Wie der persönliche Verkauf durch die Digitalisierung neuen Schub bekommen kann


Neuer Schub für persönlichen Verkauf durch Digitalisierung?

Trotz – oder wegen? – der Digitalisierung sind goldene Zeiten im persönlichen Verkauf möglich, so die Botschaft von Prof. Lars Binckebanck. Dabei ist die Strategie wichtiger als Technologie. Die digitalen Instrumente helfen dann, die Verkaufs-PS effektiver auf den Boden zu bringen.

Eine Welt im Wandel

„Kein Zweifel, Digitalisierung verändert unsere Welt“, eröffnet Prof. Dr. Lars Binckebanck, Vorstand der NORDAKADEMIE Hochschule für Wirtschaft, seinen Vortrag auf der Fachkonferenz Sales Performance Excellence. In den letzten 20 Jahren hat sich dramatisch etwas geändert. Unternehmen entwickeln mit Erfolg neue digitale Geschäftsmodelle. Waren im Jahr 2000 noch Unternehmen wie Nokia, General Electric und Ford unter den Top-Firmen nach Markenwert, sind es heutzutage Apple, Google und Amazon, die die Liste anführen. Nichts tun ist daher keine Option. Prof. Dr. Binckebanck berichtet über Digitalisierung im Vertrieb und gibt einen Einblick in die Zukunft des persönlichen Verkaufs.

Ist der Vertrieb tot?

Laut Studien werden Verkaufstätigkeiten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 85% automatisiert. Bereits in der Vergangenheit stellte sich mehrmals die Frage, ob Verkäufer überflüssig würden. Dies zeigte sich zum Beispiel während der Einführung des Marketings oder des Internets, als immer wieder systematisch Panik geschürt wurde. Prof. Dr. Binckebanck gibt jedoch im Fall des Vertriebs Entwarnung: Zwar gibt es durchaus viele Anwendungsfälle für problemlose Automatisierung, wie beispielsweise Bankautomaten und Supermarktkassen, welche einfache Aufgaben substituieren. Komplexe Leistungen sind dagegen schwer zu ersetzen und werden in Zukunft Bestand haben. Dazu zählt auch der persönliche Verkauf.

Dennoch rät der Professor zur Vorsicht. Zum einen stehen wir heutzutage vor einer überwältigenden Auswahl an Möglichkeiten. Zum anderen sind wir oft übereifrig in unserer Umsetzung. Beide Phänomene zeigen sich bei vielen Unternehmen, die auf neue Arbeitsweisen setzen und Methoden wie Agile Working, Scrum und Design Thinking anwenden. Dabei werden jedoch nicht selten grundlegende und notwendige Funktionen vernachlässigt, wie zum Beispiel ein gutes CRM-System.

Vier Missverständnisse verzerren Blick auf Digitalisierung

"Kill your business“ darf nicht übertrieben werden.

In seinem Vortrag räumt Prof. Dr. Binckebanck vier wesentliche Missverständnisse der Digitalisierung aus dem Weg.

  1. Disruption kann als wirtschaftlicher Hexenhammer des 21. Jahrhunderts gesehen. Profitable Leistungsprozesse werden aus Angst vor der Disruption in Frage gestellt, womit Unternehmen sich selbst unnötig Schaden zufügen können. Digitale Geschäftsmodelle sollten zwar nicht unterschätzt, aber auch nicht im Sinne von „Kill your Business“ übertrieben werden. „Verkaufen wird doch unter Verwendung neuer Technologien immer interessanter“, so Prof. Dr. Binckebanck. Denn der Fokus liegt auch weiterhin auf dem Kunden, Bedürfnisse müssen verstanden und maßgeschneiderte Lösungen entwickelt werden. „Verkaufen war immer im Wandel – es sind die Kunden, die den Takt vorgeben und nicht die IT.
  2. Zudem wird die Parallelwelt Silicon Valley zu oft unkritisch als Idealvorstellung kolportiert, die nicht ohne Weiteres auf herkömmliche Unternehmen übertragbar ist. In den meisten Unternehmen besteht heute ein „Digital Talent Gap“. Während auf Kongressen über luftige Zukunftsvisionen philosophiert wird, sind Verkäufer in der realen Welt nicht selten bereits zufrieden, wenn Outlook funktioniert und der Beamer das richtige Bild an die Wand wirft. Digitalisierung hat mit Strategie, Mitarbeiterqualifizierung und Change-Management zu tun – und nicht mit dem Nacheifern vermeintlicher Vorbilder.
  3. Digital und analog werden häufig als Gegensätze verstanden anstatt als sich ergänzende Dimensionen. Besonders problematisch ist es, wenn daraus ein Generationenproblem gemacht wird: Hier die hippe Generation Y und dort die alten weißen Männer. Doch „neu“ ist nicht immer gut und „alt“ kann auch bewährt sein. Wie „Sand im Getriebe“ wird gegeneinander statt miteinander gearbeitet. Organisationale Silos müssen daher dringend überwunden werden.
  4. Schließlich wird IT auch gerne als Instrument zur Kostensenkung im Vertrieb gesehen. In diesem Zusammenhang ist die Sichtweise vieler Unternehmen zu oft einseitig auf Effizienz gerichtet. Vielmehr sollten wir uns fragen, wie neue Technologien die Effektivität im Vertrieb erhöhen kann, wie die Kundeninteraktionen mit Hilfe neuer Technologien auf ein höheres Niveau gebracht und Mehrwert generiert wird.

