in Y. nach dem Krieg beruht daher ebenso wie bei vielen anderen Unternehmen auf zeitbedingten Verhältnissen. Ob die Betriebe in Y. nach der Vertreibung des Bf. für ihn noch eine Erwerbsgrundlage waren, kann deshalb nur danach beurteilt werden, ob sie noch als lebensfähige Unternehmen zu bezeichnen waren. Daß sie erst im Jahre 1951 wieder Gewinne erbrachten, ist kein Grund dies zu verneinen, da es bei vielen anderen Betrieben auch nicht anders war. Wenn die günstige Entwicklung der Betriebe in Y. auch zu einem großen Teil das Verdienst des Vaters des Bf. gewesen sein mag, so zeigt sich dabei doch, daß die Betriebe nach der Enteignung des größten Teils des Konzernvermögens in der sowjetischen Besatzungszone für die Gesellschafter noch eine ausbaufähige Erwerbsgrundlage bildeten. Die hohen Gewinne der folgenden Jahre, die von etwa 400.000 DM im Jahr 1951 bis auf nahezu 2 Millionen DM im Jahr 1959 anstiegen, konnten nur erzielt werden, wenn noch eine ausreichende Grundlage für eine gewerbliche Betätigung vorhanden war. Unter diesen Umständen kann daher nicht angenommen werden, daß der Bf. seine Erwerbsgrundlage durch die Vertreibung verloren hat. Die Steuervergünstigung für nicht entnommenen Gewinn steht ihm deshalb nicht zu, wie das Finanzgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411021

BStBl III 1964, 73

BFHE 1964, 181

BFHE 78, 181

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