Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidung nach der Feststellungslast

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Entscheidung nach der Feststellungslast setzt voraus, daß eine nicht behebbare Ungewißheit besteht und das FG sich aufgrund der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse keine Überzeugung von dem Geschehensablauf bilden kann. Dies erfordert, daß das FG zunächst zur Klärung der streitigen Sachverhaltsfragen alle zu Gebote stehenden Beweismittel ausschöpft und dann nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu dem Ergebnis kommt, daß sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder feststellen läßt, daß der streitige Sachverhalt vorliegt, noch daß er nicht vorliegt.

2. Zur Begründung der Auffassung, eine streitige Tatsache lasse sich weder positiv noch negativ mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit feststellen, reicht es nicht aus, für und gegen das Vorliegen dieser Tatsachen sprechende Umstände bzw. Beweisergebnisse einfach gegenüberzustellen; dies entspricht nicht dem Gebot der Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung. Das Vorliegen von Widersprüchen belegt für sich allein noch keine Unaufklärbarkeit.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom ... November 1988 übernahm die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) von ihrem Vater einen Miteigentumsanteil an mehreren (vereinigten) Grundstücken verbunden mit dem Sondereigentum an einem Hotel- und Restaurantgebäude. Der bisher vom Vater ausgeübte Geschäftsbetrieb (Hotel) wurde von der Klägerin fortgesetzt. Für diesen Erwerb setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) durch Bescheid vom 16. Dezember 1992 Schenkungsteuer fest. Das FA wertete die Übertragung als gemischte Schenkung.

Bei einer im Jahre 1992 durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, daß der Vater der Klägerin am ... 1989 ... DM, am ... 1989 ... DM und am ... 1989 weitere ... DM zugewendet hatte. Das FA wertete diese Zuwendungen als Geldschenkungen und setzte hierfür Schenkungsteuer in Höhe von ... DM, ... DM und ... DM fest. Die Festsetzung erfolgte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Einsprüche wurden unter Beibehaltung des Vorbehalts der Nachprüfung als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen die Schenkungsteuerbescheide wurde Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) hat durch Beschluß das Verfahren gegen den Schenkungsteuerbescheid vom 16. Dezember 1992 hinsichtlich der Übernahme des Hotelbetriebs abgetrennt und durch Gerichtsbescheid vom 15. März 1994 die Schenkung steuer hierfür auf ... DM ermäßigt. Daraufhin hat das FA die anderen Schenkungsteuerbescheide vom 16. Dezember 1992 durch Bescheide vom 12. April 1994 geändert und die Schenkungsteuer nunmehr auf ... DM, ... DM und ... DM festgesetzt. Die Klägerin machte die geänderten Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens.

Mit der Klage wendet sich die Klägerin gegen die Annahme des FA, bei den Kapitalüberlassungen handele es sich um Geldschenkungen ihres Vaters. Sie habe das Hotelgebäude nach der Übernahme grundlegend saniert. Hierdurch seien Aufwendungen von ... DM entstanden. Diese habe sie nur unter erheblichem Fremdmitteleinsatz tätigen können. Die gesamte Kreditaufnahme habe ca. ... Mio. DM betragen. Da weitere Fremdmittel mangels vorhandener Sicherheiten nicht hätten beschafft werden können, seien ihr von ihrem Vater Geldbeträge von insgesamt ... DM darlehsnweise zur Verfügung gestellt worden. Der Inhalt der damals zwischen ihr und ihrem Vater getroffenen Darlehensvereinbarung werde in einer Niederschrift vom 25. Januar 1994 schriftlich bestätigt. Daraus gehe hervor, daß ihr Vater die von diesem bei einer ... -Bank als Darlehen aufgenommenen Mittel an sie ebenfalls darlehensweise weitergegeben habe, um es ihr zu ermöglichen, diese Beträge gegenüber der ... bank, die für die Umbaumaßnahmen am Hotelgebäude Existenzgründungsmittel zur Verfügung gestellt habe, als Eigenkapital auszuweisen. Die von ihrem Vater zu entrichtenden Zinsen würden im Innenverhältnis von ihr getragen.

