Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Nachweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsaktes

 

Leitsatz (NV)

Der von der Finanzbehörde gem. § 122 Abs. 2 AO 1977 im Zweifel zu erbringende Nachweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsaktes kann nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises geführt werden (Anschluß an BFH-Urteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 554).

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) reichte beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich ein. In diesem war - unter Beifügung einer entsprechenden, vom Kläger unterzeichneten Vollmacht - der Steuerbevollmächtigte X als Empfangsbevollmächtigter angegeben.

In dem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich erklärten die Kläger und seine Ehefrau jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nach den Eintragungen auf der miteingereichten Lohnsteuerkarte der Ehefrau war diese nicht während des ganzen Jahres beschäftigt. Mit Schreiben vom 14. Juli und 3. August 1981 wandte sich das FA an den Kläger unter dessen damaliger Adresse und erbat von ihm eine Bestätigung des Arbeitsamtes, daß seine Ehefrau in der übrigen Zeit nicht berufstätig gewesen sei.

Da keine Antwort einging, wandte sich das FA mit Schreiben vom 25. November 1981 und vom 11. Januar 1982 wegen der Bescheinigung an den Steuerbevollmächtigten X unter dessen im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich angegebener Anschrift.

Da dies ebenfalls ohne Erfolg blieb, fertigte das FA einen manuellen Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich. Er führte - unter Berücksichtigung von geschätzten Einkünften der Ehefrau - zu einem Erstattungsbetrag von . . . DM. Der Bescheid enthält den Vermerk ,,Bescheid . . . zur Post", versehen mit dem Datumsstempel vom 15. September 1982 und dem Namenszeichen des Sachbearbeiters des FA.

Ausweislich der Erstattungsverfügung vom 4. Oktober 1982 wurde der Betrag von . . . DM am 5. Oktober 1982 per Postanweisung an die vom Kläger in seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich benannte Abtretungsempfängerin ausbezahlt.

Mitte des Jahres 1983 wandten sich die jetzigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers an das FA mit der Bitte um Zusendung einer Fotokopie des Steuerbescheides. Der Sachbearbeiter des FA entsprach dem am 13. Juni 1983.

Mit Schreiben vom 22. Juni 1983 teilten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers dem FA mit, der Kläger kenne keinen Steuerbevollmächtigten X; er habe diesen auch nie beauftragt und bevollmächtigt. Gleichzeitig legten sie gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich Einspruch ein. Nachdem das FA eine Fotokopie der auf den Steuerbevollmächtigten X lautenden Vollmacht des Klägers übersandt hatte, teilten dessen Prozeßbevollmächtigte mit, der Kläger habe ,,die Vollmacht nicht oder zumindest nicht ordnungsgemäß unterschrieben". In einem weiteren Schreiben machten sie schließlich geltend, sie hätten den Steuerbevollmächtigten X noch nicht ermitteln können.

Das FA verwarf den Einspruch des Klägers als unzulässig. Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt, den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid vom 15. September 1982, die Einspruchsentscheidung und das Urteil der Vorinstanz ersatzlos aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die bisherigen Feststellungen des FG lassen keine Entscheidung zu, ob der den Kläger betreffende Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid dem Steuerbevollmächtigten X zugegangen ist und der Einspruch des Klägers damit verspätet war, weil er nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts eingelegt worden ist (§ 355 Abs. 1 AO 1977).

Das FG hat den - vom Kläger bestrittenen - Zugang des Bescheids nach den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis angenommen. Damit befindet es sich aber im Gegensatz zur neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534). Nach dieser kann der Nachweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsakts gemäß § 122 Abs. 2 AO 1977 von der Finanzbehörde nicht (mehr) nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima-facie-Beweis) geführt werden. Es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises. Der erkennende Senat hat dieser Auffassung zugestimmt. Er nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden, zur weiteren Begründung auf die Ausführungen im Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534 Bezug.

2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück. Dieses wird bei der erneuten Entscheidung den vom Kläger benannten Zeugen vernehmen und dann die für und gegen den Zugang des Steuerbescheides sprechenden Umstände, ggf. im Wege einer freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO, gegeneinander abwägen und würdigen müssen. Der Senat als Revisionsinstanz kann die fehlende Beweiswürdigung durch das FG nicht ersetzen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 148

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