Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnungsgesuch und Antrag auf Protokollberichtigung

 

Leitsatz (NV)

1. Für das Ablehnungsgesuch gegen den zwischenzeitlich wegen einer Änderung der Geschäftsverteilung aus dem zuständigen Senat ausgeschiedenen Richter besteht weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn dessen Mitwirken an einer Protokollberichtigung (§ 94 FGO) verhindert werden soll.

2. Rechtsfehler begründen eine Besorgnis der Befangenheit erst, wenn die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen die ablehnende Partei oder auf Willkür beruht.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1, § 76 Abs. 2, §§ 92, 93 Abs. 1, §§ 94, 155; ZPO § 42 Abs. 2, § 160 Abs. 4, § 163 Abs. 1, § 164 Abs. 1, 3 S. 2, § 227 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) -- zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute -- haben gegen die Einkommensteuerfestsetzungen 1986 bis 1988 Klage erhoben. Streitig ist bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, ob Aufwendungen für Baumaßnahmen an dem Haus der Kläger als Herstellungskosten zu beurteilen sind.

In der mündlichen Verhandlung vor dem ... Senat des Finanzgerichts (FG) lehnte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger den Vorsitzenden Richter am FG A wegen Befangenheit ab. Zur Begründung führte der Klägervertreter aus, er sei durch den Vorsitzenden wegen eines angeblich unzureichenden Sachvortrags zu Unrecht getadelt worden. Ein Schreiben der Kläger habe sich nicht in den Gerichtsakten, sondern in doppelter Ausfertigung in den Akten des Beklagten, Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) befunden. Eine Protokollierung der daraufhin namens der Kläger gestellten Anträge, einen Sachverständigen zuzuziehen, das Verfahren mangels genügender Vorbereitung des Gerichts auszusetzen und zu protokollieren, aus welchem Grunde das FA das Schreiben in zweifacher Ausfertigung erhalten habe, sei vom Vorsitzenden zunächst abgelehnt worden. Erst aufgrund wiederholter Forderungen habe dieser den Antrag auf Hinzuziehung eines Gutachters und auf Aussetzung des Verfahrens in die Niederschrift aufgenommen. Nachdem der Vorsitzende weitere Protokollierungen mit den Worten: "Ich nehme jetzt überhaupt nichts mehr zu Protokoll, stellen Sie Ihre Anträge" abgelehnt habe, sei der Antrag auf Befangenheit gestellt worden. Die Voreingenommenheit des Vorsitzenden ergebe sich nicht nur aus der Weigerung, sämtliche gestellten Anträge auf die offensichtliche Fehlleitung eines Schriftstücks im Protokoll festzuhalten, sondern auch aus dessen weiterer Äußerung: "Im Regelfall würden derartige Klagen immer erst später kommen, da man sehr wohl wissen müßte, daß bei dem Kauf eines solchen Hauses mit verdeckten Mängeln zu rechnen sei."

Der Vorsitzende Richter am FG A erklärte in seiner dienstlichen Äußerung, er halte sich in der Streitsache nicht für befangen. Seine Bemerkung, er lehne es ab, "weitere Dinge zu protokollieren", müsse vor dem Hintergrund der konkreten Verhandlungssituation gesehen werden. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei antragsgemäß protokolliert worden. Obwohl eine eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung des Vertagungsantrags nicht erkennbar gewesen sei, habe er diesen nach längerer Diskussion ebenfalls in die Niederschrift aufgenommen. Nachdem des weiteren protokolliert worden sei, daß sich eine von den Klägern eingereichte Anlage zu einem Schriftsatz nicht in den Gerichtsakten befinde und von der Vertreterin des FA überreicht worden sei, habe der Kläger die zusätzliche Protokollierung des ohne nähere Ursachenforschung nicht feststellbaren Grundes für die Unvollständigkeit der Gerichtsakte verlangt. Die sich anschließende Debatte über die fehlende Notwendigkeit der Protokollierung bestimmter Aussagen und Vorgänge habe er schließlich beendet und den Klägervertreter ersucht, seine Anträge zu stellen.

Das FG wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück.

