Tz. 360

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

Der umgekehrte Unternehmenserwerb (reverse acquisition) stellt eine Sonderform des Unternehmenszusammenschlusses dar, da in diesem Fall die wirtschaftliche von der rechtlichen Betrachtung abweicht. Das rechtlich als Erwerber zu betrachtende Unternehmen ist wirtschaftlich als erworbenes Unternehmen anzusehen.

 

Tz. 361

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

IFRS 3.B19 enthält ein Beispiel, dass auf ein mögliches Motiv für einen umgekehrten Unternehmenszusammenschluss abstellt. Danach möchte ein nicht börsennotiertes Unternehmen X kostengünstig eine Börsennotierung erhalten, indem es arrangiert, dass es mit Hilfe der Ausgabe von Eigenkapitalinstrumenten durch ein börsennotiertes Unternehmen Y erworben wird. Rechtlich betrachtet ist damit Unternehmen Y erwerbendes Unternehmen, da es die Eigenkapitalinstrumente ausgegeben hat, und Unternehmen X erworbenes Unternehmen. Führen die Kriterien in IFRS 3.B13 ff. indes dazu, dass wirtschaftlich das börsennotierte Unternehmen Y als das erworbene Unternehmen und das nicht börsennotierte Unternehmen X als Erwerber anzusehen ist (for accounting purposes), hat das Unternehmen Y die Voraussetzung eines Geschäftsbetriebs iSd. IFRS 3 zu erfüllen und Unternehmen X die Erwerbsmethode gem. IFRS 3 anzuwenden. Die Anwendung der allgemeinen Kriterien zur Identifizierung des Erwerbers wird allerdings nicht für das in IFRS 3.B19 angeführte Beispiel eines umgekehrten Unternehmenszusammenschlusses gezeigt. Das rechtlich erworbene Unternehmen gilt als der Erwerber iSv. IFRS 3 und wendet die Erwerbsmethode aus seiner Sicht an. Die handelsrechtliche Bilanzierung derartiger Transaktionen orientiert sich, abweichend von der internationalen Vorgehensweise, an der formellen (rechtlichen) Betrachtungsweise (vgl. Küting/Müller/Pilhofer, WPg 2000, S. 268).

 

Tz. 362

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, welche Motive für einen umgekehrten Unternehmenszusammenschluss vorliegen können, da diese Form des Unternehmenszusammenschlusses ungewöhnlich ist. Denkbar sind zB folgende Motive:

  • Unternehmen B ist ein großes, nicht börsennotiertes Unternehmen und Unternehmen A ein kleineres börsennotiertes Unternehmen. Durch den umgekehrten Unternehmenszusammenschluss möchte Unternehmen B kostengünstig eine Börsennotierung erhalten;
  • Unternehmen A ist im Besitz eines nicht übertragbaren Rechts und Unternehmen B möchte über den Umweg eines umgekehrten Unternehmenszusammenschluss an dieses Recht gelangen;
  • steuerliche Gründe.

Allerdings kann es zT sehr schwierig sein, einen umgekehrten Unternehmenszusammenschluss zu erkennen. Dabei sind die allgemeinen Kriterien zur Identifizierung des erwerbenden Unternehmens zu berücksichtigen (IFRS 3.B19). Hinweise, die darauf schließen lassen, dass es sich bei dem zu beurteilenden Unternehmenszusammenschluss um einen umgekehrten Unternehmenszusammenschluss handelt, können vor allem sein (vgl. IFRS 3.B15 f.):

  • der beizulegende Zeitwert des rechtlich erworbenen Unternehmen ist signifikant höher als der des rechtlich erwerbenden Unternehmens;
  • das Management des rechtlich erworbenen Unternehmens kann die Besetzung des künftigen Managements des rechtlich erwerbenden Unternehmens bestimmen.
 

Tz. 363

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

Nicht näher betrachtet werden soll im Folgenden der Fall, dass ein Teil der Gegenleistung nicht aus Anteilen besteht, sondern aus Zahlungsmitteln oder Zahlungsmitteläquivalenten. Auch in diesem Fall ist für die Klassifikation als umgekehrter Unternehmenserwerb allein entscheidend, ob durch die Ausgabe neuer Anteile die Beherrschung übergeht. Gezahlte Zahlungsmittel sind im Fall des umgekehrten Unternehmenserwerbs als Ausschüttung des neuen Konzerns an die Anteilseigner des wirtschaftlichen Erwerbers zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses zu bilanzieren.

 

Tz. 364

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

Gemäß IFRS 3.B15 ist in diesem Fall die Erwerbsmethode aus Sicht des rechtlich erworbenen Unternehmens durchzuführen. Dies gilt auch nach US-GAAP (vgl. FASB ASC 805-40). Im HGB knüpft die Bilanzierung hingegen weiter an die formelle (rechtliche) Betrachtungsweise.

 

Tz. 365

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

Der IASB stellt in IFRS 3.BC13 klar, dass auch im Fall eines umgekehrten Unternehmenszusammenschlusses ein Unternehmen die Beherrschung über ein anderes Unternehmen erwirbt. Es sind daher die allgemeinen Prinzipien der Erwerbsmethode anzuwenden, die ua. dazu führen, dass die Erwerbsmethode aus Sicht des rechtlich erworbenen Unternehmens anzuwenden ist. Weiterhin führt der IASB an, dass ein expliziter Hinweis, dass umgekehrte Unternehmenszusammenschlüsse in den Anwendungsbereich von IFRS 3 fallen, nicht erforderlich ist. Hierin zeigt sich erneut das Bestreben des IASB, prinzipienorientierte Standards zu veröffentlichen.

 

Tz. 366

Stand: EL 32 – ET: 5/2017

Bei der Bilanzierung eines umgekehrten Unternehmenserwerbs ergeben sich einige technische Besonderheiten im Rahmen der Durchführung der Erwerbsmethode, daher sind in IFRS 3 detaillierte Anwendungsvorschriften und ei...

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