Tz. 109

Stand: EL 50 – ET: 06/2023

Empirische Untersuchungen zeigen, dass Optionsberechtigte ihre Optionen deutlich vor Ende der Laufzeit ausüben (vgl. zB Fu/Ligon, FinMa 2010, S. 1108ff., die tabellarisch den Anteil sofortiger Ausübungen nach Ablauf der Mindesthaltedauer verdeutlichen. Sie finden, dass 36,1 % aller Ausübungen binnen eines Jahres nach Ablauf der Mindesthaltedauer auftreten. Zwei Jahre nach Ablauf der Mindesthaltedauer liegt die Quote bereits bei 50 %.). Gründe für dieses von den Empfehlungen der Optionspreistheorie abweichende Verhalten können Risikoaversion, Vermögens- oder Liquiditätsbeschränkungen sowie unzureichende Diversifikation des privaten Vermögens sein (IFRS 2.BC158, vgl. auch Simons, ZfB 2000, S. 596ff. mwN.). Darüber hinaus droht bei Unternehmensübernahmen sehr häufig die Suspendierung von anteilsbasierten Vergütungsprogrammen der Übernahmekandidaten (vgl. Babenko et al., JFQA 2021, S 30f.) Grundsätzlich lässt sich außerdem festhalten, dass Männer schneller ausüben als Frauen und dass Angehörige niedrigerer Hierarchiestufen schneller ausüben als Angehörige höherer Hierarchiestufen. Weiterhin motivieren Aktienkurse, die zu den höchsten 10 % der vergangenen Jahre gehören, und anstehende Dividendenausschüttungen die Optionsausübung (vgl. Carpenter et al., JoF 2019, S. 1176). Unabhängig von den Motiven des Ausübungsverhaltens muss der vorfälligen Optionsausübung im Rahmen der Optionsbewertung Rechnung getragen werden. Die Berücksichtigung vorfälliger Ausübungen unterscheidet sich in Abhängigkeit vom verwendeten Bewertungsmodell. In der Black/Scholes-Formel besteht die Möglichkeit, statt der vertraglichen Optionslaufzeit die erwartete Haltedauer anzusetzen. Diese Vorgehensweise steht auch bei Verwendung eines Binomialmodells zur Verfügung (IFRS 2.BC169). Alternativ besteht die Möglichkeit, pfadabhängiges Ausübungsverhalten abzubilden und somit eine explizite Modellierung des Ausübungsverhaltens vorzunehmen. Dabei lassen sich verschiedene typische Ausübungsstrategien identifizieren (vgl. zB Cicero, JoF 2009, S. 2627ff., der zwischen (i) Ausüben und vollständig verkaufen, (ii) Ausüben und teilweise zur Finanzierung der Kaufpreiszahlung verkaufen sowie (iii) Ausüben ohne Verkauf unterscheidet. Vgl. auch Grasselli/Henderson, JoEDC 2009, S. 110, die blockweise Ausübungen mit im Zeitablauf steigenden Schwellenwerten herleiten.). Bei Anwendung der erwarteten Haltedauer ist kein weiterer Abschlag auf den Optionswert aufgrund mangelnder Veräußerbarkeit bzw. Glattstellung vorzunehmen (vgl. Vater, WPg 2005, S. 1275).

 

Tz. 109a

Stand: EL 50 – ET: 06/2023

Die Verwendung der erwarteten Haltedauer im Black/Scholes-Modell stellt eine Heuristik dar (vgl. zB Leung/Sircar, MathFin 2009, S. 118, die Kostenprognosen verschiedener Modelle einander gegenüberstellen). Die auftretenden Abweichungen zwischen den ex ante erwarteten Kosten des Optionsprogramms und denen, die bei individuell risikooptimierter Ausübung der Optionsberechtigten auftreten, lassen sich weder in der Größenordnung noch dem Vorzeichen begrenzen (vgl. Carpenter et al., JoFE 2010, S. 328 für eine Übersicht über Abweichungen, die ausschließlich auf Approximationsfehler bei der Haltedauer zurückzuführen sind). Diese schwanken zwischen –100 % und +31 % der Programmkosten. Allerdings können die Kostenabweichungen in den USA insb. vor SOX auch auf das sogenannte backdating zurückzuführen sein, bei dem der Gewährungszeitpunkt zur Erlangung vorteilhafter Ausübungspreise vorverlegt wird, vgl. zB Eikseth/Lindset, JoEDC 2011, S. 1733ff.

 

Tz. 110

Stand: EL 50 – ET: 06/2023

Weiterhin beeinflusst die Dienstbedingung, die einen Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses fordert, das Ausübungsverhalten. Hier ist zu beachten, dass lediglich die potentielle Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nach Ablauf der Sperrfrist bewertungsrelevant ist, dh. das Wertgerüst beeinflusst. Dabei kann die Verwendung zustandsabhängiger Ausscheidequoten geboten sein (vgl. Pellens et al., 2021, S. 588). Beschäftigungsverhältnisse, deren Beendigung während der Sperrfrist zu erwarten ist, sind gem. IFRS 2.19 im Mengengerüst zu würdigen.

 

Tz. 111

Stand: EL 50 – ET: 06/2023

Losgelöst vom verwendeten Bewertungsmodell sind die folgenden Faktoren bei der Prognose des Ausübungsverhaltens immer zu würdigen (vgl. EY, International GAAP 2022, Kap. 29, Abschn. 8.5.2.):

  • die Länge des Erdienungszeitraums, weil vergütungshalber gewährte Optionen vor Erreichen des Erdienungszeitpunktes nicht ausgeübt werden können;
  • das beobachtete Ausübungsverhalten im Rahmen ähnlich gelagerter Optionsprogramme in der Vergangenheit;
  • der Marktpreis der zugrunde liegenden Aktie, da es zu einer verstärkten Ausübung beim Erreichen bestimmter kritischer Schwellenkurse (Satisfaktionskurse) kommen kann. Dabei ist davon auszugehen, dass Börsenkurse, die dem doppelten oder dreifachen Basispreis entsprechen, besondere Prominenz als kritische Schwellenkurse besitzen (vgl. Pellens et al., 2021, S. 589);
  • die Hierarchiestufe ...

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