Interview Christoph Soukup über Kreislaufwirtschaft

Langlebigkeit, Right to Repair, Recycling: Das EU-Parlament spricht mit den EU-Regierungen über die Ökodesignverordnung. Ein Interview mit Dr. Christoph Soukup über Kreislaufwirtschaft, das kommende EU-Gesetz und warum Unternehmen besser schon jetzt in Kreisläufen denken.

Dr. Christoph Soukup ist Wirtschaftswissenschaftler und Experte für Change Management. Er ist Gründer und Leiter des Steinbeis Beratungszentrum Circular Economy und hat den Do & Think-Tank materialkreislauf. aufgebaut. Außerdem hostet er den Podcast #MüllistMist und ist für den Veranstaltungsbereich (Messen und Events) Partner der Agentur für Nachhaltigkeit 2bdifferent.

Herr Soukup, lassen Sie uns mal bei null anfangen. Was bedeutet Nachhaltigkeit und was nicht?

Christoph Soukup: Der Kammer- und Bergrat Hans Carl von Carlowitz überlegte zu Beginn des 18. Jahrhunderts, wie man dauerhaft Erz abbaut, ohne die Wälder für das Feuerholz kahl zu schlagen. Nachhalten bedeutet demnach, Dinge so zu tun, dass wir sie ewig oder sehr lange weitermachen können. Wer einen Marathon gelaufen ist, kennt das: Ich fange nicht schnell an, um am Ende immer langsamer zu werden, sondern versuche, die Geschwindigkeit über die gesamte Distanz zu halten. Wir sollten nicht so vorgehen, dass wir in zwei oder drei Generationen an klimatische oder Ressourcengrenzen stoßen. Auch in der Wirtschaft diskutieren wir, welche Geschwindigkeit mehrere Generationen durchhalten und wie sie Bedarfe decken. Im Ideal können spätere Generationen so wirtschaften wie wir.

Kreislaufwirtschaft: Unternehmen tragen mehr Verantwortung

Und genau da setzt die Kreislaufwirtschaft an?

In der Kreislaufwirtschaft sprechen wir nicht vom Ende des Lebens (End of Life) eines Produkts oder von der Wiege zum Grab (Cradle to Grave). Wir denken in Kreisläufen und wollen Kreisläufe schließen, um ein Produkt ausschließlich mit der Nutzung nach der Nutzung (End of Use) im Hinterkopf entwickeln. In Zukunft bleiben Hersteller vielleicht immer Eigentümer des Produkts, nur der Besitz wechselt. Im Sinne der erweiterten Produzentenverantwortung (Extended Producer Responsibility), behalten Produzenten die Verantwortung für das, was sie in Umlauf bringen. Menschen können ein Produkt nach der Nutzung wieder zurückgeben und der Hersteller sorgt dafür, dass das Produkt anders weiter genutzt wird. Sobald das etabliert ist, geht man an die Entwicklung von Produkten anders heran. Das hat transformative Kraft und verändert Geschäftsmodelle. Und doch tun das heute nur wenige Unternehmen. Vielleicht befürchten sie, bestimmte Produkte am Ende gar nicht mehr zu verkaufen. Der Einstieg ist allerdings nicht so schwer, weil diese Prinzipien jedem schnell einleuchten.

Woran können wir festmachen, ob ein Produkt nachhaltig oder nachhaltig designed ist?

Immer dann lohnt sich ein kritischer Blick, wenn jemand vermitteln will, dass sein Produkt durch und durch nachhaltig ist.

Immer dann lohnt sich ein kritischer Blick, wenn jemand vermitteln will, dass sein Produkt durch und durch nachhaltig ist. Nachhaltigkeit ist ein Weg und eine Haltung, um Prozesse, Produkte und Dienstleistungen zu gestalten. Zum einen geht es um Kreislauffähigkeit und die sortenreine Trennung von Materialien: Zum Beispiel hat sich Tetrapack als nachhaltiges Verpackungsprinzip etabliert. Dahinter steckt jedoch ein Verbundmaterial aus Karton, Alufolie und Kunststoff, was ich nie wieder trennen kann. Zwar wird das für thermische Nutzung effizient verbrannt, aber das ist einmalig, hinterlässt bis zu 30 Prozent Schlacken und führt zur Produktion von CO2. Das Prinzip des Kreislaufs ist damit nicht gegeben. Zum anderen geht es um Materialgesundheit. Wir schauen noch zu wenig darauf, ob Stoffe aus einer biologischen Quelle stammen und ob Produkte giftfrei sind. Zum Beispiel bedrucken wir Papier mit Farben, in denen fast immer Gift drinsteckt. Diese Komponenten stecken meist im Binde- und Lösungsmittel, einer Beschichtung oder in den Farben selbst. So etwas können wir nicht in der Umwelt verrotten lassen. Zwar wurden alle diese Stoffe irgendwann einmal der Umwelt entnommen, aber die Konzentration der Materialien sowie die Kontaminierung, etwa des Grundwassers, ist problematisch.

