Rationierung von Gaslieferungen an Industriebetriebe denkbar

Der Ukraine-Krieg verstärkt die Sorge um Engpässe und Rationierungen, in der Wirtschaft wie im Privaten. Die Preise für Öl, Gas und Kohle steigen und steigen. Ein Blick auf die Tankstellentafel lässt erahnen, wie die nächste Heizkostenrechnung aussieht. Dabei ist Deutschland mit seinen energieintensiven Wirtschaftszweigen besonders betroffen. Zudem steckt es mitten in der Energie- und Mobilitätswende.

Bislang wirken Politiker aller Couleur in diesen Tagen noch rat- und hilflos. So äußert sich Wirtschaftsminister Habeck sichtlich erleichtert, dass die gegenwärtige Heizperiode nahezu überstanden ist. Auch für kommenden Monate hält er die Gasspeicher der EU mit etwa 340 Terrawattstunden (TWh) noch für ausreichend, auch wenn der Rohstoff aus Russland ausbliebe. Doch schon der nächste Winter stelle eine riesige Herausforderung dar. Angesichts dessen beängstigt es schon, wenn der „grüne“ Minister jetzt über einen längeren Betrieb der Atomkraftwerke in Deutschland und über Kohle-Kraftwerke in Reserve nachdenkt.

Erdgasverbrauch Deutschland

Vorrang für Privathaushalte und systemrelevante Betriebe

Will man der Analyse des Brüsseler Thinktanks Bruegel glauben, sieht die nahe Zukunft sowohl in Deutschland als auch in Europa ohne russische Energieimporte nicht rosig aus. Allein die riesige Menge russischen Gases (1.700 TWh im Jahr 2021) – knapp 40 % des deutschen Verbrauchs aus – sind nur schwerlich ersetzbar. Die Wirtschaft warnt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sogar vor einem „Super-Gau". Für den Fall akuter Knappheit wird der Staat die Verteilung des Energieträgers an besonders "geschützte Kunden", Privathaushalte und systemrelevante Betriebe, im Extremfall direkt regeln. Unausweichlich seines Erachtens sind dabei Rationierung von Gaslieferungen an die Industrie.

Ebenso düster bewertet der Chef des Energieversorgers Eon, Leonhard Birnbaum die Lage. Bei Engpässen der Energieversorgung müssten „einige Betriebe, Stand heute, von der Versorgung abgeschaltet werden.“ Im nächsten Winter könne die Energiewirtschaft wahrscheinlich einige Industriekunden nicht mehr ohne Weiteres versorgen.

Flüssiggas-Importe werden durch mangelnde Infrastruktur beeinträchtigt

Im Ruf nach Lösungen ist zunehmend von verstärkten Flüssiggasimporten die Rede. Dazu müssten allerdings LNG-Terminals existieren. In Europa sind nur 25 vorhanden. In Deutschland fehlen sie bislang ganz. Vor wenigen Tagen stellte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) infolge des Ukraine-Krieges und der Abhängigkeit von russischem Erdgas den schnellen Bau zweier LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven in Aussicht. Doch die werden erst in 5 Jahren in Betriebe gehen. Um den Bedarf zu decken, würden die Weltmeere zum Schiffshotspot, was einer Umweltkatastrophe gleichkäme.

Schnellster Ausbau grüner Energie als Alternative

Um vollkommen autark regieren zu können, müsste Deutschland sofort und langfristig für das Umstellen auf dezentrale Energieversorgung mit grüner Energie deutlich mehr Geld in die Hand nehmen als bislang. Vor allem in der Wohnungswirtschaft mit ihrem immensen Energieverbrauch.

Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, meint: „Bestehenden Hürden für Mieterstrom müssen beseitigt und technologieoffene Maßnahmen für mehr CO2-Einsparung quartiersübergreifend ermöglicht werden.“

Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung ergänzt: „Insbesondere für die erneuerbaren Energien muss nun endlich klar sein, dass Hemmnisse bei der Genehmigung und Realisierung der Projekte der Vergangenheit angehören müssen. Mittelfristig wird der massive Ausbau erneuerbarer Energien, eine diversere Lieferstruktur und der Hochlauf von Wasserstoff bedeutsam für die Versorgungssicherheit.“ Der Bund müsse umgehend handeln und das Förderloch für Neubau und Sanierung schnell schließen. Für künftige Änderungen bei den Förderbedingungen sei ein Vorlauf von mindestens 2 Jahren notwendig.

Praxisbeispiele für funktionierende nachhaltige Energieversorgung

Wo Zukunft schon praktisch funktioniert, beweisen Kommunen, die schon frühzeitig ihre urbanen Konzepte überdachten und in Wärmeversorgung aus grüner Energie (Solarthermie, Bioenergie oder Geothermie, die Stromerzeugung auf Photovoltaik, Wind- oder Wasserenergie oder Biomasseheizwerken) investierten.

  • Als erster Ort deutschlandweit darf sich seit 2009 (!) Feldheim im Land Brandenburg energieautark nennen. Hier erzeugen bereits seit 1994 43 Windenergieanlagen im Verbund Strom für den Ort. Außerdem existieren hier eine Biogasanlage und Gewerbeflächen mit Photovoltaik.
  • Die Kleinstadt Wunsiedel in Nordbayern mit einem smarten Energienetz und modernen Speichertechnologien setzt komplett auf erneuerbare Ressourcen und produziert mehr Ökostrom, als sie selbst benötigt. Jetzt baut sie Anlagen, um grünen Wasserstoff zu produzieren. Für Betriebe im Umkreis von 120 Kilometern. Abwärme und Sauerstoff, die bei Elektrolyse von Wasser in Wasserstoff entstehen, kommen ansässigen Industriebetrieben zugute. Für eventuelle Stromausfälle kann Wunsiedel binnen Millisekunden ein Batteriespeicher mit gut 8 Megawatt Leistung nutzen und Ausfälle neutralisieren.
  • Schon heute versorgt sich die brandenburgische Stadt Hennigsdorf mit Wärme aus regenerativen Energieträgern (Biomasse-Heizkraftwerk, Bioerdgas-Blockheizkraftwerk und eine 856 m2 große Solaranlage eines Wohnviertels). Von 1992 bis 2019 investierten die kommunalen Stadtwerke mehr als 80 Mio. EUR in den Bau, die Modernisierung und in die Effizienzsteigerung ihrer Anlagen und setzten dabei sinnvoll Förderungen vom Bund innerhalb des Projekts „Wärmedrehscheibe“ ein.

Wenn sich Deutschland von russischen Energieimporten befreien will, muss im großen Maßstab und rasantem Tempo das gelingen, was im Kleinen schon partiell funktioniert. Sonst muss sich Deutschland demnächst warm anziehen.