Strategie ist wichtiger als Technologie

Neben diesen Missverständnissen formuliert Prof. Binckebanck aber auch Thesen für die Digitalisierung im Vertrieb. Zum einen sollte Strategie – und nicht IT – als Ausgangspunkt für Digitalisierungsprojekte genommen werden. Dabei können Effektivität und Effizienz als Prozessleitplanken dienen. Zum anderen müssen Silos überwunden und der Vertrieb ganzheitlich konzipiert werden. Führungskräfte sollten zudem als „Transmissionsriemen“ der Digitalisierung fungieren, insbesondere bei der Neuausrichtung der Verkaufsorganisation.

Digitalisierung x 3

Digitalisierung ist grundsätzlich ein unpräziser Begriff, meint Prof. Dr. Binckebanck. Er verweist auf die Unterscheidung im Englischen zwischen „Digitization“ (etwas Analoges digital machen), „Digitalization“ (Prozesse digitalisieren) und „Digital Transformation“ (Geschäftsmodelle transformieren). Digitalisierung bedeutet dabei auch Management paralleler Prozesse. Zum einen wird mit dem Tagesgeschäft im gewohnten Tempo Geld verdient. Zum anderen wird durch Digital Transformation ein Change-Prozess mit deutlich höherer Geschwindigkeit vorangetrieben. Letzteres erfordert neue und ungewohnte Arbeitstechniken und erzeugt nicht selten Widerstände in der Organisation.

Auf der Suche nach Orientierung

Viele Führungskräfte sehen und akzeptieren den Trend der Digitalisierung, sind jedoch nicht annähernd auf die Zukunft vorbereitet. Um Orientierung zu gewinnen, sollten Entscheider IT-Dienstleistern, Verkaufstrainern und auch der üblichen Praxisliteratur mit gesunder kritischer Distanz begegnen. Nicht zu unterschätzen sei hier die Hilfestellung durch die Wissenschaft. Laut Prof. Binckebanck eignen sich insbesondere Vertriebsmodelle, um sich auf das wirklich Wichtige im Digitalisierungsprozess zu konzentrieren. Dabei können auf Basis der richtigen Strategie und mit Hilfe von gezielter Konzeption und Umsetzung bestimmte Vertriebsergebnisse erreicht werden.

Aufgrund verschiedener Veränderungen im Wettbewerbsumfeld (z.B. Globalisierung und Digitalisierung) müssen Verkaufsstrategien hinsichtlich Preis und Qualität angepasst werden. Wenn es Verkäufern beispielsweise gelingt, die Mindestanforderungen des Kunden an die technischen Spezifikationen des Produkts zu erhöhen, können auch qualitativ hochwertigere und damit teurere Produkte verkauft werden. In der Konzeption von solchen Strategien ist es wichtig, dass das Marketing und der Vertriebsinnen- als auch -außendienst miteinander verzahnt werden.

Bei der Umsetzung von neuen Verkaufsstrategien spielen Veränderungen im organisatorischen Einkaufsverhalten eine wichtige Rolle. Früher lag der Ansatzpunkt des persönlichen Verkaufs bei der Informationsbeschaffung des Kunden. Heute liegt er bei den Ausschreibungen und Verhandlungen. Zukünftig sollten Verkäufer jedoch bereits bei der Identifikation des Bedarfs ansetzen. Dies erfordert eine deutliche Repositionierung des Verkaufs und der Präsenz beim Kunden.

Digital (Sales) Leadership

Das erfolgreiche Management paralleler Prozesse, unterschiedlicher Geschwindigkeiten und operativer Veränderungswiderstände durch Führungskräfte als Dreh- und Angelpunkt bei Veränderungsprojekten wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor für die digitale Transformation von Verkaufsorganisationen. Es braucht demnach eine neue Form von Führung, die bewährte Führungskonzepte mit den neuen Werten und Erfolgsmodellen aus der digitalen Welt zu kombinieren in der Lage ist – also Digital Sales Leadership. Demnach müssen Führungskräfte neue Technologien als Ansatzpunkt zur Generierung strategischer Wettbewerbsvorteile im und durch den Verkauf betrachten. Gleichzeitig müssen sie digitale Technologien zur Erhöhung der internen Prozesseffizienz nutzen. Und schließlich müssen Führungskräfte unternehmensspezifisch nach der optimalen Balance aus digitalen und menschlichen Elementen zur Optimierung der Kommunikation mit Anspruchsgruppen suchen.

Ziel von Digital Sales Leadership ist es, die klassischen Stärken des Verkaufs, wie Kundenorientierung, Interaktionsqualität und Beziehungsmanagement, zu bewahren, sie stärker strategisch in die gesamtunternehmerische Strategie einzubringen und sie optimal mit digitalen Technologien zu verknüpfen. Die Auflösung von Online- und Offline-Denkschablonen ermöglicht neue bzw. bessere Kundenerlebnisse. Neue Technologien sind vor diesem Hintergrund letztlich nichts anderes als Medien für eine fundamentale digitale Transformation des Verkaufs.

Wir leben in einer analogen Welt, schmeißen Sie deswegen nicht alles zugunsten digitaler Lösungen über Bord.

Jedes Unternehmen muss mit Blick auf das externe Marktumfeld und die internen Kernkompetenzen herausfinden, wo sein Optimum zwischen analog und digital liegt. „Wir leben in einer analogen Welt, schmeißen Sie deswegen nicht alles zugunsten digitaler Lösungen über Bord“, ermutigt Prof. Dr. Binckebanck. Probleme sollten verstanden und passende Lösungen gefunden werden. Die Antwort muss nicht immer Digitalisierung sein.

Was die Zukunft des Vertriebs betrifft, so sind goldene Zeiten für den persönlichen Verkauf möglich. „Nicht automatisch. Aber wenn wir die Dinge richtig machen, dann sehr wohl.“

Schlagworte zum Thema:  Vertriebsmanagement, Digitalisierung, Marketing