„Wir wollen unsere Haltung in Technik übersetzen“
Körber ist ein Unternehmen, das mit Zigarettenmaschinen groß geworden ist. Jetzt wollen Sie Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein. Wie passt das zusammen, Frau Thiel?
Michaela Thiel: Wir stehen fest zu unserem Nachhaltigkeitsversprechen, das in unserer Unternehmensstrategie verankert ist. Gleichzeitig sind wir uns unserer besonderen Verantwortung bewusst, die wir als Lieferant der Tabakindustrie tragen. Diese Verantwortung nehmen wir wahr und haben uns sehr ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Nachhaltigkeit ist heutzutage kein Nice-to-have mehr, sondern für alle Unternehmen ein strategisches Muss. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.
Sie sind ein internationales Unternehmen mit rund 13.000 Mitarbeitenden, mehr als 100 Standorten und vier unterschiedlichen Geschäftsfeldern. Wo fängt man da an in Sachen Nachhaltigkeit?
Michaela Thiel: Natürlich engagiert sich Körber schon länger im Nachhaltigkeitsbereich. Was aber lange Zeit fehlte, war ein gemeinschaftlicher Ansatz über alle Geschäftsfelder hinweg. Das betrifft auch die Umweltauswirkungen unserer Produkte. Die meisten Emissionen entstehen nämlich nicht bei uns in den Werken, sondern dort, wo unsere Maschinen im Einsatz sind. Das ist der Hebel, den wir zur Erreichung unserer Klimaziele in Bewegung setzen müssen. 2021 haben wir uns deshalb unter anderem der Frage angenommen, wie wir konzernweit die Emissionen unserer Anlagen weiter reduzieren können. Wir wollen unsere Haltung in Technik übersetzen. Genau da kommt mein Kollege Bernhard Gerl ins Spiel. Er leitet unsere Ecodesign-Initiative.
Ecodesign: Maschinen datenbasiert umweltfreundlicher gestalten
Können Sie uns das Ecodesign-Prinzip genauer erklären, Herr Gerl?
Bernhard Gerl: Tatsächlich machen Scope-3-Emissionen, die in der vor- und nachgelagerten Lieferkette vorkommen, 99 Prozent unserer Gesamtemissionen aus. Dazu muss man wissen, dass unsere Maschinen im Schnitt 20 oder 25 Jahre in Betrieb sind. Um eine umweltfreundlichere Version dieser Maschinen bauen zu können, berechnen wir die Emissionen während der gesamten Lebensdauer unserer Maschinen. Im Fachjargon heißt das Life Cycle Assessment, oder LCA. Dabei versuchen wir herauszufinden, wie langlebig, reparierbar oder sogar recycelbar die einzelnen Komponenten der Maschine sind, und ob es umweltfreundlichere Alternativen gibt. Uns interessiert auch, welche Materialien zum Einsatz kommen und wie sie beschaffen sind. Nur dann können wir sicherstellen, dass Bauteile leicht zu demontieren sind und nur wenig Spezialwerkzeug notwendig ist. Im Idealfall kommt nur ein Material zum Einsatz oder Materialien, die leicht zu trennen sind. Wenn man all das optimiert, spart das am Ende jede Menge Ressourcen, Geld und Emissionen ein. Unser Ziel: Ab 2040 wollen wir in der gesamten Wertschöpfungskette von Körber Netto-Null-Emissionen erreichen.
Das klingt ziemlich ambitioniert. Ist das denn überhaupt machbar?
Michaela Thiel: Ja. Etwas zu behaupten, das sich nicht umsetzen lässt, hilft niemandem – nicht dem Planeten, nicht den Menschen und auch nicht unserem Unternehmen. Damit wir uns auch realistische Ziele setzen, sind wir der Science Based Target Initiative (SBTi) beigetreten, die die Ziele der Pariser Klimakonferenz von 2015 zum Maßstab haben. Die SBTi hat unsere Maßnahmen genau geprüft, an wissenschaftlichen Standards gemessen und unsere ‚Net Zero‘-Ziele bestätigt. Ecodesign ist eine wichtige Maßnahme, um diese Ziele zu erreichen.
Und wie genau kann man sich den Ecodesign-Prozess vorstellen?
Bernhard Gerl: Um den Umwelteinfluss unserer Maschinen zu minimieren, müssen wir zunächst einmal die Datenpunkte definieren, die wir für unsere Berechnungen brauchen und herausfinden, wo in unserer Wertschöpfungskette sie zu finden sind. Das ist eine ziemlich komplexe Aufgabe. Unsere größten Anlagen bestehen immerhin aus mehr als 100.000 Einzelkomponenten. Alle Teile einzeln zu analysieren, wäre viel zu zeitaufwändig und ineffizient. Wir konzentrieren uns deshalb auf Komponentenbereiche, die am häufigsten zum Einsatz kommen und mit deren Verbesserung man schnell einen großen ökologischen Impact generiert.
