Freiwillige Treibhausgas-Kompensation – Interview

Dr. Kiri Trier ist Head of Sustainability Practice bei der Unternehmensberatung Capgemini Invent in Deutschland und ausgewiesene Nachhaltigkeitsexpertin. Vera Hermes hat sie gefragt, was sie von der freiwilligen Kompensation hält und worauf Unternehmen bei der Wahl von Klimaschutzprojekten achten sollten.

Wie können Unternehmen sichergehen, dass sie beim Kauf von CO2-Zertifikaten nicht übers Ohr gehauen werden?

Staatlich organisierte Institutionen, wie die Deutsche Emissionshandelsstelle, geben ganz klare Wegweisungen, wie mit Zertifikaten umzugehen oder nicht umzugehen ist. Wer über Zertifikate nachdenkt, ob als Privathaushalt oder als Unternehmen, sollte sich an staatliche Institutionen halten, statt Drittanbieter zu bevorzugen.

Teilen Sie die Kritik, diese Kompensation sei moderner Ablasshandel?

Eigentlich war der Emissionshandel für Industrieunternehmen gedacht – mit dem Ziel, dass große Industrien, die sehr viel CO2 emittieren, nicht woandershin wandern mit ihren Unternehmen. Deshalb gibt die Europäische Kommission Zertifikate aus, mit denen sich Emissionen kompensieren lassen. Zu 100 Prozent zu kompensieren, ist keine Lösung. Und das ist auch ist nicht die ursprüngliche Idee des Kyoto-Protokolls oder des Pariser Klimaabkommens. Der Emissionshandel wurde nicht eingeführt, damit wir einfach alles kompensieren. Aber: CO2-Zertifikate sind kein schlechter Hebel. Dahinter steht die CO2-Bepreisung – und die ist sinnvoll, weil wir sonst unseren Ausstoß vor allem im produzierenden Gewerbe nicht limitieren werden.

Der Emissionshandel ist eine erste Möglichkeit, CO2 zu monetarisieren – und diese Monetarisierung ist auch in Hinblick auf neue Geschäftsmodelle extrem spannend. Da reden wir nicht nur über Zertifikate, sondern über ganz neue Geschäftsmodelle, mit denen Emissionen zum Beispiel aus der Atmosphäre gezogen werden.

Kompensation konkret: Darauf sollten Unternehmen achten

Nehmen wir an, ich vertrete ein Dienstleistungsunternehmen mit 2000 Mitarbeitenden und will etwas fürs Klima tun. Dafür möchte ich auch freiwillig kompensieren. Worauf sollte ich achten?

Im besten Falle kaufen Sie nur Zertifikate nach Goldstandards ein. Das sind genormte Projekte mit einem überwachten Standard.

Worauf sollten Unternehmen beim Zertifikate-Kauf noch aufpassen?

Es gibt viele fragwürdige Zertifikate. Nur ein Beispiel: Es werden sehr viele Zertifikate für Aufforstung angeboten. Nun braucht ein Wald locker zehn bis 20 Jahre, bis er überhaupt die Größe hat, nennenswert Sauerstoff abzugeben und CO2 einzuspeichern. Zertifikate für eine Aufforstung sind also nur sinnvoll, wenn wir über einige hunderttausende Hektar Wald reden. Das heißt, wenn ein kleines Unternehmen in Aufforstung investiert, dann ist das ein Tropfen auf den heißen Stein.

Zertifikate für eine Aufforstung sind nur sinnvoll, wenn wir über einige hunderttausende Hektar Wald reden.

Was würden Sie stattdessen empfehlen?

Gut wäre es, wenn Unternehmen die Kompensation in eine Nachhaltigkeitsstrategie einbinden. Das bedeutet, in den Kategorien Environmental, Social und Governance zu denken und dezidierte Initiativen in den einzelnen Bereichen auszumachen. So können Unternehmen auf der einen Seite einen positiven Einfluss auf Nachhaltigkeit ausüben und auf der anderen Seite regional, national oder eben transnational kompensieren. Wichtig ist, dass sie sich im Vorfeld sehr genau informieren, welche Zwischenhändler eingeschaltet sind und wer daran mitverdient.

Es geht um globale Ziele

Ist es ein Wettbewerbsnachteil für Unternehmen in der EU, dass wir eine so vergleichsweise strenge Gesetzgebung haben?

Nein, das glaube ich nicht. In Bezug auf das Pariser Klimaabkommen sind ganz klare Ziele gesetzt, die globale Ziele sind. Dieses Abkommen ist kein europäischer Act, sondern in Bezug auf die komplette Weltbevölkerung gedacht. Wir atmen alle eine Luft und wir haben eine Welt. Wir haben begrenzte Ressourcen auf dieser einen Welt und das Klima zieht auch keine Ländergrenzen. Deswegen funktioniert das auch alles nur, wenn jemand anfängt, regulatorisch Maßstäbe zu setzen und aufzeigt, dass es funktioniert. Das ist wichtig, denn eigentlich braucht jede Veränderung ihre Zeit und die ist hier knapp.


Qualitätsstandards für CO2-Kompensationen

„Die Qualitätsstandards zur CO2-Kompensation dienen der Zertifizierung von Klimaschutzprojekten. Im Fokus steht die Umsetzung der gesetzten Ziele hinsichtlich der dauerhaften Einsparung von Treibhausgasemissionen. Dabei dienen diese Standards vorrangig dazu, die vollständige Transparenz der Klimaschutzprojekte herzustellen.

Zu den wichtigsten Standards zählen der Gold Standard, verschiedene Verra-Standards und der Standard des Clean Development Mechanism (CDM) der UNFCCC. Neben den Klimawirkungen können auch Nachhaltigkeitsaspekte oder das Monitoring von Zusatznutzen in Projekten durch Zusatzstandards berücksichtigt werden, zum Beispiel mit dem Gold Standard for the Global Goals (GS4GG), den Climate, Community and Biodiversity Standards (CCBS-Zertifikaten) oder den CDM-Projekten, die nach dem CDM-Sustainable-Development-Tool Zusatznutzen zertifiziert haben.“

Quelle: Studie Kompensationszahlungen kleiner und mittlerer deutscher Unternehmen für CO2-Emissionen, Herausgeber: Allianz für Entwicklung und Klima c/o Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.


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Anmerkung der Redaktion, 20.01.2023:
Eine aktuelle Recherche der Wochenzeitschrift Die Zeit gemeinsam mit dem britischen Guardian wirft ein sehr kritisches Bild auf die CO2-Kompentation durch Aufforstungsprojekte. Im Fokus steht dabei der hier genannte Anbieter Verra. Den Artikel der Zeit finden Sie hier (Paywall). Die Gegendarstellung von Verra finden Sie hier.

Schlagworte zum Thema:  Klimaschutz, Klimawandel, Emission