CO2-Zertifikate-Handel in der Kritik

Gleich mehrere Presserecherchen haben das Vertrauen in Zertifikate für den freiwilligen Ausgleich von Treibhausgas-Emissionen erschüttert. Für Unternehmen bedeutet das: noch genauer hinzusehen, wenn sie Zertifikate erwerben – und unbedingt die Kommunikation dazu zu überprüfen.

Der freiwillige Ausgleich von Treibhausgas-Emissionen mithilfe von Zertifikaten ist in den vergangenen Wochen einmal mehr in die Kritik geraten: Eine Recherche von ZEIT und The Guardian legt nahe, 90 Prozent der von Verra für die Kompensation ausgelobten Waldschutzprojekte könnten wirkungslos sein.

Die US-Organisation Verra ist führend bei der Vergabe von CO2-Zertifikaten, ihr „Verified Carbon Standard“ (VCS) galt bislang als Qualitätsnachweis. Nun sind die kritisierten Zertifikate für den Waldschutz ohnehin schon lange umstritten. Das Wirtschaftsministerium erklärt gegenüber der ZEIT: „Waldschutzzertifikate sind grundsätzlich klimapolitisch fraglich. Sie repräsentieren keine zusätzlich erreichten Minderungsbeiträge, sondern spekulieren auf vermiedene Emissionen.“ Zertifikate werden also in diesen Fällen dafür verkauft, dass Wälder nicht abgeholzt werden. Die CO2-Emissions-Ersparnis ist damit hypothetisch.

So weit, so schlecht. Kurz nach der Recherche zu Verra berichtet die Wirtschaftswoche über offenbar unwirksame Klimazertifikate – von der UN vermittelt. Die Glaubwürdigkeit des Zertifikate-Handels gerät mit jedem weiteren Skandal ins Wanken. Verbraucherschützer fordern schon seit längerem, Labels wie „klimaneutral“, „klimapositiv“ oder „CO2-neutral“ wegen Irreführung der Verbraucher ein für allemal zu verbieten.

Zertifikatehandel: Ein boomender – undurchsichtiger – Markt

Die Folge für Unternehmen, die ihre Treibhausgasemissionen über Zertifikate ausgleichen? Sie müssen spätestens jetzt einen sehr genauen Blick darauf werfen, ob die von ihnen unterstützten Projekte tatsächlich valide sind. Das wird ihnen nicht leicht gemacht. Der Handel mit Klimaschutzzertifikaten ist intransparent und nicht reguliert.

Dabei erfreute er sich bislang zunehmender Beliebtheit. Seit 2017 folgt ein Rekordjahr auf das nächste, heißt es im Infopapier zur Marktanalyse Freiwillige Kompensation 2021, herausgegeben vom Umweltbundesamt.

Im Jahr 2020 habe die Angebotsseite in Deutschland insgesamt 43,6 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalente in Form von Zertifikaten verkauft und stillgelegt. Dabei rangierten Projekte rund um Erneuerbare Energien auf der Beliebtheitsskala auf Platz eins, gefolgt von Wald- und Forstwirtschaftsprojekten.

Nicht nur der Zertifikateverkauf wächst schwunghaft: „Es lässt sich die Tendenz feststellen, dass die Angebotsseite ihr Geschäftsmodell sukzessive ausweitet. So werden neben dem Handel mit Zertifikaten zunehmend Beratungsdienstleistungen rund um das Thema Strategieentwicklung (Kompensation, Klima und Nachhaltigkeit) und deren Einbetten, in beispielsweise Unternehmen, angeboten“, ist im Infopapier nachzulesen.

Mit der Kritik an den Zertifikaten geraten auch die Label-Anbieter unter Druck, also beispielsweise ClimatePartner, Myclimate oder Carbon Trust. Deren Geschäftsmodell beruht darauf, Zertifikate an Unternehmen zu vermitteln, die dafür dann beispielsweise ein „klimaneutral“-Label verwenden dürfen. Ein Sprecher von ClimatePartner sagt: „Vertrauen ist die Währung für Siegel. Wir werden das Thema bei uns anpacken.“ Man habe Verra zu einer Stellungnahme aufgefordert und eine Taskforce gegründet, um Maßnahmen zu entwickeln mit denen sich Projekte künftig besser validieren lassen. Angesichts der öffentlichen Debatte sollten die Unternehmen nun zunächst prüfen, welche Zertifikate sie haben und ob ihre Kommunikation dazu stimmt, so sein Tipp.

Neue Standards in Sicht

Um das Glaubwürdigkeitsproblem des Marktes kümmern sich mehr und mehr Unternehmen: So positionieren sich Start-ups wie BeZero Carbon Rating (BCR), Sylvera oder Calyx Global als Rating-Agenturen, die Emissions-Gutschriften aus Projekten bewerten. Theoretisch sollte so ein Rating völlig überflüssig sein, denn die Projekte sind ja schon zertifiziert. Praktisch scheint die zusätzliche Bewertung unbedingt sinnvoll, um Glaubwürdigkeit und Transparenz herzustellen. Organisationen wie die Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative wollen unter anderem mit einem „Claims Code of Practice“ für Handlungssicherheit sorgen. Generell ist davon auszugehen, dass der freiwillige Zertifikatehandel mittelfristig standardisiert und reguliert wird.

Was Unternehmen nun tun sollten

„Kompensation sollte nicht per se verteufelt werden, man sollte nur unbedingt auf ein paar Fallstricke achten und nach hochqualitativen Projekten ausschauen halten, die zu den Nachhaltigkeitszielen des Unternehmens passen“, rät Experte Markus Götz, Direktor der Münchner Unternehmensberatung für Nachhaltigkeit und Klimaschutz Sustainable.

Weil der Markt für die freiwillige Kompensation von Treibhausgas-Emissionen so intransparent ist, könnte sich das Engagement von Unternehmen auf andere Nachhaltigkeitsthemen ausweiten. Markus Götz sieht Potenzial für Projekte rund um Biodiversität, Chancengleichheit oder Ressourcenschutz.


Kriterien für die Beschaffung von Emissionsgutschriften – Frage an Markus Götz, Direktor der Sustainable AG

Herr Götz, was müssen Unternehmen beachten, die freiwillig Projekte zur CO2-Kompensation unterstützen und dafür Zertifikate kaufen?

Eine Projektbeurteilung ist immer im Einzelfall notwendig und insbesondere auch von den Prioritäten und Präferenzen eines Unternehmens abhängig. Wir haben jedoch Mindestanforderungen und Ausschlusskriterien definiert, die bei der Beschaffung von Emissionsgutschriften beachtet werden können, um Reputationsschäden für Unternehmen zu minimieren:

  • Treibhausgas-Emissionsminderungen, die außerhalb der eigenen Wertschöpfungs­kette realisiert werden, sollten verifiziert sein.
  • Die Ausschüttung der Emissionsgutschriften erfolgt ex-post, also nachdem die Treibhausgas-Emissionsminderungen realisiert sind.
  • Es sollten nur Zertifikate gekauft werden, die nachhaltige Aspekte berücksichtigen und auf die Nachhaltigkeitsziele des Unternehmens einzahlen.
  • Es sollte sich um Projekte oder Projekttypen handeln, die die verfügbaren Brennstoffe energetisch nutzen. 
Schlagworte zum Thema:  Emission, Klimaschutz, Klimawandel