Mit der Beschwerde wenden die Kläger sich gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der abgelehnte Vorsitzende Richter am FG A gehört aufgrund einer Änderung der Geschäftsverteilung dem ... Senat des FG nicht mehr an.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis für das Ablehnungsgesuch ist nicht entfallen.

a) Mit der Richterablehnung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. August 1989 VII B 70/89, BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899, und vom 14. Mai 1996 VII B 257/95, BFH/NV 1996, 904, m. w. N.). Ist der abgelehnte Richter wegen einer Änderung der Geschäftsverteilung aus dem Verfahren ausgeschieden und deshalb eine Befassung des abgelehnten Richters mit der Sache nicht mehr zu erwarten und kommt auch eine Abänderung von Entscheidungen, an denen der abgelehnte Richter mitgewirkt hat, nicht mehr in Betracht, so fehlt oder entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für ein Ablehnungsgesuch (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Juli 1995 X B 330/94, BFH/NV 1996, 153; Feiber in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 44 Rdnr. 6). Da die Vorschriften in § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. §§ 42ff. ZPO für alle Verfahrensabschnitte gelten, in denen das Richteramt ausgeübt wird (BFH in BFHE 157, 494, BStBl II 1989, 899, und in BFH/NV 1996, 904), bleibt ein Ablehnungsantrag jedoch zulässig, wenn mit ihm ein Mitwirken des abgelehnten Richters an einer Protokollberichtigung i. S. des § 94 FGO i. V. m. § 164 ZPO verhindert werden soll (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Oktober 1993 XI B 95/92, BFH/NV 1994, 565; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 164 Anm. B I a 3).

b) Im Streitfall rügen die Kläger Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der Niederschrift. Ob bereits hierin (auch) ein Antrag auf Protokollberichtigung und -ergänzung gesehen werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Nach § 94 FGO i. V. m. § 164 ZPO ist eine Unrichtigkeit des Protokolls von Amts wegen oder auf Antrag jederzeit zu berichtigen. Der abgelehnte Vorsitzende Richter am FG A hat die Sitzungsniederschrift gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterzeichnet und hätte deshalb -- sofern das Ablehnungsgesuch nicht erfolgreich wäre -- an einer Entscheidung über eine Protokollberichtigung mit zuwirken. Der Unterzeichner der ursprüng lichen Niederschrift hat selbst dann über deren Berichtigung mitzuentscheiden, wenn er zwischenzeitlich einem anderen Senat desselben Gerichts angehört (vgl. § 164 Abs. 3 Satz 2 ZPO; Roth in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 164 Rdnr. 13; Peters in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 164 Rdnr. 10, § 163 Rdnr. 5). Kommt somit vorliegend noch eine Nebenentscheidung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters in Betracht, kann den Klägern ein Rechtsschutzinteresse für ihr Ablehnungsgesuch nicht abgesprochen werden.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln; unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (BFH- Beschlüsse vom 23. Juli 1996 VIII B 22/96, BFH/NV 1997, 126; vom 27. Juni 1996 X B 84/96, BFH/NV 1997, 122). Ein Befangenheitsgrund liegt nicht bereits vor, wenn ein Richter bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage seine Zweifel an den von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zum Ausdruck bringt (BFH-Beschluß vom 1. Juli 1992 X B 38/92, BFH/NV 1993, 110). Das Ablehnungsverfahren dient auch nicht dazu, die Beteiligten gegen unrichtige -- materiell- rechtliche oder verfahrensrechtliche -- Rechtsauffassungen zu schützen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1997, 122; vom 9. Dezember 1992 VI B 46/92, BFH/NV 1993, 318). Rechtsfehler begründen eine Besorgnis der Befangenheit erst, wenn die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen die ablehnende Partei oder auf Willkür beruht (BFH- Beschlüsse in BFH/NV 1994, 565; vom 1. Oktober 1993 III B 249--254/92, BFH/NV 1994, 487). Dies hat die Rechtsprechung z. B. bei gravierenden Verfahrensfehlern oder bei einer Häufung von Rechtsverstößen angenommen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1997, 126; vom 24. November 1994 X B 146--149/94, BFH/NV 1995, 692).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG das Ablehnungsgesuch zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.

