Long-Covid: Mit dem „Hamburger Modell“ zurück in den Job
Laut Schätzungen der WHO können bei etwa bei jedem zehnten Patienten, der sich mit Corona infiziert hat, sogenannte Long-Covid-Folgen auftreten. Das heißt Betroffene fallen im Beruf aus und müssen auch im Alltag kürzertreten. Dabei ist die Liste möglicher Beschwerden lang. Von Kopfschmerzen, Erschöpfung, chronischer Husten, Bauch- und Muskelschmerzen oder Depressionen ist alles dabei.
Betroffene und Ausfallzeiten
Die meisten Long-Covid-Patienten sind Erwachsene. Es kommen aber immer mehr Kinder und Jugendlichen dazu. Laut der „Smartphone-App-Studie“ des Paul-Ehrlich-Instituts dauern bei 13 Prozent der Betroffenen die Symptome bis zu 28 Tage an, bei 5 Prozent bis zu zwei Monate und bei 2 Prozent bis zu drei Monate. Auch ein milder Verlauf einer Corona-Infektion schließt Long Covid nicht aus. Studien deuten allerdings darauf hin, dass die Corona-Impfungen auch das Risiko für diese Langzeiterkrankung reduzieren. Einige Long-Covid-Patienten müssen sich auch klinisch behandeln lassen. Sie fallen daher im Job erstmal aus. Laut einer Mitteilung der Techniker Krankenkasse sind das im Schnitt 105 Tage. In der Regel bleiben Betroffene drei Monate lang in stationärer Behandlung bzw. in einer Tagesklinik.
Hamburger Modell
Die Rückkehr in den Job bei einer Wiedereingliederung zieht sich oft über ein Dreivierteljahr hin, manchmal sogar mehr. Das für die Wiedereingliederung genutzte Verfahren ist das sogenannte „Hamburger Modell“. Dieses läuft nach einem Wiedereingliederungsplan ab, bei der die Arbeitsstunden und die Arbeitstätigkeiten schrittweise gesteigert werden. In der ersten Phase, die vier bis acht Wochen dauert, kehren die Arbeitnehmer zunächst für einen oder zwei Tage in der Woche in den Beruf zurück. In dieser Zeit sind sie weiterhin krankgeschrieben und erhalten Krankengeld von ihrer Krankenversicherung. Danach steigert sich die Zeit am Arbeitsplatz sukzessive.
Gefahr von Rückschlägen
Während der gesamten Wiedereingliederung werden die Patienten von einem medizinischen Team betreut. Das sei laut Experten wichtig, denn viele Beschäftigte überschätzen sich und nach wenigen Wochen kann dann ein Rückschlag mit Schlafstörungen, Bluthochdruck oder Kopfschmerzen erfolgen. Wichtig sei es deshalb Kraftreserven einzuteilen und darauf zu achten, genügend Pausen zu machen.
Rechtslage
Die Eingliederung durch das „Hamburger Modell“ ist eigentlich nur eine „Kann-Leistung“ des Arbeitgebers. Gesetzlich verpflichtet ist er nur, wenn schwerbehinderte Menschen in ihren Job reintegriert werden sollen. In der Regel kann aber also eine Wiedereingliederung gegen den Willen des Arbeitgebers nicht durchgesetzt werden. Allerdings gibt es hierzu widersprüchliche richterliche Entscheidungen. So urteilte 2013 das Landesarbeitsgericht Hamm, dass Arbeitgeber Beschäftigte nach einer langen Krankheit schrittweise wieder an die bisherige Tätigkeit heranführen müssen. Arbeitgeber seien grundsätzlich verpflichtet, so die Auffassung der Richter, einer durch ein ärztliches Attest vorgeschlagenen stufenweisen Eingliederung nachzukommen. Das gelte vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat.
-
Wiedereingliederung - was ist zu beachten?
5.7671
-
Bildschirmbrille: Fragen und Antworten
3.935
-
Arbeitsmedizinische Vorsorge: Pflicht oder freiwillig?
2.985
-
Dürfen Mitarbeiter frei bestimmen, wie sie ihre Pause verbringen?
1.153
-
Was tun, wenn der Frosch nicht verschwinden will
1.147
-
Arbeitsstättenverordnung: Wann ist ein Pausenraum Pflicht?
922
-
Wutausbrüchen am Arbeitsplatz souverän begegnen
595
-
Nach Corona-Erkrankung zurück an den Arbeitsplatz
479
-
Gefahr durch Epoxidharz wird unterschätzt
475
-
Nachtschichtuntauglichkeit: Wenn ein Mitarbeiter nicht mehr nachts arbeiten darf
433
-
Erfolgreiche Wege für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz: Eine Strategie für Unternehmen
29.10.2024
-
Reduzierung von Arbeitsintensität: Was können die Betriebe machen?
23.10.2024
-
Growth Mindset: So entfalten Sie das Potential Ihrer Beschäftigten
22.10.2024
-
Gefahr durch Epoxidharz wird unterschätzt
21.10.2024
-
ASR A3.5: Ab wann ist die Raumtemperatur am Arbeitsplatz zu kalt?
14.10.2024
-
Beispiele guter Gesundheitsförderung: Diese Maßnahmen wirken
09.10.2024
-
Organisationsentwicklung vs. Betriebliches Gesundheitsmanagement
01.10.2024
-
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz im BGM und BEM – Chancen und Risiken
24.09.2024
-
Effektive Maßnahmen zur Reduzierung psychischer Belastungen im Betrieb
17.09.2024
-
Defibrillatoren können Leben retten, aber Betriebe müssen keine haben
13.09.2024
Leider wird mit keiner Silbe erwähnt, dass eine Eingliederung -auch nach Hamburger Modell- nur für Leichtbetroffene überhaupt in Frage kommt.
Sobald zu den Symptomen auch die sogenannte Post-Exertional-Malaise (PEM) hinzukommt (und das betrifft ein Gros der Betroffenen!), wird jeder Versuch, sich wieder mehr zu betätigen, kläglich scheitern, sogar Verschlechterungen nach sich ziehen.
Ich spreche leider aus eigener Erfahrung, bin mit meinen 27 Jahren, vormals extrem aktiv, auch beruflich, inzwischen bettlägerig dank Long-COVID mit PEM (=deckungsgleich mit ME/CFS, der schwersten Form von LC). Ich bin kein Einzelfall, das weiß ich nicht nur aus Selbsthilfegruppen, sondern weil ich mich notgedrungen intensiv mit der aktuellen Forschung auseinandersetze. Sollten Sie daran Interesse haben, Ihren nächsten Artikel um enorm wichtige Sichtweisen zu erweitern, empfehle ich Ihnen bspw. Kontakt zum CFC der Charité oder zur DG ME/CFS aufzunehmen.