Eine wesentliche Rolle spielt auch die Herkunft eines Materials. Wie kann man das überprüfen?

Laut dem Österreichischen Umweltbundesamt sind Sekundärmaterialien von vor Ort gegenüber denen von weiter weg sowie Sekundärmaterialien gegenüber Neumaterialien vorzuziehen. Es bedeutet viel Aufwand, herauszufinden, wie viel Rezyklat, also Wiederverwendung, in einem Produkt steckt. Den einzelnen Konsumenten können wir das nicht zuzumuten. Eine große Verantwortung für die Transparenz tragen daher auch Unternehmen. Wir könnten heute auf jedes Produkt eine CO2-Angabe kleben und zeigen, wieviel CO2 ein Produkt in der Herstellung freisetzt. Manche Hersteller tun das bereits. Unternehmen können so transparent machen, wo sie stehen und wo es noch schwierig ist. Das ist immer ein Hinweis darauf, dass es jemand ernst meint. Außerdem kann man sich bei Datenbanken wie der des Cradle-to-Cradle Produktinnovationsinstituts in Amsterdam informieren. Nicht zuletzt gibt es – aufwändige und teure – Zertifizierungen wie Cradle to Cradle, die viel Wert auf Materialgesundheit sowie auf Kriterien wie Klimaverträglichkeit, Kreislauffähigkeit, soziale Arbeitsbedingungen und Bodennutzung legen.

EU-Ökodesignverordnung: ambitioniert, aber zu langsam

Das EU-Parlament spricht mit den Regierungen über die Ökodesignverordnung. Was ist geplant?

Die bisherige Verordnung bezieht sich nur auf wenige Produkte im Bereich Elektronik. Nun werden Gültigkeit und Regelungen ausgeweitet. Es geht um Langlebigkeit sowie um das Right to Repair, also Möglichkeiten und das Recht, Dinge reparieren zu lassen. Dazu gehören Submaßnahmen wie Reparaturgutscheine, die es schon in manchen europäischen Ländern gibt. 80 bis 85 Prozent der Umweltauswirkungen eines Produktes werden in der Entwicklung festgelegt. Die Ökodesignverordnung legt zukünftig auch Recyclingeinsatzquoten für Produkte fest, wie einen Recyclinganteil von 25 Prozent im Automobilbereich, wo dann hochwertige technische Recyclate etwa für Autocockpits verwendet werden. Ein Material mit Vorleben wird wieder zu einem Produkt, ohne Einsatz eines frischen Materials. Die Ökodesignverordnung regelt auch den digitalen Produktpass. Wir kennen das aus dem Lebensmittelbereich, wo jedes Produkt eine Zutatenliste hat. Warum soll es das nicht für jedes technische Produkt auch geben? Der digitale Produktpass listet in einem digitalen Zwilling alle Materialien auf und zeigt, wie sie miteinander verbaut sind. Solche hochwertigen, höchst technischen Materialien und Produkte wollen wir nach der ersten Nutzung ernten und bestmöglich wieder einsetzen. 

Wie finden Sie die Pläne der Europäischen Union?

Das alles ist sehr gut und wichtig. Diese EU-Prozesse sind aufgrund der komplexen Abstimmung allerdings sehr langwierig. Über Monate und Jahre wird bereits in der laufenden Konsultation ein gemeinsamer Nenner gesucht. Sobald eine Entscheidung durch alle Gremien gegangen ist, gibt es immer noch Übergangsfristen, damit sich Europa und seine Industrie darauf einstellen können. Andere Experten und ich sind uns einig: Das ist zu langsam. Wenn wir den Prozess durchdenken, sind wir fast im Jahr 2030 angekommen, wenn wir schon die Hälfte der Klimaaufgaben gemacht haben wollen. Die gewünschten Effekte greifen erst für Produkte, die dann entwickelt werden. Wir wollen daher im Vorfeld solche Pioniere erreichen, die nicht erst auf eine Regulierung warten, sondern schon jetzt loslegen wollen.

Christoph Soukup

Gibt es Gegenwind gegenüber dem Vorhaben?

