Leitsatz

1. Auch unter der Geltung der InsO kommt es hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinn entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Es besteht kein Anlass, von dieser unter der Geltung der KO entwickelten Rechtsprechung abzuweichen.

2. Will das FA nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners erklären und setzt sich dieser Anspruch sowohl aus vor als auch aus nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerbeträgen zusammen, hat das FA nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO sicherzustellen, dass die Aufrechnung den Vorsteuervergütungsanspruch nur insoweit erfasst, als sich dieser aus Vorsteuerbeträgen zusammensetzt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind (Fortführung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 5.10.2004, VII R 69/03).

3. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hindert nicht die Aufrechnung des FA mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den aus dem Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters herrührenden Vorsteueranspruch des Insolvenzschuldners. Die für das FA durch den Vorsteueranspruch des Schuldners entstandene Aufrechnungslage beruht nicht auf einer nach der InsO anfechtbaren Rechtshandlung.

 

Normenkette

§ 168 Satz 2 AO , § 226 Abs. 1 AO , § 387 BGB , § 95 Abs. 1 InsO , § 96 Abs. 1 InsO , § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO , § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO , § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG

 

Sachverhalt

Der Insolvenzverwalter in einem am 1.8.2000 eröffneten Insolvenzverfahren gab für die Schuldnerin eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2000 ab, die zu einem Vorsteuerüberschuss führte. Teilweise resultierte der Überschuss aus der von dem vorläufigen Insolvenzverwalter für seine Vergütung in Rechnung gestellten Umsatzsteuer. In Höhe dieses Betrags zahlte das FA das Guthaben nicht aus, sondern verrechnete es mit Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung. Aufgrund der hiergegen erhobenen Einwände erließ das FA den angefochtenen Abrechnungsbescheid.

 

Entscheidung

Der BFH hat den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen. Es fehle an tatsächlichen Feststellungen des FG, dass das FA bei der Ermittlung des nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO aufrechenbaren Teils des Vorsteuervergütungsanspruchs ausschließlich auf vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (insolvenzrechtlich) begründeten Vorsteuerbeträgen beruht und die für den Besteuerungszeitraum berechnete Umsatzsteuer nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit den Vorsteuerbeträgen jenes Zeitraums verrechnet worden ist.

 

Hinweis

1. Bestanden zur Aufrechnung sich gegenüberstehende Forderungen des Schuldners und eines Insolvenzgläubigers bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist der Insolvenzgläubiger zur Aufrechnung befugt, auch wenn die Aufrechnungslage erst während des Insolvenzverfahrens eintritt, weil die aufzurechnende Hauptforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig war (§ 95 Abs. 1 InsO). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Hauptforderung unbedingt fällig wird, bevor der Insolvenzgläubiger seinen Anspruch einfordern und somit die Aufrechnung mit diesem Anspruch erklären kann.

2. Die Aufrechnung ist ferner unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Eine solche stellt aber weder die Zustimmung des FA zu einer Steueranmeldung (§ 168 Satz 2 AO) noch gar die Tätigkeit eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem daraus entstehenden Vergütungsanspruch dar. Eine Rechtshandlung ist nur eine vom Willen getragene Betätigung, die in irgendeiner Weise Rechtswirkungen auslösen kann; der vorläufige Insolvenzverwalter wird aber schon nicht aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit der Schuldnerin, sondern aufgrund seiner Bestellung durch das Insolvenzgericht tätig.

3. Eine Aufrechnung ist im Insolvenzverfahren schließlich auch dann unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Maßgeblich dafür ist aber nicht das steuerrechtliche Entstehen einer Forderung, sondern ob die Hauptforderung "ihrem Kern nach" bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Das ist bei einer Steuerforderung der Fall, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen ist die Zugehörigkeit eines Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs zur Insolvenzmasse zu beurteilen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH...

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