Entscheidungsstichwort (Thema)

Eindeutige Bestellung des Bevollmächtigten zum Bekanntgabeadressat erforderlich; Umfang einer Vollmacht; Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden; Eigenverantwortung sachkundiger Vertreter für zu stellende Anträge

 

Leitsatz (NV)

  1. Die Bestellung des Bevollmächtigten zum Bekanntgabeadressat muss unmissverständlich sein und sich unmittelbar aus einer diesbezüglichen Erklärung des Steuerpflichtigen oder seines Bevollmächtigten ergeben.
  2. Zum Umfang einer Vollmacht.
  3. Da zur Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden eine einschlägige Rechtsprechung des BFH vorliegt, muss sich eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung mit dieser Rechtsprechung auseinander setzen und im Einzelnen darlegen, warum der BFH diese Frage erneut prüfen und entscheiden muss.
  4. Angesichts der Eigenverantwortung sachkundig vertretener Kläger für zu stellende Anträge muss für eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht wie bei einem Beweisantrag dargelegt werden, warum die Kläger nicht von sich aus tätig geworden sind. Das gilt auch für eine Beiziehung weiterer Akten.
 

Normenkette

AO 1977 § 80 Abs. 1, §§ 125, 173 Abs. 2; FGO § 76 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 27.03.2002; Aktenzeichen 4 K 11468/01)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Vollmacht haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht schlüssig gerügt. Soweit sie geltend machen, das angefochtene Urteil weiche mit der Annahme, die angefochtenen Bescheide seien nicht den damaligen Bevollmächtigten bekannt zu geben gewesen, von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ―BFH― (Urteil vom 29. Juli 1987 I R 367, 379/83, BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242) ab, haben sie nicht ―wie erforderlich― tragende und abstrakte Rechtssätze, die dem angefochtenen Urteil sowie dem angeführten BFH-Urteil zugrunde liegen, herausgearbeitet und einander gegenübergestellt, so dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. aus jüngster Zeit BFH-Beschluss vom 7. Oktober 2003 X B 52/03, BFH/NV 2004, 80). Sie haben nämlich nicht dargelegt, dass das Finanzgericht (FG) seiner Entscheidung insoweit andere Grundsätze zugrunde gelegt habe.

Soweit sich aus dem von den Klägern angeführten BFH-Urteil vom 21. März 1978 VIII R 60/73 (BFHE 125, 326, BStBl II 1978, 606) ergibt, dass der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht notwendigerweise einer ausdrücklichen Erklärung bedarf, sondern auch aus den Umständen des Handelns erhellen und für den Erklärungsempfänger erkennbar werden kann, berücksichtigen die Kläger nicht, dass diese Entscheidung nicht eine sog. Zustellungsvollmacht, sondern die Abgabe einer Willenserklärung betrifft. Für den hier zu beurteilenden Fall, ob ein Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten oder dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben werden muss, hat der BFH in dem vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) zutreffend herangezogenen Urteil vom 5. Oktober 2000 VII R 96/99 (BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86) ausdrücklich klargestellt, dass ein Bevollmächtigter eindeutig und unmissverständlich gerade auch als Bekanntgabeadressat bestimmt sein und sich dies unmittelbar aus der diesbezüglichen Erklärung des Steuerpflichtigen bzw. seines Bevollmächtigten ergeben muss.

2. Unter diesen Umständen kommt der Rechtssache in dieser Frage auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Kläger haben angesichts des Urteils des BFH in BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86 nicht dargelegt, dass noch eine klärungsfähige und insbesondere auch klärungsbedürftige Rechtsfrage vorliegt. Das gilt auch für die von den Klägern aufgeworfene Frage nach dem Umfang der Vollmacht vom 14. September 2000. Das Urteil des FG Berlin vom 18. April 1979 VI 442/78 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1979, 530) zur Frage des Beginns der Einspruchsfrist ist hier schon deshalb nicht einschlägig, weil es die Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen trotz wirksam erteilter Zustellungsvollmacht betrifft.

Die unzureichende Darlegung gilt ebenso für die Frage, wann auf Schätzungen beruhende Steuerbescheide nichtig sein können. Angesichts der Tatsache, dass zur Frage, wann grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides führen, insbesondere seit dem BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00 (BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381; vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415) eine einschlägige Rechtsprechung des BFH vorliegt, hätten die Kläger sich mit dieser Rechtsprechung auseinander setzen und im Einzelnen darlegen müssen, warum der BFH diese Frage erneut prüfen und entscheiden müsse (vgl. aus der jüngsten Zeit den BFH-Beschluss vom 8. August 2002 III B 48/02, BFH/NV 2002, 1615; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 28; Dürr in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 116 Rz. 31). Das haben die Kläger jedoch unterlassen. Unter diesen Umständen erübrigt es sich auch, auf die von den Klägern behaupteten Schätzungsfehler einzugehen.

3. Schließlich haben die Kläger auch einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen Verletzung der Hinweispflicht seitens des FG (§ 76 Abs. 2 FGO) nicht schlüssig gerügt. Angesichts der Eigenverantwortung der sachkundig vertretenen Kläger für die Formulierung der von ihnen zu stellenden Anträge (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. März 2001 VII B 231/00, BFH/NV 2001, 1012; vom 11. April 2000 VII B 221/99, BFH/NV 2000, 1229) hätten sie wie bei einem Beweisantrag darlegen müssen, warum sie nicht von sich aus auf die Änderung der Körperschaftsteuerbescheide hingewiesen haben. Für einen Hinweis des Gerichts bestand indes auch deshalb kein Anlass, weil die Kläger selbst zu entscheiden hatten, ob sie die von ihnen offenbar beantragte "Folgeänderung" der Einkommensteuerbescheide durch entsprechende Rechtsbehelfe weiterverfolgen wollten.

Wegen der Bestandskraft der angefochtenen Bescheide spielt es zudem keine Rolle, ob für einen Teil der Veranlagungszeiträume hinsichtlich bestimmter Sachverhalte eine Änderungssperre i.S. von § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gegolten haben könnte.

Die Beiziehung von weiteren Akten erübrigt sich bereits deshalb, weil die vor dem FG sachkundig vertretenen Kläger nicht dargelegt haben, warum sie diesen Antrag, der nach ihrer Ansicht zur Sachaufklärung notwendig gewesen sein soll, nicht bereits im Klageverfahren gestellt haben oder warum sich die Beiziehung dem FG auch ohne einen solchen Antrag hätte aufdrängen sollen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Juni 1998 IX B 13/98, BFH/NV 1999, 58).

4. Von einer weiteren Begründung, insbesondere von der Darstellung des Tatbestandes, sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz FGO ab.

 

Fundstellen

BFH/NV 2004, 760

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