Das lang umkämpfte „Right to Repair“ wurde von Unternehmen massiv behindert. Ein US-Konzern hat Reparaturbetriebe in seiner Suchmaschine gezielt nicht gelistet. Ein anderer Konzern bot keine Ersatzteile an und ging mit zahlreichen Anwälten gegen Klagen vor. Die großen Konzerne wollten Zeit gewinnen, denn das Umsteuern dauert. Es gibt auch Kipppunkte, wenn die Regulatorik ihre Schatten vorauswirft und Unternehmen umsteuern müssen. Zum Beispiel wird das neue iPhone 15 eine USBC-Ladebuchse haben, was Apple als Errungenschaft verkaufen wird. Wer sich näher damit beschäftigt, weiß jedoch, dass die USBC-Ladebuchse ab Mitte nächsten Jahres ohnehin zur Pflicht in Europa wird. Apple und Samsung führen jetzt Reparaturdienste ein, bevor das Right to Repair umgesetzt wird. Konzerne machen so etwas scheinbar freiwillig, bevor die Pflicht kommt, und nutzen das als Werbeargument. 

Nachhaltiges Wirtschaften: Weniger Vorbilder, mehr Work in Progress

Können Regularien und Gesetze also genug Druck auf Produzenten ausüben?

Allein der Verweis auf die Politik reicht nicht, denn sie macht immer nur das, was praktisch umsetzbar ist.

Allein der Verweis auf die Politik reicht nicht, denn sie macht immer nur das, was praktisch umsetzbar ist. Wenn Unternehmen an einer bestimmten Stelle sind, dann wird die Politik nur den nächsten Schritt gehen. Wenn aber ein paar Pioniere schon etwas weiter sind, dann lässt sich das Spiel weitertreiben. Das ist ein wechselseitiger Prozess. Es gibt immer eine Welle vor der Welle. Zum Beispiel rückt Nachhaltigkeit durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) immer mehr ins Bewusstsein, nicht nur von Nachhaltigkeitsverantwortlichen, sondern auch von Geschäftsführenden in großen wie kleineren Betrieben. Es werden Auswirkungen in Betrieben erwartet, die zwar keine unmittelbare Betroffenheit haben, aber Unternehmen beliefern, die wiederum direkt betroffen sind. Diese werden nämlich auch bei ihren Lieferenten den aktuellen Stand bei der CO2-Vermeidung oder bei den Sozialstandards in den Lieferketten anfragen. 

Lohnt es sich für Unternehmen, schon jetzt zu handeln?

Ein klares Ja! Erstens lässt sich das gut verkaufen. Wer konsequente und glaubwürdige Schritte zu messbarer Nachhaltigkeit unternimmt, ist unter den Pionieren. Dieser unschätzbare kommunikative Vorteil wird noch größer, wenn man klar macht: Ich bin kein Vorbild und habe nicht alles richtig gemacht, sondern mache mich einfach auf den Weg. Zweitens helfen solche Bemühungen, das Geschäftsmodell langfristig resilient und zukunftssicher, also enkeltauglich, zu machen. Wenn man den eigenen Ressourcenverbrauch so moduliert, dass man weniger verbraucht, als die Erde zur Verfügung stellt, fördert das die Langfristigkeit des Geschäfts. Drittens lässt es sich vor der Welle entspannter und besonnener fahren. Mitten in der Welle wird man viel eher umhergespült und weiß nicht, wo unten und oben ist. Zumindest im menschlichen Maß, haben wir Sonne und Wind sowie erneuerbare Energien im Überfluss. Alles, was nachwächst, kommt jedes Jahr wieder, wenn wir unsere Böden gut aufbauen und regenerativ stärken. Es ist wie bei einer Stiftung, wo man von den Erträgen, nie von der Substanz wirtschaftet. Das ist die eigentliche Kunst, dahin wollen wir als Volkswirtschaft kommen.

Wie stellen Sie sich die Zukunft vor?

Wir sind nur zu Gast auf der Erde. Wie eine große Bibliothek stellt sie uns etwas leihweise zur Verfügung. Natürlich darf ich mir etwas ausborgen, ich muss es aber auch pfleglich behandeln und in einem ordentlichen Zustand zurückbringen. Und wir werden merken, dass wir von unserem alten Leben viel weglassen können. Es wird trotzdem ein gutes Leben sein. Damit wenden wir die Verzichtsdebatte in eine andere Richtung: Ein freieres Leben mit weniger Ballast. Weniger Dinge, aber nicht weniger Nutzung.

Ein freieres Leben mit weniger Ballast. Weniger Dinge, aber nicht weniger Nutzung.

Ob wir wollen oder nicht, wir werden mehr teilen und unsere Nachbarn besser kennenlernen. Wir werden uns mehr draußen aufhalten, mehr Begegnungen im sozialen Raum haben sowie mehr Freude und Leichtigkeit ins Leben bringen. So zumindest meine Vision.

Schlagworte zum Thema:  Kreislaufwirtschaft, EU-Parlament, Nachhaltigkeit