Das FA wandte ein, daß erstmals im Klageverfahren von der Klägerin eine Darlehensvereinbarung behauptet würde. Gegen die Richtigkeit dieser Behauptung spreche, daß die Klägerin in ihren Bilanzen keine Darlehensschulden gegenüber dem Vater ausgewiesen habe. Auch die Übernahme der vom Vater zu entrichtenden Zinsen durch die Klägerin müsse nachgewiesen werden.

Das FG erhob durch Vernehmung des Vaters der Klägerin als Zeuge Beweis über deren Behauptung, sie habe von diesem ein Darlehen in Höhe von ... DM in drei Teilbeträgen erhalten.

Das FG hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Schenkungsteuerbescheid aufgehoben. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, daß es sich bei den Kapitalüberlassungen um (freigebige) Geldzuwendungen gehandelt habe. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen bestätigten ihre Behauptung, daß sie für Maßnahmen an dem übernommenen Hotelgebäude rd. ... DM habe aufwenden müssen und daß sie diese Aufwendungen in Höhe von rd. ... DM fremdfinanziert habe, wobei sie auch ein ERP-Darlehen von ... DM eingesetzt habe. Überdies habe die Klägerin durch Vorlage eines Darlehensvertrags vom 24. November 1988 belegen können, daß ihr Vater sich die Geldbeträge, die er ihr anschließend zur Verfügung gestellt habe, um sie gegenüber den Darlehensgebern als Eigenmittel ausweisen zu können, seinerseits durch eine Kreditaufnahme habe beschaffen müssen. Die Darlehensaufnahme durch den Vater spreche aber gegen eine endgültige Kapitalüberlassung an die Klägerin. Der Vater habe auch als Zeuge bekundet, daß er den Gesamtbetrag von ... DM seiner Tochter nur darlehensweise habe überlassen wollen. Freilich habe die Aussage des Zeugen die Zweifel an einer vertraglich begründeten Rückerstattungspflicht der Klägerin nicht völlig ausräumen können. Diese Zweifel ergäben sich einerseits aus dem Umstand, daß die Klägerin in ihren Bilanzen keine Darlehensverbindlichkeiten gegenüber ihrem Vater ausgewiesen habe und andererseits aus der Bekundung des Zeugen, daß trotz einer behaupteten Zinsvereinbarung die ihm durch die Kreditaufnahme entstandene Zinsbelastung bisher nicht von der Klägerin ausgeglichen worden sei. Zwar habe die Klägerin den fehlenden Bilanzausweis mit der Deklarierung dieser Geldbeträge als Eigenmittel und die fehlenden Tilgungs- und Zinsleistungen mit ihren schlechten Betriebsergebnissen zu erklären versucht. Die Rücksichtnahme des Vaters auf diese Betriebsergebnisse lasse es aber als möglich erscheinen, daß er entgegen seiner Bekundung von vornherein damit gerechnet habe, die Klägerin werde die Geldbeträge u. U. nicht zurückzahlen können. Daraus ergäben sich indes keine für die Klägerin ungünstige Folgerungen. Die Annahme einer Zuwendung durch Überlassung eines Geldbetrags setze die Feststellung voraus, daß der Überlassende das Kapital endgültig aus seinem Vermögen zugunsten des Empfängers mit der Folge einer bereichernden Vermögensverschiebung hingebe. Für diese Feststellung genüge es nicht, daß an einer behaupteten Darlehenshingabe Zweifel bestünden. Ungewißheiten hinsichtlich des Inhalts der mit einer Kapitalüberlassung verbundenen Abreden gingen im Zweifelsfall zu Lasten der Steuerbehörde. Sie treffe die Feststellungslast dafür, daß der Tatbestand erfüllt sei, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpfe. Dies gelte auch für die dem objektiven Tatbestand der freigebigen Zuwendung zuzurechnende Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt eine endgültige Vermögenshingabe zugunsten eines anderen erfolgt sei. Hinzu komme im Streitfall, daß es für die Annahme einer freigebigen Geldzuwendung nicht genüge, daß ein Darlehensgeber notfalls bereit sei, aus persönlichen Gründen -- z. B. mit Rücksicht auf das Verwandtschaftsverhältnis zum Darlehensnehmer -- auf einen vereinbarten Rückerstattungs- und Zinsanspruch zu verzichten. Zu einer freigebigen Zuwendung könne die Kapitalüberlassung in einem solchen Fall frühestens dann werden, wenn der Darlehensgeber sich endgültig zum Verzicht auf den Rückerstattungs- und Zinsanspruch entschließe. Die Kosten des Verfahrens hat das Gericht gegeneinander aufgehoben, da die Klägerin erstmals im Klageverfahren das Vorliegen einer Darlehensvereinbarung vorgetragen und die dem Nachweis dieses Vorbringens dienenden Unterlagen zum überwiegenden Teil erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt habe.

