Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Äußerung einer Rechtsansicht ist kein Richterablehnungsgrund

 

Leitsatz (NV)

Die Mitteilung einer unzutreffenden Rechtsansicht rechtfertigt nicht die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) führt vor dem FG einen Rechtsstreit gegen das beklagte FA, der die Rechtmäßigkeit der Gewerbesteuermeßbescheide für die Jahre 1972 und 1973 betrifft. Der Kläger hat gegen diese Bescheide mit Schriftsatz vom 5. Januar 1987 Klage erhoben.

In weiteren Schriftsätzen hat der Kläger die Begründung der Klage ergänzt und beantragt, das FA aufzufordern, die den Rechtsstreit betreffenden Steuerakten vorzulegen und zu dem bisherigen Klagevorbringen Stellung zu nehmen. Außerdem hat er beantragt, weitere näher bezeichnete Akten zum Verfahren beizuziehen und seinem Prozeßbevollmächtigten zur Einsicht zuzuleiten, Beweise zu erheben und bestimmte Personen zu dem Klageverfahren beizuladen.

Der Berichterstatter für dieses Verfahren, Richter am FG X, hat dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 31. Dezember 1987 und vom 17. Februar 1988 geantwortet. Im Schreiben vom 31. Dezember 1987 teilte der Berichterstatter dem Kläger mit, eine Beiladung der übrigen Feststellungsbeteiligten zu dem anhängigen Verfahren werde erfolgen, wenn dies prozeßökonomisch sinnvoll erscheine. Bezüglich des Antrags auf Beiziehung von Akten erwiderte der Berichterstatter mit Schreiben vom 17. Februar 1988, das Gericht werde die den Streitfall betreffenden Akten anfordern, wenn es in die Bearbeitung des Streitfalls eintreten werde. Wegen des Vorrangs zahlreicher älterer Verfahren werde die Bearbeitung in nächster Zeit nicht aufgenommen werden können.

Daraufhin hat der Kläger in einem weiteren Schriftsatz vom 18. Februar 1988 beantragt, Richter am FG X wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung seines Antrags hat der Kläger ausgeführt, die Art und Weise, wie der Berichterstatter das Verfahren betreibe, spreche dafür, daß er nicht unvoreingenommen sei. Im Streitfall seien die übrigen Feststellungsbeteiligten notwendig zum Verfahren beizuladen (§ 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die notwendige Beiladung stehe nicht im Ermessen des Gerichts. In seinem Schreiben vom 31. Dezember 1987 habe der Richter X zum Ausdruck gebracht, daß er die vom Kläger angeregte Beiladung ablehnen wolle, weil er sie prozeßökonomisch für nicht sinnvoll erachte. Er habe die Anträge des Klägers dem Senat offenbar nicht zur Entscheidung vorgelegt.

Beizuladen sei so früh wie möglich, damit die prozessualen Möglichkeiten des Beigeladenen nicht verkürzt werden.

Nach § 71 Abs. 2 FGO habe die beteiligte Finanzbehörde die den Streitfall betreffenden Akten nach Empfang der Klageschrift an das Gericht zu übersenden. Das FA habe mit der Klageerwiderung vom 28. Januar 1988 die Feststellungsakten und die Akten der Steuerfahndungsstelle nicht übersandt. Dem Antrag des Klägers vom 12. August 1987 habe der Berichterstatter bis zum heutigen Tage nicht stattgegeben. Auch habe er die Beweiserhebungsanträge des Klägers ignoriert. Ferner habe er diese Anträge dem Senat nicht zu Entscheidung vorgelegt.

Durch Beschluß vom 1. November 1988, an dem der abgelehnte Richter nicht mitgewirkt hat, hat das FG das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen.

Die vom Kläger vorgetragenen Gründe rechtfertigten bei objektiver Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit. Der Berichterstatter habe offensichtlich allein deshalb noch nicht eine Entscheidung über die Anträge des Klägers herbeigeführt, weil er wegen der Belastung des Senats mit älteren und deshalb vorrangigen Verfahren noch nicht mit der Bearbeitung der vom Kläger eingereichten Klage habe beginnen können.

Der Kläger hat gegen den ihm am 6. November 1988 zugestellten Beschluß des FG mit Schriftsatz vom 18. November 1988 - beim FG eingegangen am 21. November 1988 - Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.

Der Kläger hat die Beschwerde nicht begründet.