Scope-3-Emissionen als Blackbox
Was ist dabei die größte Herausforderung?
Bernhard Gerl: Scope-3-Emissionen stellen für uns den größten Hebel dar, sie sind aber auch eine ziemliche Blackbox. Wir sind komplett auf die Daten angewiesen, die uns Lieferanten und Kunden zur Verfügung stellen: Informationen über die Herkunft und die Herstellung von Materialien und Komponenten, über deren Transport oder über den Energieverbrauch in der Nutzungsphase unserer Maschinen.
Michaela Thiel: Viele Kunden und Lieferanten reagieren überraschend positiv auf die Veränderungen, die wir anstoßen. Viele fragen sogar aktiv nach nachhaltigen Lösungen, sehen in uns einen zukunftsorientierten Partner. Es ist doch ganz einfach: Wer in Zeiten von CSRD-Berichtspflicht, Lieferkettengesetz und Green Claims Direktive bestehen will, braucht die Informationen, die wir abfragen, sowieso. Wenn wir diese Daten gemeinsam erheben, hilft das uns allen, unsere Prozesse zu optimieren. Mit einigen Partnern haben wir auch schon tolle Erfolge erzielt.
Zum Beispiel?
Bernhard Gerl: 2024 haben wir auf Grundlage der neuen Ecodesign-Strategie eines unserer Förderbänder neu konstruiert – und dieses dank dünnerer Bleche, vereinfachter Bauteile und weiterer Maßnahmen zwischen 20 und 30 Prozent leichter gemacht, bei gleichbleibender Stabilität. Mit Lieferanten sind wir in Klärung und Testen zur Verwendung von Edelstahl und Kunststoffen, die einen höheren Recyclinganteil haben. Ein anderer Lieferant hat für uns Graspapier als Verpackungsmaterial getestet. Für eine unserer Palettiermaschinen konnten wir ein System zur Rückgewinnung von Energie entwickeln. Außerdem bauen wir in unsere Maschinen keine Druckluftpumpe mehr ein, sondern fordern von unseren Kunden einen Hausanschluss. Eine zentrale Pumpe ist nämlich viel energieeffizienter. Wir beschäftigen uns aber auch mit der Effizienzsteigerung von digitalen Prozessen. Zum Beispiel sorgt eine intelligente Steuerungseinheit für Paketverteilzentren dafür, die Pakete erst einmal zu bündeln und erst dann weiterzuleiten, damit das Band nicht die ganze Zeit laufen muss. Es gibt auch KI-gestützte Inspektions-Tools, die Ausschüsse reduzieren. Best-Practice-Beispiele gibt es also zuhauf. Wir müssen diese aber noch sichtbarer machen für Mitarbeitende und Partner, damit sich diese zum Nachmachen inspiriert fühlen.
Wie messen Sie Ihren Erfolg?
Bernhard Gerl: Leider braucht es etwas Zeit, bis sich Maßnahmen aus der Designphase tatsächlich in einer Reduktion der Treibhausgase bemerkbar machen. Unsere Innovationszyklen sind einfach länger als bei Softwareprodukten. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir ohne den Ecodesign-Ansatz unsere Klimaziele nicht erreichen können.
Michaela Thiel: Und dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigt sich auch an anderer Stelle. Auf Basis unserer Daten aus dem Jahr 2022 haben wir uns 2023 von der unabhängigen Bewertungsplattform EcoVadis prüfen lassen, die Unternehmen auf deren Engagement in Sachen Umwelt, Arbeits- und Menschenrechte, nachhaltige Beschaffung und Ethik untersucht. Aus dem Stand haben wir den Platin-Status erreicht und auch bei den jährlich steigenden Bewertungsanforderungen von Ecovadis 2024 dann Gold. Wir sind also definitiv auf dem richtigen Weg.
Michaela Thiel,
55, war lange im Technologie- und Innovationsmanagement sowie Marketing verschiedener Unternehmen und Forschungseinrichtungen tätig. 2015 kam sie zur Körber AG, wo sie seit 2021 als Head of Sustainability für die Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich ist.
Bernhard Gerl,
35, studierte Maschinenbau in München. 2018 kam er als Projektingenieur zum Körber-Geschäftsfeld Pharma und betreute dort den Bereich Konstruktion. Seit 2022 leitet er als Manager Ecodesign and Circular Economy die interdisziplinäre Ecodesign-Initiative des Hamburger Konzerns.
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