Die Fehlleitung einer Anlage zum Schriftsatz der Kläger war erkennbar nicht vom Vorsitzenden veranlaßt. Dementsprechend lassen der hierdurch bedingte unvollständige Sachvortrag der Berichterstatterin und der Hinweis des Vorsitzenden auf einen unzureichenden Vortrag der Kläger nicht auf eine fehlende Objektivität des Vorsitzenden schließen. Das gleiche gilt hinsichtlich der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung; es war sachdienlich, die Sach- und Rechtslage weiter zu erörtern, um erst anschließend über die Notwendigkeit einer Vertagung (§ 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden. Im übrigen hatte hierüber das Gericht und nicht (allein) der Vorsitzende zu befinden (§ 227 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO).

Der Umstand, daß der Vorsitzende sich -- nach dem Vorbringen der Kläger -- (zunächst) geweigert hat, den Beweis- und Vertagungsantrag zu protokollieren, begründet -- selbst wenn sich der Vorgang so zugetragen haben sollte, wie ihn der Prozeßbevollmächtigte der Kläger darstellt -- ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit. Sieht der Vorsitzende in einer bestimmten Antragstellung -- wie die Kläger vortragen -- keinen Sinn, gehört es zu seinen prozessualen Pflichten, dies mit den Beteiligten zu erörtern (§ 76 Abs. 2, § 93 Abs. 1 FGO). Im Streitfall sind die Anträge vom Vorsitzenden letztlich in die Niederschrift aufgenommen worden. Ob Bedenken gegen dessen Unparteilichkeit deshalb bestehen könnten, wenn er die (möglicherweise) vorhergehende Kontroverse in einer unsachlichen Form geführt hätte, kann offenbleiben; denn ein solches Verhalten läßt sich den Ausführungen der Kläger nicht entnehmen.

Zu Unrecht rügen die Kläger, der Vorsitzende habe den Grund für die Fehlleitung ihrer Stellungnahme protokollieren müssen. Gemäß § 94 FGO i. V. m. § 160 Abs. 4 Satz 2 ZPO kann das Gericht von der Aufnahme eines bestimmten Vorgangs ins Protokoll absehen, wenn es auf dessen Feststellung nicht ankommt (BFH-Beschluß vom 28. September 1995 XI B 54/95, BFH/NV 1996, 235). Aus der Niederschrift ergibt sich bereits die Fehlleitung als solche; deren Ursache war für den Rechtsstreit nicht von Bedeutung. Die im Zusammenhang mit der Erörterung dieses Punktes stehende Äußerung des Vorsitzenden, er lehne es ab, "weitere Dinge zu protokollieren" bzw. "Ich nehme jetzt überhaupt nichts mehr zu Protokoll", rechtfertigt ebenfalls keine Besorgnis der Befangenheit. Die Wortwahl ist zwar isoliert betrachtet mißverständlich, konnte jedoch vor dem Hintergrund der vorhergehenden Kontroverse nicht als generelle Ablehnung der Protokollierung anderweitiger Verfahrensanträge verstanden werden. Ob im Streitfall der Protokollierungsantrag gemäß § 160 Abs. 4 Sätze 2 und 3 ZPO durch das Gericht -- hier den Senat -- oder verfahrensfehlerhaft durch den Vorsitzenden Richter zurückgewiesen worden ist, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn insoweit ein Verfahrensverstoß vorläge und außerdem die entgegen § 160 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 ZPO unterbliebene Protokollierung der Zurückweisung des Protokollierungsantrags berücksichtigt wird, genügten diese Rechtsfehler nicht, um auf eine unsachliche Einstellung des Vorsitzenden zu schließen (vgl. auch BFH in BFH/NV 1993, 318).

Die von den Klägern weiter beanstandete Aufforderung des Vorsitzenden, leiser zu sprechen, hält sich im Rahmen der diesem zustehenden Leitung der mündlichen Verhandlung (§ 92 FGO). Die gerügte Äußerung des Vorsitzenden zur Kenntnis verdeckter Mängel beim Hauskauf bringt allenfalls Zweifel am Tatsachenvortrag der Kläger zum Ausdruck. Außerdem war sie auf den "Regelfall" bezogen und läßt bereits deshalb nicht auf eine vorgefaßte Meinung im Streitfall schließen. Es liegt kein Grund für die Annahme der Kläger vor, das Gericht werde sie nicht anhören und ihr Vorbringen nicht in ausreichender Weise würdigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422199

BFH/NV 1997, 687

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