Tz. 269

Stand: EL 37 – ET: 2/2019

Die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen nach IFRS gehört ohne Frage zu den komplexesten Vorschriften in der Rechnungslegung. Dabei rührt die Komplexität allerdings nicht allein aus den Bilanzierungsvorschriften, sondern ist zu einem guten Teil dem Umstand geschuldet, dass Rechnungslegung und betriebliches Risikomanagement zwei Teildisziplinen der Betriebswirtschaftslehre sind, die keine natürliche Schnittstelle aufweisen. Und nur zu häufig werden diese beiden Disziplinen in der Literatur miteinander vermischt, was dem Verständnis, worin Sinn und Zweck des Hedge Accounting besteht (und worin eben nicht), nicht zuträglich ist. Der Fairness halber sei angemerkt, dass der IASB mit Äußerungen wie den folgenden selbst zu dieser Unschärfe beiträgt: "Hedge accounting relates to the reporting of risk management activities that entities enter into, to manage their exposure to the risks identified as relevant, from a business perspective […] Under the new model, it is possible for the financial statements of an entity to reflect its risk management activities instead of simply complying with a rule-based approach, such as the approach in IAS 39" (IFRS 9.BCE.175 und 180). Derartige Aussagen müssen beim Leser eine Erwartungshaltung dahingehend erzeugen, man könne einem Abschluss ohne Weiteres die Risikosteuerungsmaßnahmen entnehmen, die ein Unternehmen eingegangen ist. Wie noch zu zeigen sein wird, muss dieser Anspruch häufig unerfüllbar bleiben (vgl. dazu Tz. 274f.).

 

Tz. 270

Stand: EL 37 – ET: 2/2019

In der betrieblichen Risikomanagementlehre werden hinsichtlich der Steuerung von Risiken verschiedene Maßnahmen und Strategien unterschieden. Dazu gehören

  • der Verzicht auf bestimmte Geschäfte (Risikovermeidung),
  • der Abschluss von Geschäften bis zum Erreichen eines vorgegebenen Limits (Risikobegrenzung),
  • der Abschluss eines Geschäfts und dessen unmittelbare oder kurzfristige Weitergabe an einen fremden Dritten (Risikoüberwälzung),
  • die Eingehung mehrerer Geschäfte mit unterschiedlichem und teilweise kompensierendem Risikoprofil (Risikodiversifikation) sowie
  • die Eingehung eines Geschäfts und die bewusste Eingehung eines oder mehrerer Geschäfte mit gegenläufigem Risikoprofil (Risikoabsicherung = hedging).
 

Tz. 271

Stand: EL 37 – ET: 2/2019

Die Abbildung von Sicherungsmaßnahmen bzw. Sicherungsbeziehungen in der Rechnungslegung mittels spezieller Ansatz-, Bewertungs- und Ausweisvorschriften wird als Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen (hedge accounting) bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen – entgegen den oben (vgl. Tz. 269) zitierten Aussagen – eben gerade nicht zwangsläufig sämtliche in einem Unternehmen getätigten Sicherungsmaßnahmen im Abschluss abbildet – Hedge Accounting ist kein Abbildungsautomatismus und bedeutet nicht accounting for (all) hedging activities! Das Hedge Accounting dient vielmehr dazu, die Auswirkungen des betrieblichen Risikomanagements im Abschluss sichtbar zu machen, soweit sie das Periodenergebnis oder das Sonstige Gesamtergebnis berühren können (vgl. IFRS 9.6.1.1) – allerdings mit der unausgesprochenen Einschränkung, dass die Sichtbarmachung unter dem Vorbehalt einer Vereinbarkeit mit grundlegenden Bilanzierungsnormen besteht! Anders formuliert: Die Anwendung der allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften soll bei Vorliegen von Sicherungsbeziehungen, die bestimmten Eigenschaften genügen, für einzelne Geschäftsvorfälle teilweise außer Kraft gesetzt werden dürfen. Es handelt sich somit um ein Bilanzierungswahlrecht, das wie die Fair Value Option ausgeübt werden kann, aber nicht muss (s. a. Deloitte LLP 2018, S. 700ff.; KPMG IFRG Limited 2017/18, Tz. 7A.9.10.80). Wenn ein Unternehmen allerdings Gebrauch von den Regelungen machen will, muss es nachweisen, dass es dazu auch berechtigt ist, und diese Berechtigung gründet sich auf den Nachweis bestimmter Sicherungsmaßnahmen (vgl. IFRS 9.BCE.186ff.). Daraus folgt, dass ein Unternehmen sehr wohl Hedging betreiben kann, ohne auf Hedge Accounting zurückgreifen zu müssen (dies scheint zumindest bei den Industrie- und Handelsunternehmen des DAX30 in nennenswertem Umfang der Fall zu sein, vgl. Knappstein/Schmidt, KoR 2015, S. 580); der Umkehrschluss gilt indes nicht.

 

Tz. 272

Stand: EL 37 – ET: 2/2019

Die Frage, was als Absicherung anzusehen ist, hängt unmittelbar an der Frage, welche Umstände als mit Risiko behaftet angesehen werden. Risiken lassen sich transaktions- oder positionsbezogen definieren. Von einem transaktionsbezogenen Risiko spricht man, wenn das einem einzelnen Geschäft innewohnende Risiko gemeint ist. Positionsbezogene Risiken stellen demgegenüber auf eine Nettorisikoposition aus mehreren, teilweise gegenläufigen Geschäften ab. Die Klärung der Frage, was unter Risiko verstanden wird, ist essentiell, soll der Kreis der für eine besondere Bilanzierung in Frage kommenden Transaktionen festgelegt werden: Ohne Risiko keine Absicherung, und ohne Absich...

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