Entscheidungsstichwort (Thema)

Besorgnis der Befangenheit eines Richters

 

Leitsatz (NV)

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn der Richter auf eine Anfrage des Klägers nach den Namen der bei der Entscheidung mitwirkenden Richter diesen bittet, künftig von derartigen Anfragen abzusehen und ihn auf die Möglichkeit der Anordnung der Bestellung eines Bevollmächtigten nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO hinweist.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, § 62 Abs. 1 S. 2; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3

 

Tatbestand

Auf die Anfrage des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Kläger) nach den Namen der berufsmäßigen Richter, die in den von ihm beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klageverfahren das Urteil fällen würden, teilte ihm der Vorsitzende des FG-Senats Vorsitzender Richter am Finanzgericht (VRiFG) K mit, die mitwirkenden Berufsrichter ergäben sich zum Zeitpunkt der Entscheidung, der zur Zeit noch nicht feststehe, aus den Geschäftsverteilungsplänen des FG und des zuständigen Senats, die in der Geschäftsstelle des Gerichts eingesehen werden könnten. Der Vorsitzende bat in dem Schreiben vom 29. Juli 1996 den Kläger, künftig von derartigen Anfragen, die nur überflüssige Arbeit verursachen würden, Abstand zu nehmen und wies in diesem Zusammenhang den Kläger darauf hin, daß das Gericht nach § 62 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) anordnen könne, daß ein Bevollmächtigter bestellt werde, wenn ein Kläger nicht einen sachgerechten zügigen Fortgang des Verfahrens gewährleisten könne.

Der Kläger lehnte daraufhin den VRiFG K wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs machte er geltend, für die Androhung des abgelehnten Richters, daß er (der Kläger) auf Anordnung des Gerichts vom Verfahren ausgeschlossen werden könne und daß dann ein Bevollmächtigter bestellt werden müsse, sei bisher kein Grund vorhanden gewesen. Das zeige, daß der Richter ihm nicht neutral gegenüberstehe. Darüber hinaus habe der VRiFG K bereits an mehreren anderen von ihm erhobenen Klageverfahren mitgewirkt, in denen die ergangenen Urteile mit ganz erheblichen Fehlern behaftet seien, was zu Strafanzeigen und Strafanträgen seinerseits gegen die Mitglieder des FG-Senats geführt und eine feindliche Einstellung des abgelehnten Richters ihm gegenüber bewirkt habe. Ein korrektes, neutrales Verhalten des Richters gegenüber seiner Klage sei daher nicht mehr zu erwarten.

In seiner dienstlichen Äußerung zum Ablehnungsgesuch des Klägers führte der VRiFG K aus, es sei anerkannt, daß die Anordnung einer Bestellung eines Bevollmächtigten nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO auch geboten sein könne, um einen Prozeß ohne Verzögerungen durch mutwillige Anträge durchführen zu können. Allein in Anbetracht des unbegründeten Ablehnungsgesuchs des Klägers in einem anderen Verfahren gegen die damalige Berichterstatterin habe es mit Rücksicht auf die Anfrage des Klägers nach den mitwirkenden Berufsrichtern im vorliegenden Verfahren in seinem pflichtgemäßen Ermessen gestanden, den Kläger darauf hinzuweisen, daß eine unsachgemäße Prozeßführung zu den genannten Konsequenzen führen könne.

Das FG wies das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den VRiFG K als unbegründet zurück. Es führte aus, der abgelehnte Richter habe lediglich in allgemeiner Form auf die Möglichkeit einer Anordnung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO hingewiesen; eine konkrete Androhung -- wie vom Kläger unterstellt -- sei nicht erfolgt. Der allgemeine Hinweis auf rechtliche Konsequenzen eines Verhaltens des Klägers vermöge aber noch keine Befangenheit zu begründen. Materiell-rechtlich falsche Entscheidungen in anderen Verfahren wären nur dann geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn Anhaltspunkte für willkürliche Entscheidungen vorliegen würden. Dies sei nach der Aktenlage nicht der Fall.

