„Wir wollen negative Emissionen nicht über alles stellen“
Herr Schlosser, was sind negative Emissionen und warum nennen Sie das so?
Stefan Schlosser: Wir werden häufiger gefragt, ob diese Begriffswahl so glücklich ist, weil das Ganze negative Assoziationen wecken könnte. Der englische Begriff Carbon Dioxide Removal (CDR) ist vielleicht etwas treffender. Und doch erklären negative Emissionen sehr gut, worum es uns geht: Wir wollen Emissionen, die in die Luft gegangen sind, wieder umkehren. Indem wir CO2 aus der Luft entnehmen.
Negative Emissionen/ Carbon Dioxide Removal (CDR) Klimaneutralität und die Stabilisierung der Temperatur erfordern inzwischen mehr als ambitionierte Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen (Weltklimarat). Es geht also auch verstärkt darum, CO2-Emissionen der Atmosphäre zu entziehen und einzulagern. Das soll den nicht vermeidbaren Restemissionen entgegenwirken, die zum Beispiel in der Landwirtschaft entstehen. „Negative Emissionen“ können beispielsweise durch Aufforstung erzeugt werden. Aber auch eine Reihe anderer natürlicher und technischer Verfahren helfen, den entnommenen Kohlenstoff dauerhaft einzulagern und von der Atmosphäre fernzuhalten. |
Die Bundesregierung und negative Emissionen: Wird es ernst?
Die Bundesregierung will negative Emissionen zu einem Instrument der Klimapolitik machen. Bundesumweltminister Carsten Schneider arbeitet an einer Langfriststrategie für Negativemissionen. Wie bewerten Sie diese Pläne?
Wir sind mit den Entwicklungen zufrieden. Zum einen gibt es die Langfriststrategie für Negativemissionen vom Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Zum anderen hat das Bundeswirtschaftsministerium das Kohlenstoffdioxid-Speicher- und Transportgesetz (KSpTG) in die Verbändeanhörung gebracht. Außerdem hat die Bundesregierung einen Regierungsentwurf für den Nachtragshaushalt für 2025 vorgelegt. Dieser beinhaltet neben Forschungsinvestitionen in negative Emissionen auch einen Titel für die Skalierung. Das alles zeigt: Die Bundesregierung meint es mit negativen Emissionen ernst, sie will diese fördern und skalieren.
Vor welchen Hürden stehen Sie, um CDR in Deutschland umzusetzen?
Negative Emissionen – manche Methoden jedenfalls – sind bisher eher teuer. Eine Verringerung des Preises wäre in den nächsten Jahren daher besonders wichtig. Ich bin allerdings optimistisch, weil aktuelle Forschung erkennen lässt: Eine Senkung der Preise ist möglich und negative Emissionen könnten dadurch markt- und wettbewerbsfähig werden. Nicht zuletzt muss die Bevölkerung verstehen, was negative Emissionen sind und wieso wir sie brauchen, um die Pariser Klimaziele erfüllen zu können.
Carbon Dioxide Removal zwischen Natur und Technologie
Über welche Verfahren für negative Emissionen sprechen wir überhaupt?
Carbon Dioxide Removal ist ein breites Feld, hinter dem viele Methoden stecken. Zu den naturbasierten Verfahren gehört etwa die Aufforstung, bei der es darum geht, das Wachstum von Biomasse für die Speicherung von CO2 zu nutzen. Zu den hochtechnischen Verfahren gehört Direct Air Capture (DAC): CO2 soll maschinell direkt aus der Luft gefiltert und gespeichert werden. Auch dazwischen gibt es eine große Bandbreite: Bei Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS) wird Biomasse bei ihrer energetischen Verwertung so eingesetzt, dass das CO2 abgeschieden wird. Oder Biochar Carbon Removal (BCR), also Pflanzenkohle: Hier werden Pflanzenreste pyrolysiert und dadurch eine Kohle erzeugt, die dauerhaft CO2 bindet und speichert.
Welche Nachteile haben solche Verfahren?
Auf der naturbasierten Seite ist die Aufforstung eher kostengünstig, hat allerdings Schwächen hinsichtlich des Flächenbedarfs und der Permanenz. Bäume sterben irgendwann oder sie werden abgeholzt. Das kann man jedoch ausgleichen, in dem man beispielsweise Rücklagen bildet und nicht alle Removal-Zertifikate, die durch einen Baum produziert werden, in den Markt gibt. Auf der technischen Seite gibt es auch Nachteile beim Direct Air Capture, was wenig Fläche, dafür aber viel Energie braucht und aktuell auch noch teuer ist.
Negative Emissionen: Kein Ersatz und keine Ausrede
Carbon Dioxide Removal kann nicht als Ersatz für einschneidende Emissionsreduzierungen dienen, betont der Weltklimarat. Wie sehen Sie das?
