Entscheidungsstichwort (Thema)

Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

Die Tatsache allein, daß ein Richter in einem anhängigen Verfahren mit einem Prozeßbeteiligten Telefongespräche führt, begründet als solche noch keine Besorgnis der Befangenheit des Richters.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO § 42

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, erhob gegen die gegen ihn gerichteten Einkommensteuerbescheide für 1984 bis 1989 Klage. Nachdem der Berichterstatterin beim Finanzgericht (FG) Zweifel kamen, ob der Klageschriftsatz nicht zugleich Anträge an das FG auf Aussetzung der Vollziehung enthielt, fragte diese telefonisch beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) nach, ob der Kläger bei diesem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt habe, ggfs. ob das FA Aussetzung der Vollziehung von Amts wegen gewähre. Außerdem fragte die Berichterstatterin den Vertreter des FA anläßlich dieses Telefongesprächs, ob aus der Sicht des FA nicht ein Erörterungstermin sinnvoll sei. Dies wurde bejaht. Über das Telefongespräch wurde der Kläger nicht informiert.

Mit Schriftsatz vom 31. März 1993 teilte das FA mit, daß es von Amts wegen Aussetzung der Vollziehung für die Streitjahre gewährt habe. Am 6. Mai 1993 verfügte die Berichterstatterin beim FG Termin zur Erörterung des Sach- und Rechtsstandes für den 1. Juni 1993. Der Kläger beantragte, diesen Termin aufzuheben und zunächst dem FA aufzugeben, sich zu den Klageschriften schriftsätzlich zu äußern. Vorher halte er einen Erörterungstermin nicht für sinnvoll.

Mit Schreiben vom 21. Mai 1993 lehnte der Kläger die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie sei dienstlich zu befragen, ob sie mit dem FA den Erörterungstermin vereinbart und auf eine schriftliche Klageerwiderung verzichtet habe. Sollte dies zutreffen, so wäre dies eine einseitige Stellungnahme der Berichterstatterin zu Lasten des Klägers.

In der dienstlichen Stellungnahme bestätigte die Berichterstatterin den oben dargestellten Sachverhalt. Sie habe primär zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen Kontakt mit dem FA aufgenommen. Sie habe aber nicht auf eine schriftliche Klageerwiderung verzichtet. Dazu habe, zumal das FA seiner Klageerwiderung die Einspruchsentscheidung beigefügt gehabt hatte, auch gar kein Anlaß bestanden. Auf die dem Kläger zugesandte dienstliche Stellungnahme der Berichterstatterin vom 28. Mai 1993 wird im übrigen Bezug genommen.

Der Termin für die Erörterung wurde aufgehoben.

Mit Schriftsatz vom 22. Juni 1993 trug der Kläger vor, daß es für ihn unzumutbar sei, ohne vorherige schriftliche Klageerwiderung des FA in einer mündlichen Verhandlung auf einen mündlichen Vortrag des FA einzugehen. Die Berichterstatterin habe nicht ohne Zuziehung des Klägers mit dem FA über dessen Vergleichsbereitschaft verhandeln dürfen.

Der Antrag auf Richterablehnung wurde vom FG - ohne Beteiligung der Berichterstatterin - abgelehnt.

Mit der fristgerecht eingelegten Beschwerde beantragt der Kläger, die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (vgl. z.B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Mai 1992 V B 235/91, BFH/NV 1993, 731 m.w.N.).

Aus objektiver Sicht bestehen im Streitfall für eine Voreingenommenheit der abgelehnten Richterin keine Anhaltspunkte. Die telefonische Kontaktaufnahme mit einem Prozeßbeteiligten als solche indiziert keine Voreingenommenheit des Richters, sondern dient der Prozeßbeschleunigung unter Einsatz heute üblicher Kommunikationsmittel. Eine Unparteilichkeit kann sich allein aus dem Inhalt des Telefongesprächs ergeben (vgl. BFH-Beschluß vom 25. April 1991 IV S 14-21/90, IV S 1/91, BFH/NV 1992, 394, 395). Auch der Inhalt des Telefongesprächs der Berichterstatterin mit dem FA läßt eine Unparteilichkeit der Richterin nicht erkennen. Dieses diente (zunächst) der Information der Richterin über beim FA gestellte Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (vgl. hierzu Art. 3 § 7 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit) und endete mit der Gewährung von Aussetzung der Vollziehung durch das FA. Den Kläger in irgendeiner Weise belastende Äußerungen sind in Anbetracht des Ergebnisses des Telefongesprächs aus objektiver Sicht nicht gefallen.

Auch die Frage der Berichterstatterin, ob das FA einen Erörterungstermin für sinnvoll halte, deutet nicht auf eine Parteilichkeit der Richterin hin. Abgesehen davon, daß diese Frage in Anbetracht der gezeigten Bereitschaft zur Aussetzung der Vollziehung von Amts wegen nahe lag, sind Gespräche eines Richters mit einer Partei darüber, ob eine Einzelrichtersitzung sinnvoll erscheint, grundsätzlich kein Ausdruck der Befangenheit des Richters. Selbst wenn der Kläger sich ohne weitere schriftliche Stellungnahme des FA einer mündlichen Erörterung nicht gewachsen gesehen haben sollte, so war dies jedenfalls für die Berichterstatterin seinerzeit nicht erkennbar. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Inaussichtnahme eines Erörterungstermins im Gespräch mit dem FA dem Kläger in irgendeiner Weise zum Nachteil gereichen sollte, zumal in einem Erörterungstermin eine Streitsache nur einvernehmlich erledigt werden kann.

Offenbleiben kann, ob die Berichterstatterin alsbald nach dem Telefongespräch mit dem FA den Kläger hiervon hätte informieren müssen. Selbst wenn hierin ein Verfahrensfehler liegen sollte, so müßten zusätzliche Anhaltspunkte vorhanden sein, die dafür sprechen, daß das Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschlüsse vom 2. März 1993 VII B 189/92, BFH/NV 1993, 738 m.w.N.; vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524). Solche Gesichtspunkte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Eine eventuelle Unvollständigkeit der Klageerwiderung kann kein Indiz für eine Voreingenommenheit eines Richters sein. Im übrigen dienen gerade Erörterungstermine der Diskussion bisher unerörtert gebliebener Gesichtspunkte (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FGO; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 79 Rdnr. 5).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419741

BFH/NV 1994, 874

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