Die Revision gegen die Entscheidung des FG hat der erkennende Senat durch Beschluß vom 9. November 1994 II B 85/94 zugelassen.

Mit der Revision macht das FA sinngemäß Verletzung materiellen Rechts geltend. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zu Unrecht gehe das FG davon aus, daß die Feststellungslast für das Vorliegen der von der Klägerin behaupteten Darlehensvereinbarung beim FA läge. Gegen ein Darlehen spräche im übrigen, daß die Klägerin die entsprechenden Verbindlichkeiten in ihren Bilanzen nicht ausgewiesen habe und Zinsen nicht gezahlt worden seien. Verstärkt werde dieser Eindruck noch durch die -- vom FG nicht berücksichtigte -- Feststellung des Betriebsprüfers, daß auf dem Überweisungsträger, mit dem ... DM auf das Konto der Klägerin überwiesen worden seien, vermerkt gewesen sei: "Überweisung gem. Schenkungsvertrag vom ... 1989." Der vom Betriebsprüfer mehrfach angeforderte Schenkungsvertrag sei nicht vorgelegt worden, da er angeblich nicht mehr auffindbar gewesen sei. Zumindest die Kostenentscheidung des FG könne keinen Bestand haben. Die Klägerin sei ihrer erhöhten Pflicht, von vornherein an der Sachaufklärung mitzuwirken, einfach nicht nachgekommen. Ihr hätten die Kosten deswegen ganz auferlegt werden müssen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.

1. Das FG stützt seine Entscheidung auf die Feststellungslast. Dies ist rechtsfehlerhaft. Eine Entscheidung nach der Feststellungslast kommt im finanzgerichtlichen Verfahren nur als ultima ratio in Betracht. Die Anwendung der Regeln der Feststellungslast (objektive Beweislast) setzt voraus, daß eine nicht behebbare Ungewißheit besteht und das FG sich aufgrund der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse keine Überzeugung von dem Geschehensablauf bilden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. Januar 1985 VIII R 29/82, BFHE 143, 71, 73, BStBl II 1985, 308, m. w. N.). Dies erfordert zum einen, daß das FG zunächst zur Klärung der streitigen Sachverhaltsfrage alle zu Gebote stehenden Beweismittel ausschöpft (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 96 Rdnr. 22, m. w. N.) und dann nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) zu dem Ergebnis kommt, daß sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder feststellen läßt, daß der streitige Sachverhalt vorliegt, noch daß er nicht vorliegt. Dies hat das FG nicht beachtet. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die von ihrem Vater empfangenen Geldbeträge unter einer Rückzahlungsverpflichtung (= darlehensweise) empfangen hat oder nicht. Hierzu kann es entscheidungserheblich sein, welche Bedeutung die Beteiligten der Zuwendung zum Zeitpunkt ihrer Ausführung selbst beigemessen haben. In der dem Gericht vorliegenden FA-Akte befindet sich ein Hinweis des Betriebsprüfers, daß einer der Zahlungsträger, mit denen einer der Geldbeträge an die Klägerin überwiesen wurde, sich auf einen Schenkungsvertrag berufe, dieser Vertrag von der Klägerin aber trotz mehrfacher Anforderung nicht beigebracht worden wäre. Vor einer Entscheidung, daß sich der Sachverhalt insoweit nicht aufklären lasse, hätte das FG von Amts wegen diesem möglicherweise mitentscheidungserheblichen Hinweis nach gehen müssen (ggf. durch Vernehmung des Betriebsprüfers).