Mit der Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Befangenheitsgesuchs hält der Kläger die bereits in der Vorinstanz vorgetragenen Ablehnungsgründe aufrecht. Im übrigen trägt er im einzelnen vor, an welchen ihn betreffenden Verfahren der VRiFG K in der Vergangenheit mitgewirkt hat und mit welchen -- aus seiner Sicht -- zahlreichen und erheblichen materiell-rechtlichen und formalrechtlichen Fehlern die ergangenen Urteile behaftet seien, so daß die Besorgnis der Befangenheit auch für das vorliegende Klageverfahren gerechtfertigt sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rz. 37, m. w. N.). Im Streitfall ergibt sich ein Grund, der den Kläger von seinem Standpunkt aus zu Recht befürchten lassen kann, der abgelehnte Richter werde nicht oder nicht mehr unparteilich entscheiden, jedenfalls aus der Reaktion des VRiFG K auf die Anfrage des Klägers nach den bei der Entscheidung über seine Klage mitwirkenden Berufsrichtern sowie aus der dienstlichen Stellungnahme des Richters zu dem Ablehnungsgesuch, so daß es auf die geltend gemachten übrigen Ablehnungsgründe nicht ankommt.

2. Allein die Bitte des Klägers, ihm die Namen der zur Entscheidung über seine Klage berufenen Berufsrichter zu benennen, läßt bei objektiver Betrachtung die nachfolgende Aufforderung des abgelehnten Senatsvorsitzenden, künftig von derartigen Anfragen, die "nur überflüssige Arbeit verursachen", Abstand zu nehmen, nicht als angebracht oder gar als geboten erscheinen. Der Prozeßbeteiligte ist berechtigt, schon vor der Entscheidung die Namen der mitwirkenden Richter zu erfahren, auch um sich rechtzeitig über die Stellung etwaiger Ablehnungsanträge schlüssig zu werden. Die Beantwortung derartiger Anfragen, die sich -- wie auch im Streitfall -- aus dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts und dem Mitwirkungsplan des Senats ergibt, ist für einen Vorsitzenden des FG-Senats nicht derartig arbeitsaufwendig, daß dies ein sachlicher Grund sein könnte, den Prozeßbeteiligten von solchen Anfragen abzuhalten, zumal der Vorsitzende diese Arbeit auch auf die Geschäftsstelle seines Senats delegieren kann. Insbesondere erscheint es bei objektiver Betrachtung nicht nachvollziehbar, daß der Senatsvorsitzende im Zusammenhang mit der Beantwortung der Anfrage den Beteiligten darauf hinweist, daß das Gericht nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO die Bestellung eines Bevollmächtigten anordnen kann, wenn ein Kläger nicht einen sachgerechten zügigen Fortgang des Verfahrens gewährleisten kann. Die Anfrage nach den bei der Entscheidung mitwirkenden Richtern rechtfertigt im Regelfall nicht die mit zusätzlichen Kosten für den Kläger verbundene Bestellung eines Bevollmächtigten, da aus ihr allein nicht gefolgert werden kann, der Beteiligte sei nicht in der Lage oder nicht gewillt, seine Rechte selbst sachgerecht wahrzunehmen (vgl. die Aufzählung der für eine Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO in Betracht kommenden Gründe in Gräber/Koch, a.a.O., § 62 Rz. 13). Selbst wenn die Mitteilung der zur Entscheidung berufenen Richter zu einem Ablehnungsgesuch des Klägers und einer dadurch bedingten Verzögerung des Verfahrens führen sollte, rechtfertigt dies nicht, den Beteiligten von der persönlichen Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte abzuhalten und ihm, wenn für das Gericht lästige Anträge zu befürchten sind, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Der Hinweis des abgelehnten Richters auf die Möglichkeit einer Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO im Streitfall kann deshalb -- entgegen den Ausführungen der Vorinstanz -- nicht lediglich als allgemeiner Hinweis auf die prozessualen Möglichkeiten des Gerichts angesehen werden, denn zu einer solchen rechtlichen Belehrung bestand bei objektiver Betrachtung kein Anlaß. Der Kläger konnte vielmehr aus seiner Sicht des Prozeßverlaufs zu der Schlußfolgerung gelangen, daß Druck auf ihn ausgeübt werden sollte, von künftigen Anfragen nach den Namen der mitwirkenden Richter und etwaigen Befangenheitsanträgen abzusehen. Da sachliche Gründe für die Bestellung eines Bevollmächtigten nicht ersichtlich sind, konnte der Kläger befürchten, daß der Senatsvorsitzende die Anordnung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO als Druckmittel gegen ihn gebrauchen würde, damit er auf die Wahrnehmung ihm zustehender prozessualer Rechte verzichte. Dieses sachlich nicht gerechtfertigte Verhalten des Vorsitzenden war vom Standpunkt des Klägers aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.