Ich teile diese Ansicht uneingeschränkt. Die Reduktion von Emissionen bleibt die oberste Priorität. Und negative Emissionen sollten nur dort verwendet werden, wo sich nichts reduzieren lässt. So im Bereich der schwer vermeidbaren Restemissionen, die allerdings einen großen Anteil bilden. Der Weltklimarat geht davon aus, dass wir global bis 2050 jährlich zehn Gigatonnen negative Emissionen brauchen. Negative Emissionen werden also wesentlich, selbst wenn wir ambitioniert reduzieren. Hinsichtlich des Netto-Null-Ziels sind wir dafür, nicht nur den Ausstoß mit dem Removal zu verrechnen, sondern separate Ziele sowohl für die Reduktion als auch für die Removals festzulegen. So sorgen wir dafür, dass der ambitionierte Reduktionspfad weiterhin verfolgt wird und der Hochlauf negativer Emissionen zusätzliche Entlastung bringt.
Die Entwicklung von CDR könnte laut Kritikern auf Kosten des Globalen Südens voranschreiten, etwa durch Land Grabbing, Outsourcing oder technologischen Abhängigkeiten. Wie sehen Sie das?
Erstens sollten wir einen Großteil der negativen Emissionen im Inland erbringen. Das hat einen moralischen Grund, schließlich wollen wir unseren Müll nicht von anderen aufräumen lassen. Außerdem wollen wir verstehen, wie diese Verfahren funktionieren, welche Stärken und Schwächen sie haben und wie wir dadurch Wertschöpfung generieren können. Darin steckt also auch eine große wirtschaftliche Chance. Zweitens sollten wir in Zukunft einen Teil der Removals aus dem Ausland einkaufen. Manche Verfahren sind dort deutlich günstiger, Biomasse wächst etwa im Globalen Süden schneller als hier. Direct Air Capture ist energieintensiv und erneuerbare Energien stehen auch in anderen Teilen der Welt günstiger zur Verfügung. Vor diesen Tatsachen können wir uns nicht verschließen, denn wir tragen eine Verantwortung, wirtschaftlich zu handeln, international Standards zu setzen und aktiv am Markt teilzunehmen. Drittens gibt es deutsche Unternehmen, die Technologie ins Ausland exportieren wollen. Auch dafür sollte sich Deutschland am internationalen Handel mit Zertifikaten beteiligen.
Wie wollen Sie mögliche Nachteile für den Globalen Süden verhindern?
Hier brauchen wir ein gutes Monitoring und Verification (MRV). Und dafür benötigen wir gute Standards, die auch soziale Komponenten beachten. In diesem Bereich ist allerdings noch einiges zu tun. Wir haben nämlich in der globalen Community noch nicht bis ins Detail definiert, wie diese Standards aussehen müssten. Aber: Zum einen entwickelt die EU-Kommission mit der EU Carbon Removals and Carbon Farming Certification (CRCF) Regulation eigene Standards, zum anderen gibt es gute private Standardisierer.
Ein breites Portfolio für den Klimaschutz
Wie gewährleisten Sie die Glaubwürdigkeit und Nachprüfbarkeit von Negativemissionen, die Ihre Mitgliedsunternehmen generieren?
Was in Vergangenheit in Verruf geraten ist, waren ja keine Removal-Zertifikate, sondern zwei andere Zertifikatstypen – Reduction und Avoidance – die mit einigen Herausforderungen verbunden sind. Wie will ich nachweisen, dass ein Wald nur deshalb nicht abgeholzt wird, weil jemand Zertifikate gekauft hat? Anders ist es bei Removals, weil wir aktiv investieren müssen, um CO2 zu entnehmen. Es lässt sich einfacher nachweisen, dass investiertes Geld in eine Removal-Leistung geflossen ist. Zudem lässt sich bei vielen dieser Aktivitäten genauer nachweisen, wie viel Kohlenstoff tatsächlich gebunden wurde.
Wie lässt sich so etwas nachweisen?
Das möchte ich anhand eines unserer Mitgliedsunternehmen zeigen: OCELL aus München fliegt über Wälder und wertet mit einer Software aus, welche Baumarten es dort gibt, wie groß die Bäume sind, welchen Stammdurchmesser sie haben und wieviel CO2 sie speichern. Aber auch hier müssen wir Standards bauen, die Gesetzgeber müssen konkrete Anforderungen formulieren und es braucht unabhängige Prüfinstanzen.
Welche Ziele verfolgt Ihr Verband in Zukunft?
Die Technologien sind bereits vorhanden. Nun wollen wir negative Emissionen zu einem anerkannten Baustein in der globalen und deutschen Klimapolitik machen, der auch für viele Unternehmen wichtig sein wird. Dabei wollen wir aber ehrlich bleiben und negative Emissionen nicht über alles stellen, sondern klar kommunizieren, dass Reduktion weiterhin extrem wichtig bleibt. Wir wollen nicht einzelne Methoden gegeneinander ausspielen, sondern zu einem breiten Portfolio an Methoden beitragen. So können alle ihre Stärken zusammenbringen.
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