Darüber hinaus läßt sich der Entscheidungsbegründung nicht eindeutig entnehmen, daß das FG überhaupt zu dem Ergebnis gekommen ist, daß sich nach seiner Überzeugung der Sachverhalt insoweit endgültig nicht aufklären läßt. Es stellt lediglich für und gegen die Behauptung der Klägerin, es habe ein Darlehen vorgelegen, sprechende Gesichtspunkte gegenüber, ohne daraus die eindeutige Schlußfolgerung zu ziehen, daß insoweit eine Unaufklärbarkeit vorliege. Vielmehr beruft es sich, ohne daß zuvor eine eindeutige Feststellung der Unaufklärbarkeit getroffen worden ist, unzulässigerweise auf die Feststellungslast.

2. Selbst wenn man den Entscheidungsgründen sinngemäß die Aussage unterstellt, daß zur Überzeugung des Gerichts sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das Vorliegen eines Darlehens nicht endgültig feststellen ließe, würde diese Beweiswürdigung des FG gegen das Gebot der Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung verstoßen (vgl. Senatsentscheidung vom 5. März 1980 II R 148/76, BFHE 130, 179, 182, BStBl II 1980, 402). Zur Begründung der Auffassung, eine streitige Tatsache lasse sich weder positiv noch negativ mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit feststellen, reicht es nicht aus, für und gegen das Vorliegen dieser Tatsache sprechende Umstände bzw. Beweisergebnisse einfach gegenüberzustellen. Das Vorliegen von Widersprüchen, beispielsweise zwischen Zeugenaussagen und objektiven Erkenntnissen, belegt für sich allein noch keine Unaufklärbarkeit. Es ist vielmehr zunächst zu versuchen, den wahren Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus den vorliegenden Beweisergebnissen durch deren Würdigung und Abwägung zu ermitteln. Die dazu erforderlichen Überlegungen werden aus der Entscheidungsbegründung des FG jedenfalls nicht nachvollziehbar deutlich. Die für und gegen das Vorliegen einer Darlehensverbindlichkeit sprechenden Umstände werden vielmehr nur ohne Wertung gegenübergestellt, ohne daß es nachvollziehbar wird, wieso eine Entscheidung der streitigen Tatfrage deswegen unmöglich sein soll.

3. Die Entscheidung des FG ist aufzuheben. Die Sache ist aus den dargelegten Gründen nicht spruchreif.

Im zweiten Rechtsgang wird das FG ggf. bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigten haben, daß es zu einer Verringerung des Beweismaßes führen kann, wenn ein "Schenkungsvertrag vom ... 1989" zur Überzeugung des Gerichts vorgelegen habe, aber aus von der Klägerin zu vertretenden Umständen nicht mehr beibringbar sein sollte, und das Vorliegen eines derartigen Vertrags nach Auffassung des FG entscheidungserheblich sein könnte. Für den Fall, daß es nach Auffassung des FG gleichwohl für die Entscheidung auf die Feststellungslast ankommen sollte, verweist der Senat auf sein Urteil vom 5. April 1989 II R 51/86 (BFH/NV 1990, 234).

 

Fundstellen

Haufe-Index 422153

BFH/NV 1997, 681

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