Durch die dienstliche Stellungnahme des VRiFG K auf das Ablehnungsgesuch (§ 44 Abs. 3 ZPO) sind die Zweifel des Klägers, daß der abgelehnte Richter über seine Klage unvoreingenommen entscheiden werde, nicht ausgeräumt, sondern -- wie sich aus dem Schreiben des Klägers an das FG vom 4. Oktober 1996 ergibt -- noch verstärkt worden. Der Vorsitzende des FG-Senats hat auch dort für seinen Hinweis auf die Anordnung der Bestellung eines Bevollmächtigten keine nachvollziehbaren Gründe benannt. Ein Ablehnungsgesuch des Klägers in einem anderen Verfahren gegen die damalige Berichterstatterin rechtfertigt unabhängig von dessen Erfolg -- die Entscheidung über die Richterablehnung im Beschwerdeverfahren steht nach dem Vorbringen des Klägers noch aus -- ebensowenig die Anordnung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO wie die Anfrage nach den Namen der mitwirkenden Richter und ein etwaiges Ablehnungsgesuch im vorliegenden Klageverfahren. Soweit der abgelehnte Richter in diesem Zusammenhang von "mutwilligen Anträgen" und einer "unsachgemäßen Prozeßführung" spricht, die zu den angekündigten "Konsequenzen" führen könne, sind die im Rahmen der dienstlichen Äußerung gewählten Formulierungen, da sie nach dem bisherigen Prozeßverhalten nicht gerechtfertigt sind, geeignet, die Besorgnis des Klägers zu erhärten, der VRiFG K werde sein prozessuales Verhalten und damit auch die im Hauptverfahren vorgetragenen Argumente nicht mehr unvoreingenommen würdigen.

Der Kläger konnte demnach den Hinweis auf die Anordnung der Bestellung eines Bevollmächtigten als Konsequenz seines Verhaltens in Verbindung mit den vorstehend genannten Äußerungen des Richters von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung als Ausdruck einer Verärgerung des Richters über seine Anfrage nach den Namen der bei der Entscheidung mitwirkenden Richter und über seinen Befangenheitsantrag und damit als Beleg für ein gespanntes Verhältnis zu ihm ansehen, das jedenfalls in Verbindung mit dem bereits in einem früheren Verfahren geltend gemachten Ablehnungsgesuch die Besorgnis rechtfertigt, K werde ihm gegenüber nicht (mehr) unvoreingenommen entscheiden. Da das Richterablehnungsgesuch bereits aufgrund des Schreibens vom 29. Juli 1996 sowie der dienstlichen Äußerung des VRiFG K vom 26. September 1996 im Beschwerdeverfahren Erfolg hat, braucht der Senat auf die sonstigen vom Kläger geltend gemachten Ablehnungsgründe (zahlreiche erheblich fehlerhafte Entscheidungen in vorangegangenen Verfahren, feindliche Einstellung des Richters dem Kläger gegenüber) nicht einzugehen.

3. Hinsichtlich der Kosten des Verfahrens hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, wonach die Kosten einer erfolgreichen Beschwerde im Richterablehnungsverfahren zu den Kosten der Hauptsache gehören (vgl. Beschluß vom 8. Dezember 1994 VII B 172/93, BFH/NV 1995, 634, 636, m. w. N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 422329

BFH/NV 1997, 872

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