Er beantragt, den angefochtenen Beschluß des FG aufzuheben und dem Ablehnungsgesuch gegen den Richter am FG X stattzugeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch des Klägers zurückgewiesen.

Gemäß § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit des Richters zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Rz. 37 m. w. N.).

Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit des Richters X.

Das FG hat zutreffend dargelegt, daß die vom Kläger beanstandete Prozeßführung bei objektiver Beurteilung nicht Anlaß geben kann, an der Unvoreingenommenheit des Berichterstatters zu zweifeln. Bei der allgemein bekannten übermäßigen Arbeitsbelastung der FG (vgl. dazu den Geschäftsbericht der Finanzgerichte in der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 1987 und 1988, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 382) kann es dem Berichterstatter insbesondere nicht vorgeworfen werden, daß er wegen der vorrangigen Bearbeitung älterer Verfahren bisher die im Januar 1987 eingegangene Streitsache des Klägers nicht bearbeitet und deshalb auch noch keine Senatsentscheidung über die vom Kläger gestellten Beweisanträge herbeigeführt hat. Ebensowenig ist es zu beanstanden, daß der Berichterstatter davon abgesehen hat, das beklagte FA zur Vorlage der den Streitfall betreffenden Steuerakten aufzufordern. Da die Steuerakten erfahrungsgemäß vom FA häufig für die laufenden Veranlagungsarbeiten benötigt werden, hätte die sofortige Anforderung der Steuerakten durch das FG zur Folge, daß diese während des Verfahrens immer wieder an das FA zurückgeschickt werden müßten. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Berichterstatter des FG erst dann die Steuerakten vom FA anfordert, wenn er die Sache bearbeiten kann. Die Rechte des Klägers werden durch dieses Verfahren nicht beeinträchtigt.

Aus den gleichen Gründen ist es auch nicht zu beanstanden, daß Richter am FG X bisher keine Entscheidung des Senats über die Frage herbeigeführt hat, ob und ggf. welche Personen zu dem Verfahren des Klägers beizuladen sind. Auch diese Frage kann erst bei einer eingehenden Bearbeitung der Streitsache geklärt werden. Zwar ist es wünschenswert, daß erforderliche notwendige Beiladungen in einem möglichst frühen Stadium des Verfahrens angeordnet werden. Das FG handelt jedoch nicht schon dann verfahrensfehlerhaft, wenn es eine notwendige Beiladung erst zu einem späteren Zeitpunkt beschließt. Auch insoweit wird die prozessuale Stellung des Klägers durch die beanstandete Verfahrensweise des Berichterstatters nicht beeinträchtigt. Schließlich ist die Besorgnis der Befangenheit auch nicht im Hinblick auf die im Schreiben des Richters X vom 31. Dezember 1987 enthaltene Mitteilung an den Kläger gerechtfertigt, eine Beiladung der übrigen Feststellungsbeteiligten zu den anhängigen Verfahren werde erfolgen, ,,wenn dies prozeßökonomisch sinnvoll erscheine". Sofern diese Äußerung dahin zu verstehen sein sollte, daß die Entscheidung über die Beiladung im Ermessen des Gerichts liege, wäre diese Auffassung zwar unrichtig, weil eine notwendige Beiladung angeordnet werden muß, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Die Mitteilung einer unzutreffenden Rechtsansicht kann bei objektiver Betrachtung jedoch nicht Anlaß zu der Befürchtung geben, der Richter sei befangen. Meinungsäußerungen des Richters im Verfahren sprechen nicht gegen dessen Objektivität. Falsche Ansichten eines Richters oder des Spruchkörpers sind ggf. im Rechtsmittelverfahren zu korrigieren (BFH-Beschluß vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243; Gräber/Koch, a. a. O., Rz. 40).

Vermerk:

Der VIII. Senat hat durch zwei am selben Tag ergangene Beschlüsse (VIII B 135/88 und VIII B 136/88) die Beschwerden desselben Klägers gegen Entscheidungen des Hessischen FG zurückgewiesen, durch die das FG zwei weitere Ablehnungsgesuche des Klägers gegen denselben Richter zurückgewiesen hat. Die Gründe der Beschlüsse VIII B 135/88 und VIII B 136/88 entsprechen im wesentlichen denen der Entscheidung VIII B 134/88, so daß auf ihre Mitteilung verzichtet werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416852

BFH/NV 1990, 713

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